Kinder haben das Recht zu Hören – doch Zwangsimplantation eines Cochlea-Implantats ist keine Lösung
Stellungnahme des Vereins Cochlea Implantat Austria zum Fall eines gehörlos geborenen Buben in Niedersachsen, dessen Klinik von den Eltern die Zwangsimplantation eines Cochlea-Implantats (CI) erreichen möchte.
Weil eine gehörlose Mutter ihren etwa zweijährigen gehörlos geborenen Sohn nicht mit einem CI versorgen lassen möchte, schaltete das behandelnde Klinikum in Braunschweig das Jugendamt ein. Die Argumentation der Ärzte: Würde der Junge nicht implantiert, sei das Kindeswohl gefährdet. Am 20. November wurde die Situation in einer ersten gerichtlichen Anhörung erörtert. Der Fall schlägt bei unseren deutschen Nachbarn hohe Wellen. Cochlea Implantat Austria hat dazu eine klare Meinung:
Gehörlose und hochgradig schwerhörige Kinder profitieren enorm von einer Cochlea-Implantation. Eltern, die von der Implantation absehen, missachten das Recht des Kindes auf Kommunikation mit der hörenden Welt. Doch eine Zwangsimplantation gegen den Willen der Eltern ist sinnlos, denn die Nachsorge ist in diesem Fall nicht sichergestellt: Das beste Cochleaimplantat hat keinen Nutzen, wenn Batterien nicht gewechselt, Anpassungstermine nicht wahrgenommen und vor allem (Re)Habilitation beginnend mit einer Frühförderung bis ins Schulalter nicht aktiv unterstütz wird.
Mit der Operation allein ist die Sache nicht erledigt
Cochlea-Implantate sind eine der wichtigsten Errungenschaften unserer Zeit. Wir können damit den Großteil der gehörlos geborenen Kinder das Hören ermöglichen und auch Erwachsene können ihr Gehör wieder zurückbekommen. Viele Patienten beschreiben das als ein Wunder.
Doch jeder Mensch, der sich für eine Cochlea-Implantation entscheidet, ist sich im Klaren darüber: Mit der Operation ist die Sache nicht erledigt. Sie fängt erst an. Nach der ersten Aktivierung des Implantats beginnen umfangreiche Rehabilitationsmaßnahmen. Das bedeutet Hörtraining in spezialisierten Zentren – aber auch zu Hause. Implantierte Kinder sind über Jahre hinweg auf das Engagement ihrer Eltern angewiesen. Sie sind verantwortlich dafür, Batterien zu wechseln, die regelmäßigen Anpassungs- und Servicetermine wahrzunehmen, den Audioprozessor beim Schwimmen und Spielen zu schützen, die Lautsprache zu ihren Kindern zu tragen, ihnen vorzulesen, mit ihnen zu reden und zu singen. Ist das den Eltern nicht möglich, weil sie das Implantat ablehnen und/oder selbst über keine Lautsprache verfügen, wird es schwierig, wirklichen Nutzen aus dem Implantat zu ziehen. Ein Cochlea-Implantat zu tragen oder sich für seine Kinder dafür zu entscheiden, erfordert sehr viel Eigeninitiative, Konsequenz und Durchhaltevermögen, doch der Weg lohnt sich.
Wir sind fest davon überzeugt, dass eine Implantation die Chancen der Kinder auf ein erfülltes Leben enorm erhöht: Sie können hören und sich der Welt mitteilen, können ihren Weg gehen und alle ihre Potenziale nutzen. Allein das Erreichen des Traumberufs ist für hörende Jugendliche um ein Vielfaches leichter als für gehörlose. Doch gegen den Willen der Eltern eine solche Zwangsmaßnahme durchzusetzen, lehnen wir aus ethischen und auch aus den oben genannten praktischen Gründen ab.
Karl-Heinz Fuchs
Geschäftsführender Obmann Cochlea Implantat Austria