England und seine freundlichen und zuvorkommenden Engländer waren schon immer mein bevorzugtes Urlaubsziel gewesen, seit ich 15 Jahre alt war.
Ein Reisebericht von Andrea Höller, CI-Nutzerin
Meine Hörbehinderung war dort nie ein Problem gewesen und überall wurde mir gezeigt, im täglichen Leben ohne Hindernisse integriert zu sein.
Für eine lange Zeit von zehn Jahren wandte ich mich dann Japan zu und erst 2010 kam ich wieder nach England, diesmal in den Süden im Rahmen einer Rundreise, die sich meine Mutter gewünscht hatte. Es sollte das letzte Mal auf dieser Insel sein, wo ich noch beide Hörgeräte trug und die CI-OP war noch kein Thema.
Gleich am ersten Tag wurde mir bewusst, warum ich früher das Land und die Leute so mochte! Es hatte sich nichts geändert! Am Land gab es nach wie vor diese rustikalen kleinen Kirchen, die verwitterten Friedhöfe, die putzigen Häuser mit den kleinen Gärten und die unverkennbaren Pubs mit den hölzernen Aushängeschildern. Und die Menschen erst!
Unvergesslich blieb mir der Stourhead Garden, 180km südwestlich von London in der Grafschaft Wiltshire. Diese große Gartenanlage ist für die Pracht der Hortensien und seinem Herrenhaus berühmt, aber zu meinem Unmut durften wir uns das Herrenhaus nicht ansehen, was ich sehr gerne getan hätte – die Reisegruppe hatte sich dafür nicht angemeldet. So war ich sauer, dass mir quasi die Hände gebunden waren, weil ich es gewohnt bin, frei zu agieren. Zehn Jahre lang bin ich sechs Mal allein nach Japan gereist und habe viele Orte gesehen und viele Freunde und Freundinnen besucht und so kam mir diese Reisegruppe in Südengland eingeschränkt vor. Und mit meiner Laune stand es nicht zum Besten.
Um mich zu trösten, beschloss ich, die landestypische Süßspeise Scones zu probieren und beim Ausgang des Stourhead Garden gab es ein kleines Pub, das ein Set von Cream Tea mit Scones anbot, bei dem mir das Wasser im Mund zusammen lief. Leider hatten wir kaum Zeit für Muße und ich fragte den jungen Barkeeper mit Ziegenbärtchen und Flinserl im Ohr, ob ich nicht wenigstens ein Stück Scones haben könnte, da unsere Zeit sehr knapp war. Zu meiner Überraschung musste ich nicht mehr sagen, der nette Bursche gab mir gleich eine Portion mit einem kleinen Glas Erdbeermarmelade und einem Schälchen Clotted Cream, die typischen Zutaten für ein echtes „Devonshire Scones“. Und das Ganze um nur einen Pfund! Das war nie und nimmer nur ein Pfund wert und als ich den Barkeeper korrigieren wollte, meinte er nur, passt schon. Ich bedankte mich und zu meiner nächsten Überraschung bedankte er sich ebenfalls – in Gebärdensprache! Ich war einfach weg von dieser kleinen aber liebenswerten Geste! Woher wusste er, dass ich hörbehindert bin? Offenbar merkt man das an meiner Aussprache – ich werde es nie erfahren. Der Tag war gerettet und es war einfach wieder so, dass ich mir dachte: typisch England! So behindertenfreundlich wie kein Land, das ich bereist habe. Ich aß die Scones mit Genuss und wurde danach süchtig.
Die nächste Station, Stonehenge, zeigte mir wieder einmal, was ich längst vergessen hatte:
Jeder Besucher bekam einen Audioguide und ich lehnte dankend ab, mit dem Hinweis, dass ich hörbehindert bin und den Reiseführer im Bus schon durchgelesen hätte. Die nette Dame bei der Ausgabe, hielt mich jedoch zurück und drückte mir ein Art Ringbuch in die Hand und meinte, dass im Reiseführer nicht alles stehe und in diesen Unterlagen sei alles, was im Audioguide gesagt wird – Wort für Wort! Da erinnerte ich mich, dass ich exakt dasselbe in London bekommen hatte, wenn Audioguides im Spiel waren. In Wien habe ich so etwas nie erlebt.
So konnte ich Stonehenge mit all seinen Mysterien und schlichter Schönheit bewundern. Allerdings war der Wind so stark, sodass ich Mühe hatte, die Blätter ruhig zu halten. Die anderen hingegen beschwerten sich, dass sie wegen des Brausens den Audioguide nicht verstehen konnten. 1:0 für mich.
Die letzte Station war Bath, die berühmte Stadt der Regency-Zeit (frühes 19. Jahrhundert) mit seinem Heilbad, den Teehäusern und der eleganten Architektur. Da Bath von den Römern gegründet wurde, gab es ein Römisches Bad, das ich mir unbedingt ansehen musste. Bei der Kassa zückte ich den Behindertenausweis, auch wenn ich auf der Preistafel keinen Hinweis finden konnte, ob es für Behinderte eine Ermäßigung gab. Der extrem freundliche Kassier fragte mich gleich daraufhin, ob ich einen Begleiter hätte und ahnungslos deutete ich auf meine Mutter hinter mir. Wir bekamen beide Gratis-Eintritt und allein mein Vater musste für seinen Eintritt blechen.
Während meine Eltern wieder mal einen Audioguide bekamen, bot man mir zwei Varianten an: entweder ein Büchlein zum Lesen oder einen Videoguide! Da konnte man sogar wählen zwischen der englischen oder der internationalen Gebärdensprache. Ich wurde neugierig und probierte einfach die englische Gebärdensprache aus, die leicht zu verstehen war.
So beschloss ich, in den nächsten Jahren wieder nach England und seinen freundlichen Menschen zurück zu kommen.