Ein Schilehrer mit Cochlea-Implantat über seinen Weg zurück zum Hören
Matthias Herr aus dem Kleinwalsertal ist seit 40 Jahren Schilehrer, Souvenir- und Fotohändler und seit vier Jahren begeisterter Cochlea-Implantat-Nutzer: „Ich habe damit meine Lebensfreude wiederbekommen!“
„Bei der ersten Mittagspause sage ich den Teilnehmern in meinem Skikurs immer: Ich bin taub. Da solltest du sehen, wie denen die Augen aufgehen.“ Seine Gäste hätten ein Recht zu wissen, dass er ein Cochlea-Implantat trägt, meint Matthias Herr. Nur so könnten sie verstehen, dass er in manchen Situationen Probleme hat zu verstehen, oder dass er hin und wieder ein kurzes Timeout braucht, um die Batterien zu wechseln. „Dann ist es kein Problem, wenn sie auch einmal etwas wiederholen müssen.“
Schlecht gehört hat der Kleinwalsertaler schon, als er 1979 in Bregenz maturierte und danach den HAK-Abiturkurs belegte. „Ich hätte damals eigentlich schon ein Hörgerät benötigt, aber ich habe das durch Vertuschen hinausgezögert. In den 70er-Jahren warst du ja nicht der Behinderte, sondern da wärst du das Depperle gewesen.“ Also hat der Schüler und Maturant sich lieber „irgendwie durchgemogelt“. Zudem waren die damaligen Hörgeräte noch nicht so ausgefeilt, dass sie gut unterstützen konnten. „Auf die Idee zu studieren bin ich durch das schlechte Hören gar nicht erst gekommen.“
Stattdessen hat Herr 1982 die Skilehrerprüfung gemacht. „Ich habe damit meine Erfüllung gefunden.“ Seit nunmehr 40 Jahren stehe er jedes Jahr rund 90 Tage auf den Skiern, von Weihnachten bis Ostern. „Mit Ausnahme des Jahres 2020/21, da war ich wegen des Lockdowns gar nicht Ski fahren.“ Ergänzend absolvierte er die Ausbildung zum Fotokaufmann und arbeitete im Sommer im väterlichen Souvenir- und Fotogeschäft.
Skilehrer zu sein, das sei in der Vorarlberger Tourismusregion nichts Besonderes. „Wir haben ja Berge“, lacht Herr – um bald auch schmunzelnd zu erklären, warum dieser Beruf gerade für ihn lange auch einen weiteren Vorteil bot: „Als Skilehrer bist du der Taktgeber, auch im Gespräch.“
„Als Skilehrer gebe ich das Thema vor!“
„Die Gäste im Skikurs haben sich sicher manchmal gedacht: Wieso antwortet der nicht auf meine Frage? Aber mit meiner großen Klappe habe ich die Leute immer irgendwie in meine Richtung gebracht.“ So konnte er sein Hörproblem überspielen, als Behinderung empfand er selbst es nicht.
Geändert hat sich das schlagartig im Winter 1991, als Herr seine Frau Anja kennenlernte. „Die ist ausgebildete Krankenschwester, die hat das sofort mitgekriegt, dass ich sie nicht verstehe“, schmunzelt Herr und ergänzt lachend: „Na klar, wenn sie fragt: Magst noch a Bussi? Und ich antworte: Danke, ich habe schon gefrühstückt…“ Auf ihr Drängen ließ der selbstbewusste Walser sich Hörgeräte anpassen, mit denen er anfangs gut zurechtkam. Nach einigen Jahren verfiel er aber wieder in sein altes Muster: Er blödelte in einem fort, um zu überspielen, was er nicht verstand. So arrangierte Anja Herr einen Termin am LZH Dornbirn, dem Vorarlberger Landeszentrum für Hörgeschädigte. Dort erfuhr das Paar erstmals von Cochlea-Implantaten, Matthias Herr konnte sich mit der Idee aber noch nicht anfreunden: „Im Einzelgespräch in ruhiger Umgebung kam ich ja noch zurecht.“ Er ließ die Angelegenheit vorerst einschlafen.
„Du selbst merkst nicht viel von deinen eigenen Hörproblemen.“
„Du kommst zurecht. Dir fehlt ja nichts, du hast ja keine Schmerzen.“ Im Nachhinein versteht Herr, dass seine Frau ihm im Frühling 2017 mit Trennung drohte, wenn er die Behandlung seiner Hörprobleme nicht endlich in Angriff nehme. „Das erfahrene Ärzteteam dort“, an der Universitätsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen in Innsbruck, „das waren die ersten, die die Verzweiflung meiner Frau erkannt und gesehen haben.“
„Wenn du keine Probleme mit dem Hören hast, kannst du dir nicht vorstellen, was da abgegangen ist.“ In der ersten Oktoberhälfte wurde Herr auf der linken Seite implantiert. „Drei Wochen später sind wir das erste Mal angedockt worden“, wie selbstverständlich verwendet er beim Erzählen die Mehrzahl, sobald es um seine Hörprobleme geht, die letztlich Familienangelegenheit wurden. „Das Anpassen ist wie Klavierstimmen. Dann wurde das Ding aufgedreht. Ich habe gedacht, ich spinne: Auf einmal hörst du was! Mir sind die Augen aufgegangen. Alle haben angefangen zu heulen. Das war so emotional, das kannst du dir gar nicht vorstellen.“ Verlegen wischt er mit dem Handrücken über die Augen. „Brutal.“
Die Familie ist das Wichtigste!
Nach der ersten Eingewöhnungsphase mit einem CI-System folgt in der Regel intensives Hörtraining unter logopädischer Anleitung. Familie Herr hat schon kurz nach der ersten Aktivierung zu üben begonnen. „Anja, meine Frau, hat mir schon vier Tage nach der Aktivierung vom Teletext die Nachrichten in einfacher Sprache vorgelesen: Jedes Jahr bekommt Wien auf dem Rathausplatz einen Christbaum. Dieses Mal kommt der Baum aus Vorarlberg.“
Einfache Texte eignen sich anfangs besser zum Üben als komplexe. Neben Märchen oder Kinderbüchern haben sich auch Nachrichten in einfacher oder leichter Sprache bewährt, wie sie eigentlich für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder mit geringen Sprachkenntnissen gedacht sind.
„Ich habe zwei Spielkarten in die Brillengläser gelegt, damit ich nichts sehe. Meine Frau hat die Nachrichten in einfacher Sprache vorgelesen und ich habe ihr nachgesprochen.“ Das Ehepaar war mit den Übungen so erfolgreich, dass der CI-Neuling überraschenderweise nicht einmal logopädische Unterstützung benötigte. „So schnell wie bei mir geht das in der Regel ja nicht.“ Ob mit oder ohne Logopädie, mit raschen oder zaghafteren Hörerfolgen – eines ist sich der CI-Nutzer sicher: „Das Wichtigste ist wirklich das familiäre Umfeld. Meine Frau und unsere Kinder Lukas und Franziska haben immer geholfen, wenn es einmal nicht so ging.“
„Ich hätte das zweite Ohr am liebsten gleich übermorgen gemacht!“
Die unerwartet raschen Hörerfolge waren für den hauptberuflichen Skilehrer ein Segen: „Das war ein Wahnsinn! Ich habe im Winter wieder ganz normal Skikurse gegeben.“ Die größte Überraschung folgte im Sommer. „Meine Tochter ist ja mit 15 Jahren abgehauen“, scherzt er. Das Mädchen ging für ein Auslandschuljahr nach Costa Rica. „Als sie abflog, habe ich noch nichts gehört. Im Frühjahr 2018 haben wir es geschafft, sie zehn Tage zu besuchen.“ Die Familie hatte zwar von der Operation erzählt, doch der Teenager konnte sich unter CI nichts vorstellen und hatte mit einer „neuen Art Hörgerät“ gerechnet. „Die war ganz weg: Papa, du antwortest mir ja!“
„Dieses Ding hat mir die Lebensqualität zurückgegeben, es hat mir auch meine Familie zurückgegeben. Ich bin unendlich dankbar dafür!“ Nach den Erfolgen mit dem ersten CI war die Entscheidung für die zweite Seite für Herr klar. „Ich hätte das am liebsten gleich übermorgen gemacht!“ Wieder im Oktober, ein Jahr nach der ersten Operation, folgte die Implantation rechts und verbesserte Hörqualität und Sprachverstehen noch weiter.
Die Firma in Innsbruck: „Ein Sechser im Lotto!“
„Ich habe das nicht gewusst, dass die Entwicklung und Produktion dieser Implantate in Innsbruck sind! Woher auch!“, war Herr überrascht, als er erstmals zu einer CI-Studie in die Firma eingeladen wurde. „Das ist doch ein Volltreffer! Ein Sechser im Lotto!“
„So bin ich als Versuchskaninchen in das Meerschweinchen-Programm gekommen“, lacht er, um stolz zu ergänzen: „Ich habe den SONNET 2 schon zum Ausprobieren nach Hause mitbekommen, da war er noch nicht zum Verkauf freigegeben.“ Die Eindrücke und Rückmeldungen von Herr und anderen Studienteilnehmern flossen in die Endausfertigung ein.
Für den mittlerweile erfahrenen CI-Nutzer sind die neuen Errungenschaften im Moment zwar nicht notwendig. „Ich fahre ja auch nicht mit dem Elektrofahrrad herum. Aber gut, dass es für ältere Leute Elektrofahrräder gibt.“ So schätzt er es, dass die vielen Zusatzfunktionen optional sind und ganz nach Bedarf aktiviert werden können. Er selbst möchte zurzeit alles hören wie Normalhörende auch und auch „in einem Raum, wo hundert Leute reden“ nur durch Konzentration Sprachverstehen erreichen. Vom SONNET 2 ist er begeistert, besonders von der Tonqualität der Mikrofone: „Ich warte schon darauf, dass ich den ganz bekomme.“
„Ich habe jetzt eine ganz andere Freude am Leben!“
„Wenn du nicht hörst, fängst du an dich zurückzuziehen. Was soll ich am Stammtisch, ich höre sie ja eh nicht.“ Trotzdem wollte Matthias Herr seine Hörprobleme lange nicht wahrhaben. „Du glaubst ja, dass das das Leben ist, so wie du es ohne Hören kennst.“
„Das CI hat mir dann eine Lebensqualität wieder ermöglicht, von der ich nicht mehr wusste, dass es sie gibt. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir schon 1980 das CI reintun lassen, aber da hat es das in Innsbruck ja noch nicht gegeben.“ Er empfiehlt den Schritt allen, die wie er damals Hörprobleme haben, egal ob sie auf einer oder beiden Seiten schlecht hören.
Matthias Herr wurde nun auch Teil des Hörberater-Teams der Informationsseite www.hoerverlust.at, weil er auch anderen CI-Kandidaten auf ihrem Weg in eine hörende Zukunft helfen möchte.
Beim ORF werden einfache Nachrichtentexte schon seit 1970 im Teletext ab Seite 470 angeboten, seit 2020 auch online auf https://tvthek.orf.at/profile/Nachrichten-in-Einfacher-Sprache/13891048.Seit 2017 bietet die Austria Presseagentur im Projekt „TopEasy“ vereinfachte Nachrichten auf Sprachniveau A2 und B1 auf https://science.apa.at/nachrichten-leicht-verstandlich/. Bei den Printmedien ist der Kurier Vorreiter mit https://kurier.at/einfache-sprache sowie das Tiroler Nachrichtenportal www.einfach-informiert.at.
Schatzsuche mit Atemschutz: verlorener Audioprozessor
Für David sind seine CI-Audioprozessoren wertvoll, denn erst mit ihnen kann er hören. Der Verlust einer seiner Audioprozessoren wurde zum Auslöser einer Schatzsuche der besonderen Art.
Leben mit hoerverlust.at
Alles auf einen Klick! hoerverlust.at bietet Betroffenen und Angehörigen umfassende Informationen und Kontaktmöglichkeiten zu allen Bereichen, die Sie auf dem Weg zum Hören benötigen. Mehr zum informativen Wegbegleiter vom ersten Verdacht bis zur optimalen Versorgung finden Sie hier!