Ein Musikinstrument in Form einer Cochlea

CI-Nutzer und CIA-Mitglied Heinz Kirchschlager spielt Volksmusik auf der Knopfharmonika und seit Kurzem auch am Alphorn. Im Juni hat er sein neues Alphorn vorgestellt, das der Form des menschlichen Innenohrs nachempfunden ist.

Strahlender Sonnenschein, mehr als hundert Teilnehmer vorwiegend aus Wien und Niederösterreich, farbenfrohe Trachten, schwungvolle Volksmusik und jede Menge gute Laune – so beschreiben Teilnehmer das Wander- und Austauschtreffen, zu dem CIA-Niederösterreich-Mitglied Heinz Kirchschlager am letzten Juni-Wochenende ins Dirndltal rief.

Auf der Geißenbergalm trafen einander Ortsansässige und Nachbarn des 58-Jährigen, die Gemeindeleitung Schwarzenbach vertreten durch Bürgermeister Andreas Ganaus und einige Gemeinderäte, Mitglieder und Vertreter des CIA und von Hörenswert – Schwerhörigenzentrum NÖ, Vertreter der Universitätsklinik St. Pölten, Doz. Dr. Bernhard Laback vom Schallforschungsinstitut Wien mit seinem Team, DI Ewald Thurner vom CI-Hersteller MED-EL, sowie zahlreiche Musikanten und Anhänger österreichischer Volksmusik.

Die Hüttenwirte sorgten für die Verköstigung, das Festzelt der Freiwilligen Feuerwehr sorgte für Schattenplätze. Höhepunkt der Veranstaltung war die Präsentation eines Alphorns, dessen Form der menschlichen Hörschnecke, der Cochlea, nachempfunden ist.

„Aufgeben gibt es nicht!“

Heinz Kirchschlager wurde schon mit Mitte Zwanzig schwerhörig. Lange kam der gelernte Maschinenschlosser, der erst im Stahlbau, später als Maschinist arbeitete, mit Hörgeräten gut zurecht. Doch dann folgten drei Hörstürze. „2017 ist es rechts dunkel geworden!“, beschreibt der gesellige Niederösterreicher, warum er den Beruf aufgeben musste und sich zunehmend aus seinem Freundeskreis zurückzog. „Finster ist nicht lustig. Nichts mehr zu hören, das drückt schwer auf die Psyche.“ Zudem wurde ein unangenehmer Tinnitus zu seinem ständigen Begleiter. Nach seiner Cochlea-Implantation im Herbst 2018 war es dem geborenen Kirchberger zum Glück bald wieder möglich, Geselligkeiten zu genießen.

„Ich lebe im ländlichen Raum, da hat Volksmusik für mich einen sehr großen Stellenwert.“ Doch mit der einseitigen Ertaubung wurde Kirchschlager auch das Spiel auf der Knopfharmonika unmöglich. „Bald nach der Operation habe ich es auch damit wieder versucht. Aber das hat extrem schlimm und grauslich geklungen.“ Für den Niederösterreicher brach eine Welt zusammen: „Ich habe geglaubt, das wird nie wieder funktionieren.“ Doch er gab nicht auf, versuchte es immer wieder. Musiktherapeutin an der Uni-Klinik St. Pölten sowie ein Reha-Aufenthalt in Bad Grönenberg im Bayrischen Allgäu folgten. Nach etwa sechs Monaten kam der Durchbruch – für den Musiker Anlass genug, sich nicht nur eine neue „Steirische“ zuzulegen, sondern sich auch gleich einem weiteren Instrument zuzuwenden: dem Alphorn.

Naturtöne aus den Alpen

Das Alphorn stammt, wie der Name schon sagt, aus dem Alpenraum und soll im 14. Jahrhundert in der Schweiz als Signalinstrument verwendet worden sein. Es kann bis zu zehn Kilometer weit gehört werden. Heute wird das Blasinstrument freilich nur noch in der Musik eingesetzt: Vereinzelt in der klassischen Musik und im Jazz, beheimatet ist es aber in der Volksmusik.

Das klassische Alphorn ist aus einem geraden Baumstamm gearbeitet und biegt nur am unteren Ende ab in eine Erweiterung, dem sogenannten Becher. Die Länge variiert dabei meist zwischen 2,45 und 4,05 Meter und bestimmt die Stimmlage. Der Klangbereich entspricht der natürlichen Tonreihe: Im Gegensatz zu der bei uns typischen Diatonischen Tonleiter bestehen natürliche Tonreihen aus dem Grundton und den Tönen mit der exakt vielfachen Frequenz des Grundtons. Da das Alphorn über keine Klappen oder Züger verfügt, sind die für Diatonische Tonreihen nötigen Zwischentöne nicht möglich. Der Tonumfang besteht aus einem Dreiklang und reicht bei herkömmlichen Alphörnern je nach Spieltechnik des Musikers bis zu 16 Tönen. Das längste bespielbare Alphorn ist 14 Meter lang und kann 64 unterschiedliche Töne hervorbringen.

„Ich wollte das CI leben!“

„Die Naturtonreihe des Alphorns entspricht ja eigentlich der Urmusik. Deswegen habe ich mir gedacht, das ist sicher gut für´s Hörtraining“, erzählt Kirchschlager. Die Spieltechnik beim Alphorn unterscheidet sich wesentlich von einem Tasteninstrument wie der Harmonika. Die Tonhöhe wird bei allen Blechblasinstrumenten, zu denen das hölzerne Alphorn musiktechnisch zählt, wesentlich durch die Spannung der Lippen definiert. Da eine klar definierte Taste zur Bestimmung des Tons fehlt, wird die richtige Tonhöhe einzig über das Hören gefunden. „Wenn man da einen richtigen Ton erzeugen möchte, muss man ihn auch hören können.“ Damit ist das Alphorn nicht nur ein gutes Instrument, um das Hören mit CI zu üben, sondern belegt umgekehrt auch, wie naturnahe das Klangbild mit dem CI ist.

„Ich wollte dann etwas Spezielles machen, um mein CI zu leben!“, denn zur Zufriedenheit mit dem Hörimplantat gesellte sich bei Kirchschlager auch Dankbarkeit, dass er diese Möglichkeit gefunden hatte. „Außerdem mache ich immer gern ein bisserl was Verrücktes.“ Die zündende Idee kam ihm bei einem Wien-Besuch. „Wir waren gemeinsam bei einer Ausstellung über das Hören“, erinnert sich sein Freund und CI-Mentor Manfred Neumann. „Dort, vor einer überdimensionalen Cochlea, hat Heinz plötzlich gesagt: Ich werde ein Alphorn bauen, das so aussieht!“ „Naturinstrumente wie Muschelhorn oder Ziegenhorn haben alle eine ähnliche Form wie die Cochlea“, führt Kirchschlager an. Warum also nicht auch ein Alphorn?

Stundenlange Handarbeit

Von der ersten Idee bis zum fertigen Cochlea-Alphorn hat es dann doch zwei Jahre gedauert. Kirchschlagers Erstlingswerk, ein Naturalphorn, bestand aus einem langen Stamm. Für den Bau des gebogenen Horns fand er in Ing. Gerhard Hadinger den geeigneten Partner. Der Techniker schuf die Grundform auf der CNC-Fräse: 24 halbrunde Einzelteile aus Fichtenholz, die miteinander viereinhalb Windungen ergeben. Dann verlieh Kirschlager dem Instrument in stundenlanger Handarbeit den Feinschliff, vor allem innen, denn nur ein absolut glatter Klangkanal kann reine Töne hervorbringen. Er fügte die Einzelteile jeweils an der Nut mit speziellen Flachdübeln zusammen und verleimte sie. Mit seinen 3,68 Metern Länge ist das Cochlea-Horn auf den Ton F gestimmt. Das Mundstück aus Dirndlholz, dem Holz der Kornelkirsche, und am Abschluss des Bechers der sogenannte Trichter aus Nuss sorgen für ein rundes Klangbild.

„Jetzt, da wir die Technik schon kennen und wissen, wie wir vorgehen müssen, dauert der Bau eines Cochlea-Alphorns zirka drei Monate“, zeigt sich Kirchschlager routiniert. Drei sind es bis Juni geworden, die er auf die Geißenbergalm mitgebracht hat.

Heinz Kirchschlager mit seinem Cochlea-Alphorn bei einer Veranstaltung der Volksmusikgruppe „Schnopsidee“, die das Instrument „Schneckhorn“ nannte. ©Christian Kriegl

Die ganz Ortschaft mobilisiert – und mehr als das!

„Sonne, Berge, Freunde, die ungezwungene Unterhaltung und die Musik in der klaren Bergluft. Die wunderbaren Klangerlebnisse der Alphornbläser am Geißenberg, die ich dank SONNET 2 in aller Tonvielfalt gehört habe“, schwärmt Hans Horak, Obmann des CIA Österreich. „Es war schon ein seltenes Erlebnis, das ich da mit nach Hause nehmen durfte.“

„Ich durfte das Baby in den Armen halten!“, freut sich DI Ewald Thurner, Area Manager MED-EL Wien, noch Tage später. Sogar als Hornist durfte er sich versuchen: „Dazu brauchst du aber eine starke Lunge!“ Was ihn auch beeindruckte, war die Veranstaltung selbst: „Dass eine Person in der Lage ist, eine ganze Ortschaft zu mobilisieren. Heinz ist in seiner Heimatgemeinde völlig inkludiert.“

Auch Trude Moser, Obfrau des CIA-Niederösterreich, zeigt sich beeindruckt von der guten Organisation und den vielen Teilnehmern: „Besonders hat mich gefreut, dass es nach einem ganzen Jahr ein so erfreuendes Wiedersehen mit den zahlreichen Mitgliedern unserer Selbsthilfegruppe geben konnte.“ Kirchschlager hat 2019 erstmals die Weihnachtsfeier des CIA-NÖ mit Musik mit der Steirischen bereichert, darüber würde die CIA-NÖ-Gründerin sich auch bei der nächsten Feier freuen: „Auf seine einmalige Erfindung kann Heinz aber auch sehr stolz sein!“

„Ich bin froh, dass ich nicht zu lange mit der Implantation gezögert habe. Das natürliche Hörvermögen wird einfach nicht mehr besser und man braucht mit dem CI dann ja einige Zeit, bis man zufrieden ist“, ist der Erfinder selbst überzeugt, und: „Mit dem CI ist wieder jedes Instrument möglich!“

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