Glockengießerei optimiert Glocken und Klangschalen nach wissenschaftlichen Berechnungen

Ob der Klang von Kirchenglocken Musik oder Lärm ist, mag Geschmacksache sein. In der Gestalt von Klangschalen gehören die erzenen Klänge jedenfalls zu den Musikinstrumenten großer Orchester.

„Wenn Sie an einem Samstag zu Mittag oben am Berg sind und hören von unten die Glocken läuten, dann ist das etwas Erhabenes“, beschreibt Johannes Grassmayr seine Empfindungen. Die Glockengießerei Grassmayr liegt im Herzen Innsbrucks umgeben von hohen Bergen. Angeschlossen an den ältesten Familienbetrieb Österreichs, der jetzt in 14. Generation von den Geschwistern Grassmayr und ihrem Team betrieben wird, lädt das einzige Glockenmuseum Österreichs zur Entdeckungstour ein.

Die Glockengießerei selbst ist die letzte österreichische Produktion und Restauration für Großglocken. Aus ihrer Werkshalle stammen zum Beispiel die fünf Glocken der neu erbauten Cathedrala National in der rumänischen Hauptstadt Bukarest, die größte davon mit über 25 Tonnen Gewicht ist die größte freischwinge Glocke weltweit. Sie ist mit 16 Herz auf den Schlagton c0 gestimmt. Auch die Pummerin im Wiener Stephansdom erhielt 2011 einen neuen Klöppel, an dessen Optimierung und Einbau die Glockengießerei Grassmayr beteiligt war.

Bronzene Zwischentöne

Glocken werden allgemein durch ihren Schlagton oder Nominal gekennzeichnet, jener markante Ton, der beim Anschlag der Glocke deutlich wahrnehmbar ist. Der Nominal ergibt sich aus dem Durchmesser der Glocke und der Wandstärke. Er ist objektiv aber nicht messbar, nur seine Obertöne. Den Schlagton ergänzt unser Gehör aufgrund seiner sonstigen Hörerfahrung, eine „akustische Täuschung“, wie der Experte es nennt. Das Ding-Dong, die zwei leicht unterschiedlichen Schläge einer Glocke, entsteht dann durch unsere Position zur Bewegung der Glocke – physikalisch beschrieben durch den Doppler-Effekt.

„Nicht jede Glocke ist schon ein Musikinstrument“, erklärt Grassmayr. Auf der Suche nach dem perfekten Klang, hat das Unternehmen deswegen gemeinsam mit renommierten Universtäten, wie dem Fraunhofer-Institut oder dem Kompetenzzentrum für Glocken an der Hochschule im Bayrischen Kempten, den Aufbau und Klang von Glocken sogar wissenschaftlich untersucht, erzählt der Unternehmer. „Wir sind auf der Suche nach der Stradivari unter den Glocken!“ Die dabei entstandenen Berechnungen sind heute über Computerprogramme bei der Produktionsplanung im Einsatz.

Die nach dem Krieg fallweise produzierten Blei-Glocken konnten den perfekten Klang natürlich nicht bieten: Jetzt sind bei Großglocken Bronze-Erze in Verwendung. Im Klangraum des Glockenmuseums lädt ein Exponat ein, den Einfluss verschiedener Legierungen und Materialien auf ihren Klang zu erproben.

Zwischen Dur und Moll

Neben dem Material wird das Klangbild auch von der Form der Glocke bestimmt und von der Art, wie und wo der Klöppel an die Glockenwand schlägt. Der Experte Grassmayr spricht von bis zu 500 verschiedenen Arten zu läuten: der Klöppel kann die Glocke noch vor dem Hochschwingen anschlagen oder erst in der höchsten Position, er kann nach dem Anschlag frei ausschwingen, oder beim Absatzläuten mittels Klöppelfänger gestoppt werden.

Die Dimensionen des Klöppels, und wo er wie an die Glocke schlägt, beeinflussen nicht nur den Klang, sondern auch die Lebensdauer der Glocke. Die Glockengießerei Grassmayer war einer der Kooperationspartner beim Forschungsprojekt ProBell, bei dem die voraussichtliche Lebensdauer von Großglocken gemessen wurde. Das vielleicht bemerkenswerteste Ergebnis: Die Wiener Pummerin bekam 2011 einen neuen, optimierten Klöppel.

Auch die Form der Glocken hat sich über die Zeit entwickelt. Bei modernen Glocken steht auch bei der Form das Klangbild im Vordergrund. Die meisten Glocken werden heute als Oktavrippe ausgeführt, beim Schlag hört man neben dem Grundton, die Töne eine Oktav höher, sowie die Prim, die Terz, die Quinte, den Ton eine Oktav unter dem Grundton, sowie bis zu 45 weitere Teiltöne.

„Selbst Glocken, die bei einer Hochzeit jubeln, ziehen bei einer Beerdigung geradezu in den Boden“, erklärt Grassmayr die Klangwahrnehmung von Menschen, die  in fröhlicher Stimmung für Dur-Akkorde sensibler sind, bei trauriger Gemütslage eher für moll-Akkorde. Qualitativ hochwertigen Bronzeglocken bieten mit ihrem vollen Klangbild beide Kombinationsmöglichkeiten zeitgleich dar.

Aus einem Guss

Für den Glockenguss werden drei Formteile benötigt, sowie eine Schablone aus Holz. Auf den aus Ziegeln und Lehm aufgebauten Glockenkern, der den späteren Hohlraum der Glocke darstellt, wird die Falsche Glocke aufgebracht und mittels Schablone geformt. Sie entspricht der späteren Glocke. Die Falsche Glocke wird mit dem dritten Formteil, dem Mantel, umhüllt.

Wenn die Formteile trocken sind, wird die Falsche Glocke entfernt, der Mantel mit Formringen fest umgürtet und zusätzlich im Boden eingegraben. Das verhindert, dass später beim Gießen das heiße Erz die Form sprengt. Der Hohlraum zwischen Kern und Mantel wird mit Glockenspeise, der glühenden Metallmasse, gefüllt. Nach dem Erkalten wird die Form ausgegraben und Mantel und Kern werden abgeschlagen. „Jede dieser großen Glocken ist ein Unikat.“ Grassmayer schmunzelt: „Das ist der Unterschied zum Guglhupf: Wir können die Form immer nur einmal verwenden.“

Um den perfekt harmonischen Klang zu erreichen, wird bei Grassmayr die optimale Form der Glocke computergestützt berechnet und auf die Schablone übertragen. Dem steht die historisch gewachsene, streng eingehaltene Material-Mischung der Formen gegenüber: Dem Lehm werden unter anderen Bierhefe, Zuckermelasse und Graphit, ja sogar Pferdemist beigemengt.  Im Museum kontrastieren die Materialproben zu den sachlichen Schautafeln über historische und technische Details.

Archaisch schöne Kunst

Jedwede Nüchternheit fällt beim Betreten der benachbarten Gusshalle ab. Auf schweren Regalen harren enorme Formringe auf ihren nächsten Einsatz. Die sechs Meter tiefe Grube in der Mitte der Halle verdeutlicht, dass bei Grassmayr möglich ist, was sonst keine Gießerei in Österreich kann: Glocken bis zu 37 Tonnen Gewicht herstellen. „Beim Gieße einer 15 Tonnen schweren Glocke entsteht ein Druck von 112 Tonnen, und auch der entsprechende Auftrieb.“ Deswegen werden die Formen tief  in der Grube aufgebaut und sogar eingegraben. Einmal im Monat quellen aus den beiden Öfen im Nebenraum Tonnen der 1150 Grad heißen Bronze wie ein glühender Lavastrom über riesigen Rinnen bis zur Grube und ergießen sich dort in die Formen. „Wenn Sie Ihre erste Glocke gießen, lernen Sie auch zu beten!“

Bis ein Guss möglich ist, arbeiten abwechselnd Experten zahlreicher Berufe mitunter mehrere Monate lang an einer Glocke, darunter auch Künstler: In der Werkstätte nebenan fertigen drei Bildhauerinnen gerade die Verzierungen einer Glocke, deren Formteile schon in der Halle warten. Die Frauen schneiden Inschriften, Ornamentbänder und sogar naturgetreue Reliefbilder lebender Personen in Silikonplatten, gießen die mit Wachs aus und kleben das Wachs auf die falsche Glocke in der Halle. Die Glocke gehört zu einem vierteiligen Geläut. „Es ist nicht oft der Fall, dass in Österreich eine Kirche ein komplettes Geläut bestellt“, zeigt sich Grassmayr stolz. Meist gehe es um Reparaturen oder den Ersatz einzelner Glocken. Neben dem halbfertigen Geläut für die Kirche im Vorarlberger Ort Schoppenau, wartet zur Zeit unseres Besuchs Anfang 2019 bei der Glockengießerei Grassmayer die vier neuen Glocken für das Priesterseminar in Wien auf ihre Abholung. Sie klingen auf es1, ges1, as1 und h1.

Seit der Spätgotik werden Glocken für solche Glockenspiele aufeinander abgestimmt. Die sich ergebenden Klangkombination wird Motiv genannt und ist oft nach den Anfangstönen liturgischer Gesänge benannt: dem Tedeum, dem Salve regina oder dem Gloria der gregorianischen Choralmesse zum Beispiel.

Glocken im Gleichklang

Unter dem Titel Zusammenklang erklangen im Schweizer St. Gallen 118 Glocken in 29 Kirchen, bis zu 16 Kilometer voneinander entfernt, nach einer Komposition von Natalija Marchenkova Frei. Dagegen muten selbst die größten Glockenspiele österreichischer Kirchen noch klein an. Solch ein Carillon  besteht aus zumindest 23 Glocken, streng der Tonleiter nach gestimmt, die mittels Klaviatur, Walze oder elektronischer Steuerung gespielt werden können. Das größte österreichische Glockenspiel mit 48 Glocken findet sich im Innsbrucker Dom; die etwas kleineren Carillons von Stift Heiligenkreuz und der neue Residenz in Salzburg folgen.

Auch wenn ein Carillon als Musikinstrument gespielt werden kann, kommt es seines Gewichts wegen als Orchester-Instrumente nicht in Frage. Die althergebrachten „Röhrenglockenspiele“ für Orchester können klanglich aber nicht mithalten.

Auch wenn der Ursprung der Glockenkunst  in der Vergangenheit primär Sakralbauten vorbehalten blieben, dienten Uhrschalen in Rathäusern und Fabriken als zeitgebender Gong, erklärt der Fachmann. Die Glockengießerei Grassmayr entwickelte die herkömmlichen Uhrschalen vom Klangkörper zu einem Musikinstrument weiter. So liefert Grassmayer nicht nur Orgelschalen, sondern im Ton fein gestimmte Klangplatten, Tiroler Glöckchen oder Schellen.  Während allgemein der Kammerton a1 mit 440 Herz definiert ist, wurden die Orchesterschalen für die Berliner Symphoniker auf a1 gleich 444 Herz abgestimmt, wie der Kammerton für Sinfonieorchester mancherorts üblich ist. Bis auf drei Cent, kann Grassmayr dank computergestützter Berechnung und präziser Verarbeitung die Instrumente herstellen, ein Halbtonschritt umfasst 100 Cent. Grassmayer erreicht damit eine Genauigkeit, bei der Unterschiede nur für gut geschulte Musiker-Ohren wahrnehmbar sein könnten. Die Ohren der Besucher im Glockenmuseum dürfen im Klangraum noch ein einfaches Glockenspiel erproben.

Weitere Informationen zu Glockengießerei und –museum auf www.grassmayr.at

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