Mehr Lobbying und Engagement von und für Cochlea Implantat Nutzer

Robert Mandara, Vizepräsident der europäischen Dachorganisation der CI-Vereine EURO-CIU und selbst beidseitiger CI-Nutzer, forderte bei der Generalversammlung der EURO-CIU 2022 in Rotterdam alle CI-Nutzer zu mehr gesundheitspolitischem Engagement in eigener Sache auf. Eine Kurzfassung seiner Ansprache.

Wir beanstanden zu Recht, dass der Zugang zu Cochlea Implantaten und zu Prozessor-Upgrades nicht gut genug ist, dass es längst überall ein Neugeborenen-Hörscreening geben sollte, und einiges mehr. Doch wir sind auch die eigenen Advokaten, die Anwälte, die Lobbyisten unserer eigenen Anliegen! Unser Erfolg hängt davon ab, wie nachdrücklich wir selbst unsere Anliegen vertreten.

CI-Hersteller können das nicht glaubwürdig tun; Forscher und Kliniker haben keinen so großen Einfluss, wie man hoffen könnte. Weil wir als Nutzer und als deren Familienangehörige am nächsten an der Thematik dran sind, können wir auch am besten darüber sprechen.

Jedes Mal, wenn wir mit unseren CIs gesehen werden, schärfen wir dabei ganz automatisch das Bewusstsein für Cochlea Implantate in der allgemeinen Wahrnehmung. Und wenn wir gemeinsam in einer großen Vereinigung agieren, können wir die Stimme viel lauter erheben als das eine einzelne Person kann.

Die Begeisterung für Cochlea Implantate ist nicht allgemein

Vor wichtigen Entscheidungen soll man alle Möglichkeiten gegeneinander abwägen. Das sollen auch CI-Kandidaten tun. Manche haben dann mit Gehörlosen Kontakt, von denen einzelne grundsätzlich gegen Hörtechnologie und CIs eingestellt sind; die dann sehr überzeugt – und damit überzeugend – argumentieren – auch wenn das die Argumente nicht richtiger macht.

Während der Pandemie wurde das Angebot an Gebärdensprache im Fernsehen verstärkt. Das hat die Gruppe der kulturell Gehörlosen in den Fokus geholt. Wir brauchen im TV jetzt noch mehr Vorbilder mit CI sowie eine ehrliche Berichterstattung über das CI, um hier ein gewisses Gleichgewicht zu erreichen.

Manche Hörgerätehersteller und Hörgeräteakustiker haben auch ein finanzielles Interesse daran, dass ihre Kunden nicht implantiert werden.

Wir argumentieren manchmal gegen uns selbst!

Es ist wichtig, dass wir für alle CI-Nutzer gute Erfolge sicherstellen. Denn wenn manche von uns über ihre „schlechten“ Hörerfolge sprechen, wird das deutlicher wahrgenommen als die „guten“ Hörerfolge der zufriedenen Mehrheit. Horrornachrichten haben überproportionales Gewicht!

Auch sonst müssen wir unsere Worte vorsichtig wählen. So ermahne ich Sie alle, von Cochlea Implantaten immer in der Mehrzahl zu sprechen. „Das CI“ wäre so, als sprächen wir statt von „Augengläsern“ fortan nur noch vom „Monokel“! Jedes Mal, wenn von „einem CI“ gesprochen wird, stärkt das die Vorstellung, ein CI wäre genug. In den meisten Fällen ist aber bilaterale Implantation besser!

Und hören wir endlich auf, über die Kosten der Cochlea Implantation zu diskutieren. Die Folgekosten von Taubheit ohne Implantat sind deutlich höher. Cochlea Implantate sind eine Investition, deren Gewinn entsprechend den aktuellen Daten bei zehn zu eins geschätzt wird. Umgekehrt ist der Wert von Implantaten für ihre Nutzer unberechenbar. Wenn ein Land es sich leisten kann, nicht zu implantieren, dann kann es sich die Implantation auf jeden Fall leisten! Diese Investition zu verabsäumen, zerstört Menschenleben und beeinträchtigt Familien und die Gesellschaft allgemein.

Kein anderer Teil der Gesundheitsversorgung muss beweisen, dass er profitabel ist – warum dann das CI?! Die Cochlea Implantation ist eine unglaubliche Investitionsmöglichkeit; es gibt keine bessere Zeit zu investieren als jetzt!

Die CI-Versorgung verschlechtert sich – auch in Europa

Seit das Cochlea Implantat vor rund 30 Jahren verfügbar wurde, hat rund eine Million Menschen ein solches Implantat bekommen, rund 250.000 davon in Europa. Das mag sich wie ein großer Erfolg anhören, ist es aber nicht! Heute ist von 20 Menschen, die ein CI benötigen würden, nur einer implantiert! Und die Zahl der CI-Kandidaten steigt rascher als die Zahl der Implantierten.

Diese Zahlen sind zwar geschätzt, aber egal welcher Schätzung Sie vielleicht mehr vertrauen: Das Ergebnis ist immer gleich schockierend. Wenn es 30 Jahre gedauert hat, bis fünf Prozent der CI-Kandidaten auch tatsächlich ein CI bekommen haben, und wenn es in dem Tempo weitergeht, wird es noch 570 Jahre dauern, um das auch den anderen zu ermöglichen. 570 Jahre ist keine Warteliste, da erleben Sie Ihre Implantation nicht mehr!

Wenn die Behandlung einer unheilbaren Erkrankung für uns leistbar wäre, würden wir dann den Tod von 95 Prozent der Betroffenen zulassen? Wir müssen in erster Linie darum kämpfen, diese Wartezeit von 570 Jahren auf ein akzeptables und realistisches Zeitmaß zu reduzieren. Die Implantation allein beseitigt nicht alle unsere Probleme, aber eine höhere Zahl CI-Nutzer bringt mehr gesellschaftliches Gewicht.

Schlüsselfaktoren: Verfügbarkeit, Wahrnehmung und lebenslange Betreuung!

Lassen wir uns nicht zu sehr von jenen Problemen ablenken, die alle hörbeeinträchtigten Menschen betreffen. Wir müssen sehr konkret Gesundheitsministerien, Regierungen, Politiker und Kliniken überzeugen, die nötige Finanzierung und Infrastruktur für ein adäquates CI-Angebot aufzubauen. Mediziner müssen erkennen, wie gut Cochlea Implantate funktionieren. Die Allgemeinheit muss wissen, dass Cochlea Implantate nicht so primitiv arbeiten, wie das in manchen Medien dargestellt wird. Dieses negative Bild führt nämlich dazu, dass viele CI-Kandidaten Angst vor einer Implantation haben. Menschen können ihre kritische Meinung ändern, aber das braucht Zeit. Bei mir hat es 18 Jahre gedauert, meine Meinung zu ändern!

Die europäische Dachorganisation EURO-CIU möchte mit ihrem Netzwerk und ihren Kontakten die Länderorganisationen bei ihrer Arbeit unterstützen. Natürlich ist keiner von uns gelernter Advokat und Lobbyist, aber große Schritte bestehen bekanntlich aus vielen kleinen Schritten. Beginnen wir mit kleinen Aktivitäten, zum Beispiel auf Social Media. Lernen wir voneinander. Und nicht zuletzt binden wir unsere Jugend ein.

„Lernen wir voneinander! Und nicht zuletzt – binden wir unsere Jugend ein!“

©Robert Mandara

Junge CI-Nutzer sind ein enormes Potential!

Junge CI-Nutzer haben fantastische Kommunikationsfähigkeiten. Aber wir vermissen sie in den meisten CI-Organisationen. Entweder wir haben die jungen Leute nicht genug darauf vorbereitet, für ihre eigenen Rechte und Bedürfnisse einzutreten; oder es geht ihnen so gut mit den Implantaten, dass sie schlicht nicht wütend genug über die Probleme sind. Wenn es ihnen so gut geht, ist das großartig. Aber sie müssen verstehen, wie privilegiert sie sind; und dass es ihre soziale Verantwortung ist jenen zu helfen, die wie erwähnt sonst noch 570 Jahre auf diese Privilegien warten müssen. Auch im eigenen Interesse: Wenn neue Behandlungen oder Technologien möglich werden, kann es dann sein, dass sie selbst wieder ganz hintenanstehen müssen.

Wir werden nie alle Probleme gelöst haben, die Herausforderungen werden sich nur verändern. Vielleicht werden eines Tages Cochlea Implantate von einer besseren Lösung ersetzt werden. Das Lobbying für CI-Nutzer wird aber wichtig bleiben, solange noch ein allerletzter CI-Nutzer lebt. Definieren Sie ihre Ziele, verfolgen Sie diese und feiern Sie jeden großen und kleinen Erfolg!

Junge CI-Nutzer haben fantastische Kommunikationsfähigkeiten, sind aber in CI-Organisationen zu wenig aktiv. ©Adobe Stock
Logo Leben mit hoerverlust.at

Leben mit hoerverlust.at

Alles auf einen Klick! hoerverlust.at bietet Betroffenen und Angehörigen umfassende Informationen und Kontaktmöglichkeiten zu allen Bereichen, die Sie auf dem Weg zum Hören benötigen. Mehr zum informativen Wegbegleiter vom ersten Verdacht bis zur optimalen Versorgung finden Sie hier!

ZENTRUM HÖREN

Beratung, Service & Rehabilitation – für zufriedene Kunden und erfolgreiche Nutzer! Mehr zum umfassenden Angebot und engagierten Team des MED-EL Kundenzentrum finden Sie hier!