„Das Cochlea Implantat am tauben Ohr hat mein Leben definitiv einfacher gemacht!“
Die britische Audiologin und CI-Therapeutin Gemma Mole weiß aus eigener Erfahrung, wie man mit einseitiger Taubheit hört und lebt. Sie beschreibt, wie sie mit einem CI, realistischer Erwartung, Motivation und konsequentem Hören ein deutlich einfacheres und geselligeres Leben erlangte.
Bilaterale Implantation ist in Österreich bei beidseits tauben Erwachsenen längst üblich, bei Kindern fast schon selbstverständlich. Anders bei Kindern, die auf einem Ohr taub sind, auf dem anderen mit Hörgerät gut zurechtkommen oder sogar ohne Einschränkungen hören.
Gemma Mole war so ein Kind. Heute leitet sie die Audiologie am Allgemeinen Krankenhaus im englischen Birmingham, arbeitet als Therapeutin beim Hörimplantate-Programm der Stadt und sie hört am tauben Ohr mittels Cochlea Implantat. Am 8. Internationalen Hörimplantate Workshop im Oktober 2022 hat sie ihre Erfahrungen mit den teilnehmenden Fachleuten aus Audiologie und Therapie geteilt.
„Ich bin schon mein ganzes Leben einseitig taub. Meine eigene Schwerhörigkeit war der Grund, warum ich mich für Audiologie interessiert habe. 1987 begann ich meine Ausbildung in Audiologie, 1991 und 1992 jene als Hörtherapeutin für Erwachsene. Seit 2002 arbeite ich als Therapeutin für Cochlea Implantat Nutzer. Ich selbst habe mein Cochlea Implantat dann 2014 bekommen.“
Aufwachsen mit einseitiger Taubheit
„Als Kind kannte ich es ja nicht anders, als mit nur einer Seite zu hören. Ich war etwa fünf Jahre alt, als meine Eltern zufällig bemerkten, dass ich rechts nicht höre. Natürlich brachten sie mich zum Doktor. Unser Praktischer Arzt hat dem aber nicht viel Bedeutung beigemessen, deswegen haben meine Eltern das nicht weiterverfolgt. Ich wurde nicht weiter untersucht, ausgenommen mein Selbstversuch: Ich hielt einen Kopfhörer zum tauben Ohr, um den Unterschied zum hörenden Ohr festzustellen. Alles, was ich dabei erreichte, war, schwindelig zu werden – also blieb es bei diesem einen Versuch.“
„In der Schule wurde es schwierig“
„In der Schule war es für mich schwierig, besonders, wenn es lauter wurde. Mein Mädchenname war Stevens, begann also mit einem „S“. Deswegen musste ich entsprechend der Sitzordnung in unserer Schule auch noch ganz hinten sitzen. Wenn ein Schüler im Unterricht nicht mitkam, schimpften die Lehrer gleich: „Bist du taub, kannst du nicht zuhören?“ So gewann ich bald den Eindruck, dass es nicht gut sei taub zu sein.“
„Ein Lehrer bat mich sogar: „Hör auf, so zu mir hoch zu starren!“ Also hörte ich auch auf, mir mit dem Mundbild zu helfen. So bin ich bald ausgestiegen – im Unterricht und aus der Schule. Die habe ich mit 16 Jahren verlassen. Es hat lange gebraucht, bis ich herausfand, was ich alles erreichen kann. Mit 16 hatte ich kein Selbstvertrauen.“
Als Erwachsene einseitig taub
„Als Erwachsene habe ich dazu geneigt, mehr zuzuhören als mich am Gespräch zu beteiligen. Und ich habe die Leute um mich immer sehr genau beobachtet. Ich mochte es nicht, wenn jemand an meiner tauben rechten Seite saß. Ich mochte keine Besprechungen oder Gruppentreffen, ich mochte keine Hintergrundgeräusche. Mein Selbstbewusstsein blieb schwach. Ich lebte sozial zurückgezogen – im Rückblick kann ich sagen: Ich hatte mein Gesellschaftsleben so adaptiert, dass ich es mit meinen Hörproblemen gut aushalten konnte. Für mich war das aber alles ganz normal und es ging mir damit gut, da ich es nicht anders kannte; bis ich Mutter wurde.“
Als Gemma Mole Mutter eines Zwillingspärchens wurde, änderte das alles
„Mit meinen Zwillingen hat sich für mich etwas geändert: Ich wollte sicher gehen, dass ich nichts von dem falsch verstand, was meine Töchter sagten. Sie saßen immer links von mir, damit ich sie hören konnte. Wenn ich beim Gehen aber beide an die Hand nehmen musste, war jene Tochter an meiner rechten Hand wirklich schlecht dran.“
„Eine meiner beiden Töchter hat bemerkt, dass sie besser die Hand hält, an der ich die Uhr trage – so war es bald immer die andere Tochter, die an meiner rechten Hand ging. Mir tat sie damals sehr leid! Andere Veränderungen – im Sozialleben oder bei Besprechungen – habe ich damals nicht gesucht, die sind im Lauf der Zeit von selbst gekommen. Aber für meine Tochter an der rechten Hand musste ich die Situation ändern!“
„Ich wollte mehr: ein Cochlea Implantat“
„Ursprünglich bekam ich 2010 ein knochenverankertes Hörimplantat. Damit konnte ich Schall auch von der tauben rechten Seite wahrnehmen. Aber dann wollte ich wirklich mehr. So entschied ich mich 2014 für ein Cochlea Implantat.“
Da im Alltag das hörende Ohr das Hören übernimmt, benötigen einseitig taube CI-Nutzer etwas mehr Hörtraining als beidseits taube Nutzer. „Dazu musste ich mir Zeit nehmen und kreativ werden: Ich habe damals mein hörendes Ohr mit einer Schwimm-Otoplastik verschlossen und für meinen Audioprozessor ein Audiokabel verwendet – mit AudioLink und Mobiltelefon geht das heute viel komfortabler. Ich habe jeden Tag zumindest zwei Stunden geübt. Ich würde nicht sagen, dass jeder so viel üben muss – aber so viel wie möglich. Bei den meisten Dingen im Leben kannst du nur besser werden, wenn du viel übst.“
So hat Gemma Mole geübt: motiviert, konsequent und abwechslungsreich
„Ich habe aufgenommenes Übungsmaterial und Online-Übungsprogramme verwendet.“ Für deutschsprachige Nutzer bieten Listen Up! und Hear at Home von MED-EL fertige Audiodateien mit Übungsmaterial. Auch das Online-Musiktraining Meludia ist geeignet. Man kann aber auch Freunde bitten, passende Hörübungen aufzusprechen.
„Bei Audiobüchern habe ich mit Kinderbüchern begonnen: Die werden langsamer gesprochen und man kann meist vorhersehen, was als Nächstes kommen wird. Bei Audiobüchern kann man aber auch die Abspielgeschwindigkeit etwas verringern.“
„Auch bei Fernsehfilmen habe ich den Audioausgang direkt an den Audioprozessor angeschlossen. Anfangs habe ich dabei Untertitel genützt. Ich habe sogar Videospiele mit Ton als Hörtraining genützt. Ich wollte meine Höraktivitäten so abwechslungsreich wie möglich gestalten. Mit der Zeit habe ich zusätzliche Hilfen reduziert, dann das hörende Ohr dazu genommen und dafür Hintergrundgeräusche zugelassen.“
„Ich hatte keine hohen Erwartungen“, versuchte Gemma Mole möglichst realistisch zu bleiben. Schließlich war ihr rechtes Ohr 49 Jahre lang taub. „Aber ich wollte das Bestmögliche erreichen.“ Jetzt, acht Jahre nach ihrer Implantation, wirkt sie zufrieden, wenn sie resümiert: „Ich würde nicht sagen, dass ich mit dem CI so höre wie mit dem normalhörenden Ohr – aber ich höre klar und verständlich. Das Implantat hat mein Leben definitiv einfacher gemacht.“
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