MED-EL Wien feiert heuer sein 30-jähriges Bestehen. gehört.gelesen sprach mit DI Ewald Thurner, Area Manager Wien

Die erste Cochlea Implantation in Wien fand am 16. Dezember 1977 statt. Wie kam es über 15 Jahre später zur Gründung von MED-EL Wien?

Doz. DI Dr. Ingeborg Hochmair, damals noch Ingeborg Desoyer, und Prof. Dr. Erwin Hochmair arbeiteten beide am Institut für Allgemeine Elektronik an der Technischen Universität Wien. Dort entwickelten sie gemeinsam mit Prof. Dr. Kurt Burian von der Medizinischen Universität Wien das erste mehrkanalige, mikroelektronische Cochlea Implantat, das 1977 erstmals implantiert wurde. Bald danach erreichte Erwin Hochmair der Ruf an die Universität Innsbruck. Das Ehepaar Hochmair übersiedelte nach Tirol, weswegen es die Firma MED-EL 1989 in Innsbruck gründete.

1993, also genau vor 30 Jahren, hat sich das CI-Team an der Wiener Universitätsklinik mit dem heutigen Primar Prof. Dr. Wolfgang Gstöttner und Prof. Dr. Wolf-Dieter Baumgartner neu formiert. Das Bestreben des wissenschaftlichen Teams war, die Forschung zum Thema Cochlea Implantation weiter voranzutreiben. Das und die hervorragende zentrale Lage Wiens hat MED-EL veranlasst, eine Niederlassung in Wien zu gründen. Ich wurde dort geschäftlich verantwortlicher Klinischer Techniker, unser Büro war in der Simmeringer Hauptstraße 111.

Diese Aufgabe zu übernehmen: eine richtige Entscheidung?

Bis auf mein „Ja“ zu meiner Ehefrau war es das Richtigste, das ich in meinem Leben gemacht habe!

Schon während meines Studiums der Elektrotechnik an der Technischen Universität Wien wurde mir klar, dass ich meine berufliche Laufbahn in Richtung Medizintechnik lenken möchte.

Durch Zufall, nein es war glückliche Fügung, las ich ein „kleines Inserat“ einer damals unbekannten Firma (gerade einmal zehn Personen waren beschäftigt!). Der Rest ging schnell. Nachdem ich die Firma MED-EL in Innsbruck besuchte, deren elektrisierende Produkte und Personen ich dort kennenlernen durfte, wechselte ich rasch und mit Überzeugung aus dem Osten Österreichs zu dieser Tiroler Firma in den Westen.

Für mich war früh klar, dass ich entweder Technik oder Medizin studieren würde. Heute bin ich sicher, dass die Entscheidung zur Elektrotechnik und zu MED-EL gut und richtig war. Ich fand in meiner neuen Aufgabe Sinnhaftigkeit, Nachhaltigkeit, einen lebensverbessernden Dienst am Menschen und charakterlich starke KollegInnen, die freundlich und immer geradeaus ehrlich sind.

Was waren in diesen 30 Jahren die wichtigsten Meilensteine?

1995 – im bereits zweiten MED-EL Wien-Büro: Ewald Thurner (li.) zusammen mit damaliger Sekretärin Stefania C. und CIA-Gründer Hans Horak. ©privat

Wir haben 1994 mit dem Implantat COMBI 40 begonnen. Das sorgte aber schon 1993 für große Aufregung: Die völlig neue Kodierungsstrategie wurde vorab von NutzerInnen der Firma InnerAid getestet. Das war ein US-amerikanisches CI-System, bei dem der Audioprozessor perkutan, also durch die Haut mit einem Stecker, mit einem ganz einfachen Implantat verbunden war – ähnlich, wie das bei Knochenleitungsimplantaten mancher Hersteller heute noch der Fall ist.

Damals war das praktisch, weil die Nutzer der InnerAid-Systeme als Erste die CIS-Strategie des US-amerikanischen Professors Dr. Blake S. Wilson ausprobieren konnten: Mit mehr als 800 Pulsen pro Sekunde pro Kanal wurde der Hörnerv stimuliert! Diese InnerAid-NutzerInnen zeigten mit der von MED-EL implementierten neuen Kodierungsstrategie ein Sprachverständnis weit über allem bisher Bekannten.

An der Wiener HNO-Universitätsklinik gab es den Patienten Josef K.  Der hatte bei einem Unfall einen Knochenbruch durch beide Hörschnecken erlitten und dadurch plötzlich sein Hörvermögen verloren. Er bekam als erster CI-Kandidat im April 1994 in Wien das neue COMBI 40 mit CIS-Strategie von Prof. Gstöttner und Prof. Baumgartner implantiert. Bei der Aktivierung fragte Prof. Baumgartner gut akzentuiert und langsam: „Herr Josef K., können Sie mich verstehen?“ Der antwortete spontan und sichtlich verwundert: „Ja freilich versteh´ i´ Ihna. Ihr habt‘s mi jo deswegen operiert!“ Dieses spontane Sprachverstehen mit CI war damals eine Sensation.

Mit Einführung dieser neuen Technik ist die Nachfrage nach Cochlea Implantaten dramatisch gestiegen. Ich war in Folge in meinen ersten Jahren bei MED-EL weltweit unterwegs, in Kliniken und bei Patienten.

Das war fast zeitgleich mit der Eröffnung der MED-EL Niederlassung Wien. Gab es seither weitere Meilensteine?

Das neue Implantat COMBI 40 war wirklich ein Hammer. Der zweite Paukenschlag folgte schon zwei Jahre später mit dem stark verbesserten Implantat COMBI 40+. Unsere Konkurrenz war noch mit der Aufarbeitung des unglaublichen Erfolges des COMBI 40 Implantates beschäftigt, da haben wir schon mit der nächsten Generation nachgelegt. Mit dem COMBI 40+ konnten wir auf zwölf Kanäle und insgesamt 18.000 Pulse erhöhen. 50 Prozent höhere technische Performance! Wir glaubten an diese Technologie und unser Team war sehr dynamisch, deswegen setzten wir das so schnell um. Und die Ergebnisse gaben uns recht!

Als Nächstes erfolgte die Einführung des ersten HdO-Prozessors mit der schnellen CIS-Strategie. Das war der erste Sprachprozessor, der vom Taschenprozessorformat auf ein Hinter-dem-Ohr-Format gebracht werden konnte! Der TEMPO+ wurde 1999 in New York gelauncht. Weitere technologische Entwicklungen folgten regelmäßig. Natürlich kamen alle aus unserer Entwicklungsabteilung in Innsbruck. Aber sie waren und sind Meilensteine auch für unsere Niederlassung Wien. Sie geben uns den nötigen Rückenwind für unsere Arbeit.

Abgesehen von neuen Technologien, blicken Sie auch auf andere wichtige Schritte zurück?

Die aktuelle, teil-komplette MED-EL Wien-Mannschaft mit ihrem Boss Ewald Thurner. ©privat

Ganz wesentlich war sicher die erste wissenschaftliche Publikation 1997 von Prof. Gstöttner und Prof. Baumgartner, die belegte: Der Apex der Cochlea, die Spitze der Hörschnecke im Innenohr, ist entscheidend für das Hören.

Andererseits war auch das erste patientenorientierte Büro in Wien sehr wichtig. Ich habe rasch gemerkt, ich muss näher bei den PatientInnen

sein. Das konnte ich am besten mit einem Standort in der Nähe der Klinik. Mit dem Büro in der Währinger Straße 6 ist es uns erstmals gelungen, sogar CI-Anpassungen vor Ort anzubieten.

Seither gehen unsere KundInnen bei uns ein und aus. Wir schätzen den Kontakt zu den einzelnen NutzerInnen und pflegen gerne den Kontakt zu den Selbsthilfegruppen. Gerade auch gemeinsam mit dem Verein CIA – Cochlea Implantat Austria, möchten wir gerne für NutzerInnen und Betroffene verfügbar sein: ehrlich und offen informieren und verlässlich begleiten. Zum Beispiel auch bei den jährlich stattfindenden Summer Days des CIA. Wir lernen dort, bekommen Einblicke in die Gefühlswelt von Eltern implantierter Kinder und sehen die fantastischen Entwicklungen der CI-Kinder unmittelbar – Jahr für Jahr. Ich bin da sehr gerne vor Ort – bei gemeinsamem Spiel und Spaß lernen wir voneinander. Ich glaube, diese Nähe zu NutzerInnen zeichnet uns hier bei MED-EL Wien aus.

Kommen die CI-Nutzer immer noch direkt zu Ihnen ins Büro?

Vor einigen Jahren war die direkte Patientenbetreuung nicht mehr in unseren Büroalltag zu integrieren. Als Konsequenz haben wir 2016 das ZENTRUM HÖREN in der Fürstengasse eröffnet. Dort finden NutzerInnen neben Beratung, technischem Service und Anpassungen auch logopädische Unterstützung. So konnten wir die Kundennähe erhalten und das Kundenservice dabei sogar ausbauen.

Das ist auch so etwas Schönes bei MED-EL: Wir agieren konsequent logisch. Und wir leben gleichermaßen mit unseren KundInnen, mit unseren NutzerInnen. Dadurch wissen wir, was unsere Produkte leisten – aber auch, wo wir an die Grenzen gelangen. Dieses genaue Hinhorchen auf die Ergebnisse unserer NutzerInnen zeichnet uns aus.

Ist Logik ein so wichtiger Wesenszug von MED-EL?

Ja, logisch! Wir sind ein Hightech Unternehmen!

Grundsätzlich suchen wir nach dem besseren Weg durch breitangelegte Studien, dadurch versuchen wir den kleinen Vorteil oder die kleine Verbesserung zu finden. Durch diese vielen Einzelschritte führt das logischerweise zu Hör- und Komfortverbesserungen für unsere NutzerInnen.

Entwicklungsteam und Firmenleitung denken da strikt rational. Ich komme wie eingangs erwähnt von der TU Wien. TechnikerInnen lieben logische Entscheidungen. Erst wenn zwei Möglichkeiten logisch betrachtet komplett gleichwertig sind, darf in letzter Instanz die Emotion entscheiden. Mit dieser Strategie haben wir unser Implantat-System bis zum aktuellen Stand entwickelt, immer auf Basis wissenschaftlicher Ergebnisse.

Damit haben wir uns aber auch Marketing-Probleme eingehandelt, z.B. Zwölf Elektroden sind schwieriger zu vermarkten als 20. Wenn es aber physiologisch besser und sinnvoll ist, zwölf Elektrodenpaare zu verwenden, dann bleiben wir dabei. Diese Konsequenz hat sichergestellt, dass wir uns kontinuierlich weiter entwickeln konnten und können.

„Ich fand in meiner neuen Aufgabe Sinnhaftigkeit, Nachhaltigkeit und einen lebensverbessernden Dienst am Menschen.“

©Philipp Hicker

Wie wurde aus der Niederlassung Wien zur Betreuung lokaler Kunden dann die Area Wien?

Ich habe ursprünglich als Techniker angefangen. Ich habe also nicht nur Klinik und PatientInnen in Wien betreut – ich war, wie schon erwähnt, von Anfang an als Techniker weltweit unterwegs.

Schnell wurde mir klar, dass ich eigentlich keine separate geführte Verkaufsabteilung brauche. Den Terminus Verkäufer habe ich für uns abgeschafft. Ich bin überzeugt: Wenn die Nützlichkeit des Implantats erwiesen ist, wenn bei den Operationen alles zuverlässig und gut funktioniert, wenn wir als TechnikerInnen gut betreuen und die NutzerInnen mit dem Implantat gut hören – dann wird auch der oder die nächste PatientIn zu uns kommen.

Durch unsere ehrliche, geradlinige, präsente Arbeitsweise mit KlinikerInnen und TherapeutInnen, gepaart mit der streng wissenschaftlich-kontrollierten Entwicklung, genießen wir als Firma hohe Glaubwürdigkeit. Das ist der Hintergrund für die Erweiterung der „Area Thurner“, wie sie bei uns nach wie vor heißt, von Wien ausgehend. Dazu gehören heute neben Österreich auch Zentral-Osteuropa Länder (CEE – Central East Europe) und einzelne Länder darüber hinaus.

Heute bietet MED-EL ein breites Produktportfolio: Cochlea Implantate, EAS-System und Hirnstammimplantat, VIBRANT SOUNDBRIDGE und BONEBRIDGE. Das implantationsfreie ADHEAR feiert heuer den fünften Geburtstag und es gibt sogar passive Mittelohrimplantate von MED-EL.

Ein befreundeter Chirurg der HNO sagte einmal zu mir: „Die Otologie war früher ein eher langweiliger Teil der Medizin mit nur kleinen Operationen. Feine Handarbeit, aber ohne wesentliche Innovationen. Dann kam MED-EL; seitdem ist so richtig Fahrt in die Sache gekommen.“

Den aktuellen Trendsetter sehe ich in der Planungssoftware OTOPLAN. Die zeigt, dass ein guter Start für die späteren CI-NutzerInnen im Operationssaal beginnt. Individualisierung, also die Vorplanung mit patientenspezifischen Daten, ist nur möglich, wenn ChirurgInnen mit OTOPLAN bereits vor dem Eingriff sehen, wie ein Implantat optimal eingesetzt werden kann und vor allem wo die CI-Elektrode letztlich liegen wird. Andere Merkmale spielen da hinein und gehen Hand in Hand für den optimalen Versorgungsverlauf.
Technische Besonderheiten wie unter anderem FineHearing-Kodierung, die Abdeckung der kompletten Cochlea sowie die Atraumatik der Elektrode sind wertvolle MED-EL Alleinstellungsmerkmale.

Aber auch die passiven Hörimplantate sind fantastisch: Mit denen kann man das Hörvermögen des oder der PatientIn von einem Tag auf den anderen wiederherstellen! Ohne Anpassung, ohne alles; vorausgesetzt natürlich, dass die Höreinschränkung der Indikation entspricht.

Welche Überraschungen haben Sie für die Zukunft vorbereitet?

Was von MED-EL kommt, ist in Fachkreisen selten überraschend. Wie gesagt: Wir machen immer logische Schritte. In diesem Sinn freue ich mich auf die kommenden kleinen Innovationsschritte, die in Summe Großes für unsere Nutzer bewegen werden, nach unserem Motto: „Innovation aus Tradition“. Ich freue mich auf noch weiter erhöhte Präzision der Chirurgie unterstützt durch MED-EL-Technik. Ich denke da an einen Ausspruch von Prof. Jan Helms aus Deutschland: „Es mag sein, dass man als sehr routinierter Chirurg „mehr“ kann. Aber lehren darf man nur, was später auch von meinen heutigen Studenten sicher und präzise durchgeführt werden kann.“ Diese Sicherheit in der Durchführung wird mit OTOPLAN, dem OP-Roboter HEARO und weiteren Geräten dieser Art vorangetrieben.

Wir werden präziser, wir werden noch zuverlässiger, wir werden weiterhin mit neuen technischen Features überraschen – ABER: besonders freue ich mich für die Kinder, die wir heute versorgen, denn die werden in der hörenden Welt aufwachsen und mit allen Sinnen leben dürfen.

Übrigens war für mich das Highlight des Jahres 2022, als ein CI-Nutzer mich das Spielen auf der Knopferlharmonika lehrte! Danke Heinz!

3.3. – Welttag des Hörens

Der Welttag des Hörens (World Hearing Day bzw. International Ear Care Day) ist ein weltweiter Aktionstag, mit dem die Weltgesundheitsorganisation WHO gemeinsam mit nationalen Partnern globale Aufmerksamkeit auf die Prävention und Versorgung von Hörminderungen und auf die Bedeutung des Gehörs und dessen Erhalt lenkt.

MED-EL setzt international jährlich Zeichen an diesem besonderen Tag, sind doch laut WHO 1,5 Milliarden weltweit derzeit davon betroffen, Tendenz stark steigend. In Österreich wird rund um den 3. März diesem Thema in zahlreichen Medien über unterschiedliche Kanäle Aufmerksamkeit geschenkt.

Also halten Sie Ihre Ohren und Augen offen und versäumen Sie keinen der spannenden Beiträge zum wichtigen Thema Hören, das die WHO heuer unter das Motto „Hören und Hörversorgung für alle! Lassen wir das Wirklichkeit werden!“ stellt.

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