Cytomegalovirus häufigste Ursache für angeborene, nicht vererbte, fortschreitende Schwerhörigkeit

Eine der möglichen Ursachen für angeborene Hörstörungen ist eine pränatale Infektion mit dem Zytomegalievirus. Eine Therapie sollte weitere Symptome, die sich auf die Kommunikationsfähigkeit auswirken, berücksichtigen; vorbeugende Hygiene während der Schwangerschaft kann Infektionen vermeiden.

Für gesunde Kinder oder Erwachsene ist das Zytomegalie- oder Cytomegalovirus, kurz: ZMV oder CMV, harmlos. Wenn überhaupt, macht sich der Erreger aus der Familie der Herpesviren bei ihnen durch grippeartige Beschwerden bemerkbar. Wie bei Fieberbläschen, Feuchtblattern oder Gürtelrose bleibt das Virus aber im Körper erhalten und kann bei geschwächtem Immunsystem reaktiviert werden. Personen mit defektem Immunsystem können durch CMV an Lungenentzündung oder Hepatitis erkranken.

Besonders gefährlich ist ZMV für Ungeborene: ZMV-Infektionen im Mutterleib sind neben dem Down-Syndrom weltweit eine der beiden häufigsten Ursachen für angeborene Beeinträchtigungen, darunter Höreinschränkungen und andere Kommunikationsstörungen. Die Hör-, Sprach- und Kommunikationsentwicklung infizierter Kinder sollte stetig beobachtet werden, eine Therapie sollte ganzheitlich angelegt sein.

Behinderungen in Folge einer solchen im Mutterleib erworbenen – konnatalen – Infektion kZMV, Englisch: cCMV, sind häufiger als Behinderungen in Folge von Rötelinfektion, HIV-Infektion oder Alkoholmissbrauch; häufiger auch als Plötzlicher Kindstod. Anders als diese, sind das Virus und seine Folgen aber kaum bekannt. Dabei könnte schon erhöhte Hygiene während der Schwangerschaft das Ungeborene erheblich schützen!

Konnatale CMV-Infektion kann Höreinbußen verursachen!

Bei jeder zweiten bis dritten mit ZMV erstinfizierten Schwangeren geht der Erreger auf das noch ungeborene Baby über, bei Reinfektionen ist die Gefahr etwas geringer. Infizierte Kinder können gänzlich symptomfrei bleiben. Eines von zehn infizierten Babys zeigt jedoch schon bei der Geburt Symptome: Gelbsucht, Untergewicht, Lungenentzündung, schlechte Leberfunktion, Fieber, Entzündung des Gehirns, Anfälle.

60 Prozent dieser Neugeborenen mit Symptomen verbleiben mit ernsthaften, dauerhaften geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, darunter auch Hörschäden bis hin zur Taubheit. Auch Gleichgewichtsprobleme und Ernährungsprobleme sind typisch. Besonders hoch ist das Risiko für schwere, dauerhafte Schäden, wenn die Infektion im ersten Drittel der Schwangerschaft erfolgte. Doch auch 10 bis 15 Prozent der symptomfreien Neugeborenen mit kZMV verlieren im Verlauf der Kindheit ihr Hörvermögen.

kZMV-bedingter Hörverlust kann ein- oder beidseits auftreten, gleichzeitig oder mit Verzögerung auf der zweiten Seite. Bleiben in den ersten Lebensjahren Höreinbußen aus, so wirkt sich die Infektion auch in späteren Jahren nicht mehr auf das Hörvermögen aus; aber auch Betroffene mit völlig normaler Hörschwelle verfügen als Erwachsene oft über weniger verbale Ausdrucksfähigkeit, die für Kommunikation nötigen kognitiven Fähigkeiten sind häufig reduziert.

Zur Hörbeeinträchtigung kommen weitere Probleme bei der Kommunikation

„Die Höreinschränkung ist nicht das eigentliche Problem!“, klagen Eltern eines bilateral CI-versorgten Schulkinds, das in Folge einer kZMV-Infektion ertaubt war. CI-Kindern, deren Taubheit auf kZMV zurückzuführen ist, entwickeln Sprachverstehen meist langsamer. Das könnte mit anderen Symptomen zusammenhängen, die als Folge von kZMV auftreten können: vom Hörvermögen unabhängige Verzögerungen beim Aufbau des Wortschatzes, eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung ADHS, reduzierte Impulskontrolle oder eine reduzierte Aufmerksamkeitsspanne, kognitive Verzögerungen oder motorische Funktionsstörungen. Betroffene können lange oder komplexe Sätze schwer verstehen. All das hat erhebliche Auswirkungen auf die schulische Laufbahn und auf die Fähigkeit zu sozialer Kommunikation.

In einer Umfrage in Schweden fordern Eltern betroffener Kinder daher, die einzelnen Symptome nicht voneinander unabhängig zu behandeln, sondern die kZMV-Infektion als zugrundliegende Ursache vermehrt in den Mittelpunkt der Therapie zu stellen. Bei betroffenen Kindern sollten regelmäßige Hörkontrollen erfolgen; es sollten alle Symptome beobachtet werden, die sich auf die Kommunikation auswirken können – inklusive Untersuchungen der kognitiven Fähigkeiten.

Häufigkeit von Zytomegalie: sehr unterschiedlich

In den Entwicklungsländern treten ZMV- und kZMV-Infektionen häufiger auf als in den Industrieländern. Hohe Zahlen würden besonders in Brasilien und Afrika verzeichnet, geringere in Finnland, so Doz. Dr. Ulrika Löfkvist 2022 im Vortrag. Sie forscht im Team von Prof. Dr. Eva Karltorp an der Universität Uppsala zum Thema kZMV: Doch auch in Schweden seien 70 Prozent aller Erwachsenen mit CMV infiziert und 0,5 Prozent aller Neugeborenen.

In manchen Teilen der USA schätzt man, dass in Kinderbetreuungseinrichtungen bis zu 80 Prozent der Kinder infiziert sind. Das Virus wird über Körperflüssigkeiten weitergegeben: Neben Blut, Urin, Muttermilch, Samen und Vaginalflüssigkeit kommen auch Speichel, Tränen und Nasensekret als Übertragungsmedium in Frage. Die werden von Kleinkindern im Überfluss an Gleichaltrige und Betreuungspersonen verbreitet.

Da das Zytomegalievirus durch Schmierinfektion, über Körperflüssigkeiten, weitergegeben wird, hängt seine Ausbreitung von der jeweiligen Bevölkerungsdichte und den Hygienemöglichkeiten ab. Aber auch die Witterungsbedingungen haben Einfluss auf Überlebensdauer und Ausbreitungsmöglichkeiten von Viren. „Schwedisches Wetter ist perfekt für ZMV“, erklärt CI-Spezialist Prof. Dr. Wolf-Dieter Baumgartner, MA. Der Präsident des CIA ist auch an der Karolinska Universitätsklinik in Stockholm aktiv und kennt daher die dortigen Forschungsarbeiten zu ZMV.

Die Verbreitung von ZMV in Österreich ist zwar nicht genau bekannt, die Bedingungen für das Virus sind hier aber vergleichbar mit jenen in Deutschland. Dort tragen laut Robert-Koch-Institut knapp die Hälfte der Erwachsenen das Virus in sich und 0,5 Prozent aller Schwangeren stecken sich an, weltweit sind es zwei Prozent aller Schwangeren. Prof. Baumgartner stuft ein allgemeines ZMV-Screening in Österreich auch aus anderem Grund als nicht sinnvoll ein: „Weil keine Therapie oder Konsequenz damit verbunden ist.“

Ungeborene vor kZMV schützen, betroffene Kinder beobachten

Zur Gefahr kann das sonst harmlose Zytomegalievirus für schwangere Mütter beziehungsweise für deren Ungeborene werden, wenn Schwangere auch ältere Kinder im Kleinkindalter haben und diese herzen oder trösten: Die Gesichter von Kleinkindern sind häufig von Tränen, Speichel und Rotz bedeckt. Laut der Organisation Stop CM Arizona infizieren sich bis zu 4 Prozent aller werdenden Mütter während der Schwangerschaft mit ZMV.

Da es bisher keine Impfung gegen ZMV gibt, raten Ärzte vorbeugend zu erhöhter Hygiene während der Schwangerschaft:

  • Hände häufig und gründlich mit Seife waschen
  • Kleinkinder beim Kuscheln nur auf Kopf oder Stirn küssen, auch bei Erwachsenen keine Küsse auf den Mund
  • Spielzeug regelmäßig reinigen und desinfizieren, nach dem Angreifen von Spielzeug, zum Beispiel beim Aufräumen, die Hände waschen
  • Keine Speisereste anderer verzehren, auch nicht die der Kinder
  • Immer das eigene Geschirr, Besteck, Zahnbürste, Waschlappen und Handtuch benutzen, nicht mit anderen teilen – auch nicht mit Partner oder Kindern

Während ein Neugeborenen-Screening auf kZMV-Infektionen in einigen Provinzen von Kanada und Teilen der USA angeboten wird, steht es in Europa nicht allgemein zur Verfügung. Ist eine pränatale ZMV-Infektion nachgewiesen oder wahrscheinlich, sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen wichtig, inklusive regelmäßiger Kontrollen des Hörvermögens.

Logo Leben mit hoerverlust.at

Leben mit hoerverlust.at

Alles auf einen Klick! hoerverlust.at bietet Betroffenen und Angehörigen umfassende Informationen und Kontaktmöglichkeiten zu allen Bereichen, die Sie auf dem Weg zum Hören benötigen. Mehr zum informativen Wegbegleiter vom ersten Verdacht bis zur optimalen Versorgung finden Sie hier!

ZENTRUM HÖREN

Beratung, Service & Rehabilitation – für zufriedene Kunden und erfolgreiche Nutzer! Mehr zum umfassenden Angebot und engagierten Team des MED-EL Kundenzentrum finden Sie hier!