Generationenübergreifendes CI-Hörtraining mit der Toniebox

Johann Reithmayer nutzt das Spielzeug seiner Enkelkinder für das Hörtraining. Die Idee dazu hatten sein jüngster Enkelsohn und dessen Mutter – mitgemacht hat dann die ganze Familie.

Eva Kohl

@Tonie GmbH

Familie Reithmayer wohnt im Waldviertel, knapp 400 Meter über dem vielleicht romantischsten Abschnitt der Donau. Drei Generationen unter einem Dach: Die Großeltern im Erdgeschoß, eine der Töchter mit ihrem Mann und den beiden Kindern im Stock. Getrennte Wohneinheiten, getrennte Eingänge, doch viel gemeinsame Zeit beim Essen, Plaudern oder Spielen mit den Enkelkindern. Wenn der neunjährige Lukas und sein sechsjähriger Bruder Emil nach einem langen Tag eine Gute Nacht-Geschichte hören wollen, kommen sie vor dem Schlafengehen ein letztes Mal herunter zu den Großeltern: „Opa, wir holen uns die Toniebox. Aber morgen in der Früh bringen wir sie dir wieder, versprochen!“ Denn tagsüber nutzt Opa Johann Reithmayer die Toniebox seiner Enkel für seine Hörübungen.

Die Idee dazu entstand nach einer Entdeckung, die der damals fünfjährige Emil im September 2022 machte. Reithmayer senior war damals frisch mit einem CI implantiert und hatte gerade erst seinen Audioprozessor mit allem Zubehör übernommen. Zuhause probierte er alles aus. „Ich habe gerade den AudioLink ans Handy angesteckt, da ist der Kleine ins Zimmer gekommen.“ Der beobachtete kurz die Szene. Dann verschwand er und tauchte mit seiner Toniebox unterm Arm wieder auf: „Opa, das kann man auch da anstecken, hat er gesagt!“, und dabei auf die Audiobuchse seiner Toniebox gezeigt.

Der Kassettenrekorder war gestern…

Tagsüber leihen die Buben Lukas und Emil ihre Toniebox ihrem Opa zum Üben mit seinem neuen Cochlea Implantat. ©Eva Kohl

Die Toniebox ist laut Hersteller für Kinder ab drei Jahren konzipiert. Sie übernimmt jene Funktion, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Kassettenrekorder hatte: Audioquellen abspielen und aufnehmen. Wobei die Box selbst lediglich als Abspielgerät dient. Als Tonträger fungiert statt der Kassette früherer Tage jetzt eine kleine Kunststofffigur, Tonie genannt. Die steckt man zum Abspielen einfach auf die Box. Rund 700 verschiedene Tonies – auch in unterschiedlichen Sprachen – werden in Spielzeug- und Elektronikgeschäften sowie beim Hersteller direkt angeboten: mit Kinderliedern, Hörgeschichten und sogar Sachinformationen für Kinder.

Möchten Eltern für ihre Kinder deren Lieblingsmärchen selbst aufnehmen – oder die Kinder ihre Fähigkeiten als SängerIn festhalten – benötigen sie dafür sogenannte Kreativ-Tonies und ein konventionelles Smartphone. Letzteres dient als Aufnahmegerät. Mit einer speziellen App wird die Aufnahme dann vom Smartphone auf den Kreativ-Tonie übertragen. Weniger kreative Familien können den Kreativ-Tonie auch aus einer Online-Audiothek beladen: einen von über 600 kostenfreien oder weiteren 3.000 kaufbaren Titeln. Seit Markteinführung 2016 wurden international über fünf Millionen Tonieboxen verkauft. Fast viereinhalb Stunden wöchentlich hören durchschnittliche NutzerInnen ihre Tonies. Die Erfolgsgeschichte eines deutschen Produkts, das die Kinderzimmer eroberte.

Die Möglichkeit, die Toniebox bei der Hörtherapie zu nutzen, wurde von Familie Reithmayer in Niederösterreich entwickelt. Die wöchentliche Nutzung dürfte dazu nur knapp unter dem Durchschnitt liegen.

Familienprojekt Hörtraining

„Opa, das kann man auch da anstecken!“ ©Bernadette Pehmer

„Papier, Haus, Handy, Ballaballa, …“, erklingt eine helle Kinderstimme aus der Toniebox, wenig später tönt es in etwas tieferer Stimmlage: „Frauenbirne, Katzenzweig, Flötengarten,…“ Der Vorschlag, auch mit Nonsens-Wörtern zu üben, kam von Mag. Bianca Wirthner MSc. Sie ist Musiktherapeutin am Universitätsklinikum St. Pölten, wo Johann Reithmayer nach der Implantation auch bei der Hörtherapie war. Dort bekam er den Auftrag, auch zuhause regelmäßig zu üben: am besten mit einem Abspielgerät, das die Übungswörter direkt an den Audioprozessor des Implantats überträgt. Beim gemeinsamen Essen überlegte die Familie, welches Gerät dafür geeignet wäre. Dabei erinnerte sich Tochter Bernadette – Mutter von Emil und Lukas – wieder an die Toniebox ihrer Söhne. Man könnte doch die Übungswörter auf einen der Kreativ-Tonies aufnehmen.

Letztlich war die ganze Familie am Projekt Hörtraining beteiligt: Tochter Bernadette erstellte lange Listen mit Zahlen- und Farbenwörtern, ein- und zweisilbigen Wörtern und zuletzt mit besagten sinnlosen, zusammengesetzten Wörtern. Jedes Familienmitglied las eine dieser Listen aufs Handy auf. Sogar Klein-Emil wollte mithelfen. Da er als Kindergartenkind noch nicht lesen konnte, hat er bei den Aufnahmen einfach jene Wörter gesagt, die ihm gerade so in den Sinn kamen. Vom Smartphone übertrug die Mutter der beiden Toniebox-Besitzer die Aufnahmen auf einen Kreativ-Tonie. Mit dem aufgesteckten Tonie und dem angesteckten AudioLink für die Übertragung zum Audioprozessor wurde die Toniebox zum Übungsgerät für den damals noch CI-unerfahrenen Johann Reitmayer.

Sprache, Musik, Vögel – und sogar den Tennisball hören

„Am Anfang haben wir jedes Wort drei Mal hintereinander aufgenommen“, erzählt Gattin Melitta Reithmayer. Das Verstehen war trotzdem schwierig: In der Mitschrift finden sich fast nur Striche für „nichts verstanden.“ Später sind es immer öfter Häkchen für verstandene Wörter. „Elias, Emil, Eliana, … “, kommen die zuletzt aufgenommenen Wortfolgen in fast ununterbrochener Folge vom Kreativ-Tonie. Alles die Namen der engen Familienmitglieder; 17 insgesamt.

„Im Gespräch redet der Gesprächspartner auch gleich weiter. Zum Überlegen hat man da keine Zeit: Entweder man versteht das, oder nicht“, erklärt Johann Reitmayer im Brustton der Überzeugung. Seine Gattin schmunzelt: „Bei Michael hat mein Mann lange Michelle verstanden…“ Von einer Wortliste zur nächsten gelangt man, indem man seitlich auf die Toniebox klopft. Nur die Reihenfolge der Übungswörter innerhalb der Listen lässt sich nicht variieren. Das war nur zuletzt möglich, beim Üben ohne Toniebox – mit Live-Voice übers Telefon.

„Ohne Bildschirm. Dafür mit viel Fantasie.“ Die Erfinder der Toniebox

Ein Starterset mit Toniebox, Ladekabel und Kreativ-Tonie kostet beim Hersteller €99,95; eine wiederaufbereitete, gebrauchte Toniebox mit zwei Jahren Garantie €59,- und mit Zubehör €74,97 Info auf tonies.com

Besonders schwierig für den Mittsechziger waren die Zischlaute: „Die hohen Töne habe ich vor dem CI ja schon 30 Jahre lang nicht wahrgenommen.“ An diesen Defiziten hat er dann beim Reha-Aufenthalt in Bad Nauheim in Deutschland gezielt gearbeitet. Das hat nicht nur das Sprachverstehen verbessert: „Auch Musik hört sich jetzt viel voller an, runder!“ Das ist jetzt auch schon länger her. „Jetzt ist die Überei nicht mehr so intensiv“, gesteht er und freut sich: „Ich höre jetzt ja sogar beim Tennis am Aufschlag, ob das ein scharfer Ball wird oder nicht.“ Jetzt, ein Jahr nach seiner Implantation, überlegt er, ob ein CI auch am anderen Ohr besser wäre als das konventionelle Hörgerät.

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