Zukunft der Cochlea Implantation mit dem chirurgischen Team der Universitätsklinik Wien
1993, vor 30 Jahren, formierte sich das damals neue CI-Team der Universitätsklinik Wien mit Prof. Dr. Wolfgang Gstöttner, heute Leiter der dortigen Klinischen Abteilung für HNO-Krankheiten, und mit unserem CIA-Präsidenten Prof. Dr. Wolf-Dieter Baumgartner. Heute gehören dem Team sechs weitere ChirurgInnen an: drei CI-ChirurgInnen der jüngsten Generation über ihre Motivation und ihre Forschungsschwerpunkte.
„Es ist für einen Arzt sicher eine sehr schöne Erfahrung, wenn er bei einem Patienten oder einer Patientin eine bösartige Erkrankung heilt“, vermutet Ap. Prof. Priv.Doz. DDr. Thomas Parzefall, CI-Chirurg an der Universitätsklinik Wien. „Aber die Möglichkeit, ein Sinnesorgan durch ein Implantat zu ersetzen, das Gefühl ist einfach sensationell: Wenn wir mit einem Eingriff, der für uns keine drei Stunden dauert, für die betroffenen Patienten und Patientinnen das ganze Leben ändern können! Dieses Gefühl hat man in anderen Bereichen der HNO-Medizin nicht.“ Besonders einprägsam sei diese Erfahrung bei Kindern, deren Eltern nach der Diagnose Schwerhörigkeit oft furchtbar in Sorge sind. Mit den Eltern gemeinsam zu arbeiten und ihnen einen Teil ihrer Sorgen zu nehmen, sei: „einfach ein gutes Gefühl.“
Der 41-jährige Mediziner, selbst Vater, erinnert sich besonders an eine kleine Patientin, die mit einer schweren multiplen Erkrankung an Stoffwechsel, Herz und Hörvermögen geboren wurde. „Das Überleben dieses Kindes war lange nicht sicher.“ Als es nach vier Jahren endlich stabilisiert war, konnten die KlinikerInnen erstmals gemeinsam mit den leidgeprüften Eltern eine Cochlea Implantation überlegen. Die zusätzliche mentale Beeinträchtigung ließ keine Sprachentwicklung erwarten. Trotzdem entschieden sich die Eltern zur Implantation. „Heute beschreiben sie, dass ihre Tochter sich im Wesen völlig geändert hat: weil sie mit dem Implantat jetzt viel mehr Teilhabe hat an der Umgebung.“
Dr. Alice Auinger als dienstjüngste HNO-Fachärztin im CI-Team der Universitätsklinik Wien weiß: „In der Ohrchirurgie allgemein müssen wir besonders präzise arbeiten. Bei einer Cochlea Implantation zum Beispiel kann präzise, mikrochirurgische Arbeit noch vorhandenes Restgehör erhalten, was der Patientin oder dem Patienten Vorteile bringt.“ Aus fachlicher Sicht schätzt sie diese Herausforderung, aus menschlicher Sicht: „natürlich die Freude der Patienten und Patientinnen, die wir zurückgeschenkt bekommen!“
Auch Priv.Doz. DDr. Valerie Dahm faszinierte, welchen Effekt diese HNO-Leistung für Kinder haben kann: „Ursprünglich wollte ich HNO-Ärztin werden, weil ich Cochlea Implantate für Kinder so faszinierend fand: Wie toll ist es, dass ein Kind taub geboren wird und dann trotzdem hören kann! Damals habe ich noch nicht verstanden, wie viel das CI auch erwachsenen Patienten und Patientinnen helfen kann.“ Sie absolvierte ihre weitere Fachausbildung nach der Diplomarbeit an der Rudolfstiftung und dem AKH Wien. Dort wurde sie Teil des CI-Teams und konnte sich bei Assoc. Prof. Priv.Doz. Dr. Christoph Arnoldner auch an der Forschung zur Cochlea Implantation beteiligen, bevor die damals 33-Jährige im Rahmen eines zweijährigen Fellowships 2020 an das Sunnybrook Health Sciences Centre in der kanadischen Stadt Toronto ging.
Ambulante Cochlea Implantation in Kanada
Im Gegensatz zu den USA sind in Kanada fast alle BürgerInnen gesundheitsversichert; wie in Österreich. Trotzdem ist der Zugang zur Cochlea Implantation deutlich schwieriger als hierzulande, erklärt Dahm: „In Kanada bekommt jede und jeder das, was er oder sie dringend braucht. Aber ausgewählte Leistungen“, wie zum Beispiel ein Hörimplantat, „bekommen die Patienten und Patientinnen viel zeitverzögerter als bei uns.“ Das liegt auch an der stark zentralisierten Gesundheitsversorgung in Kanada: Im ganzen Bundesstaat Ontario, dreizehnmal größer als Österreich, stehen für über 15 Millionen Menschen nur drei CI-Zentren zur Verfügung – alle drei in der Nähe von Toronto. Zum Vergleich: In ganz Österreich leben neun Millionen EinwohnerInnen, denen derzeit 14 Kliniken Hörimplantation anbieten können.
Zudem werden Eingriffe, die bei uns mit stationärem Spitalsaufenthalt verbunden sind, in Kanada teilweise ambulant durchgeführt. Auch die Cochlea Implantation.
„Es kann sein, dass ein Patient oder eine Patientin am Tag der Operation acht Stunden Anreise zur Klinik hat. Vier Stunden nach der Operation muss der Patient oder die Patientin wieder abgeholt werden und muss vielleicht wieder acht Stunden heimfahren.“ Auch die Nachbetreuung ist mit derartigen Anfahrtswegen verbunden.
In Kanada laufen deswegen Versuche zur Remote-Programmierung über Internet, doch der Großteil der PatientInnen muss auch zur Einstellung der Systeme direkt an die Klinik. „Nur die Therapie erfolgt mehrheitlich heimatnahe.“
Andererseits führt diese extreme Zentralisierung zu besonders spezialisierten Kliniken, in diesem Fall spezialisiert auf erwachsene Ohr-PatientInnen. „Das war für mich zum Lernen toll“, freut sich Dahm. „Ich konnte da auch viele ungewöhnliche Fälle sehen.“ Darunter auch etliche PatientInnen mit Vestibularis-Schwannom. Sie leiden an einer progredienten Hörminderung. Wenn der Hörnerv bei der Tumorentfernung geschont werden kann, können diese PatientInnen mit einem Cochlea Implantat versorgt werden. In Wien hat man mit dieser Methode gute Erfahrungen gemacht. „Ich habe die Kollegen und Kolleginnen in Toronto dann motiviert, das auch zu versuchen.“ Zwei Patienten wurden schon während des Aufenthalts der Wiener Chirurgin erfolgreich implantiert: „Und ich hoffe, die Klinik führt das so weiter.“
„Die Wichtigkeit des Neugeborenen-Hörscreenings wird endlich allen bewusst!“
„Zum Glück sind Kinderohren anatomisch nicht anders als Ohren Erwachsener“, lacht Dahm. „In Toronto habe ich zwei Jahre lang nur Erwachsene operiert. Jetzt kann ich auch wieder Kinder behandeln.“ Die liegen der HNO-Spezialistin immer noch besonders am Herzen.
Deswegen freut sie sich auf den neuen Eltern-Kind-Pass. Er soll das beidseitige Neugeborenen-Hörscreening von der Empfehlung zur obligatorischen Untersuchung erheben. Wie viele ihrer KollegInnen würde sie sich darüber hinaus ein System zur Nachverfolgung wünschen, speziell bei auffälligen Ergebnissen bei der ersten Untersuchung. Denn: „Die frisch gebackenen Eltern sind nach der Geburt oft überfordert.“ In Kanada zum Beispiel werden die Eltern verlässlich an noch ausstehende Untersuchungen erinnert. „Ich habe das am eigenen Leib erlebt, als mein Sohn geboren wurde. Ich wurde vor dem Untersuchungstermin zwei Mal telefonisch erinnert.“
OTOPLAN: Anatomie vertiefen, Hörimplantat individualisieren und HEARO ermöglichen
Dr. Alice Auinger kennt die zwei- und dreidimensionalen Darstellungen des Ohrs mit OTOPLAN schon aus der Ausbildung: „Die sind für junge Chirurgen und Chirurginnen auch hilfreich, um die Anatomie zu vertiefen.“ Entwickelt wurde OTOPLAN als Planungssoftware für die Personalisierung von Cochlea Implantationen entsprechend der individuellen Anatomie des/der jeweiligen CI-KandidatIn. „Das hat mich gleich interessiert!“, so beschäftigte sich die Klinikerin auch im Zusammenhang mit den Cochlea Implantationen mit diesem Werkzeug.
Die OP-Planung mit OTOPLAN ist auch Voraussetzung für die robotergestützte Cochlea Implantation mit OP-Roboter HEARO. Vor der ersten HEARO-Operation in Wien war es Auingers Aufgabe, die Daten der routinemäßigen Voruntersuchungen aller damaligen CI-KandidatInnen durchzusehen: Wem kann die OP mit HEARO angeboten werden? Die bringt PatientInnen nämlich Vorteile: „Durch die minimal-invasive OP-Technik mit HEARO werden anatomische Strukturen noch besser geschont und die Schädelkontur bleibt erhalten. Dafür sind wir allerdings darauf angewiesen, dass die Röntgenfachinstitute hochauflösende CT-Bilder anfertigen, um die geforderten Parameter in der Planungssoftware bestimmen zu können.“ Jetzt ist es wichtig, die Röntgenfachinstitute diesbezüglich zu sensibilisieren: damit eine HEARO-OP in Zukunft für mehr CI-KandidatInnen möglich wird.
Die weltweit erste Chirurgin, die OP-Roboter HEARO bediente!
Auch bei den roboterunterstützten CI-Operationen selbst ist Auinger immer dabei. Sie ist die Strahlenschutzbeauftragte im Team und daher für die intraoperativen CT-Messungen verantwortlich. Es war der Tag nach dem Weltfrauentag 2023, als Prof. Dr. Arnoldner ihr erstmals auch die Handhabung des Roboters überließ: „Psychologisch schwierig für Chirurgen und Chirurginnen, die Bohrarbeit dem Roboter zu übergeben, ohne selbst die Übersicht zu haben.“ CT, Navigationspunkte und Kontrollmessungen sichern die Vorgehensweise ab, die Verantwortung bleibt letztlich bei dem/der ChirurgIn.
Auingers erste wissenschaftliche Arbeit befasste sich mit dem Sprachverstehen im Stimmengewirr. Das ist bei CI-NutzerInnen deutlich besser, wenn noch vorhandenes Restgehör bei der Implantation erhalten werden kann. Aus Sicht der Klinikerin auch Zukunftspotential für HEARO: „wenn eines Tages mit HEARO Restgehör noch besser erhalten werden kann als jetzt bei der manuellen Cochlea Implantation.“ Eines Tages werde die Operation mit HEARO auch so rasch, einfach und sicher sein, so hofft sie: „dass gerade auch Kliniken mit wenig CI-Erfahrung mit HEARO erfolgreich implantieren können.“
Erste Erfahrungen an einer Schwerhörigenschule in Sri Lanka
Auch Ap. Prof. Priv.Doz. DDr. Thomas Parzefall ist seit Beginn seiner HNO-ärztlichen Ausbildung an der Universitätsklinik Wien beschäftigt. Den ersten Kontakt mit Cochlea Implantaten hatte er aber schon im Anschluss an sein Abitur in Bayern: Er war 15 Monate lang als Zivildiener an einer Gehörlosenschule in Sri Lanka beschäftigt.
Nur 20 bis 30 Prozent der Hörbeeinträchtigten in Sri Lanka hatten damals die Möglichkeit zum Schulbesuch. Besonders in ländlichen Gegenden wurden hörbeeinträchtigte Kinder immer noch häufig als geistig beeinträchtigt eingestuft, bis oft erst nach Jahren zufällig jemand auf die Höreinschränkung und die dafür mögliche Förderung hinwies. Die wirtschaftliche Situation des Landes verhinderte aber vieles an Unterstützung. Bei Spendenaktionen im Ausland wurden zumindest Hörgeräte für jene Kinder mit Hörresten gesammelt und Batterien finanziert, erzählt Parzefall: „sodass zumindest für den Großteil der Zeit die Hörgeräte auch genutzt werden konnten.“
Die sehr engagierten Eltern eines Kindes arrangierten, dass dieses Kind in Indien einseitig ein Cochlea Implantat bekam. Obwohl das Kind bei der Implantation bereits vier Jahre alt war, nahm es mit dem CI eine gute Entwicklung. „Wir hätten uns dann bemüht, auch weitere Kinder mit CI zu versorgen. Aber das war wirtschaftlich nicht möglich.“ Trotzdem hatten diese Erfahrungen hilfreiche Auswirkungen auf viele Kinder. „Damit war für mich emotional schon die Bahn zum Thema Hören gelegt. Das hat mich nie wieder losgelassen.“ Parzefall ging zum Medizinstudium nach Österreich und ist seit zwölf Jahren am Wiener AKH tätig.
Genetische Abklärung kann vielfach helfen!
Mit molekularer Genetik bei Hörstörungen befasste sich Parzefall bereits seit 2007 im Rahmen seiner Diplomarbeit. Bei einem 18-monatigen Forschungsaufenthalt an der Universität in Tel Aviv in Israel konnte er diese Kenntnisse vertiefen. Heute leitet der HNO-Spezialist eine eigene Forschungsgruppe für Hörgenetik an der Universitätsklinik Wien. Dabei geht es um wissenschaftliche Erkenntnisse mit durchaus praktischem Nutzen, wie er meint: Bei bis zu 70 Prozent aller schwerhöriger Kinder und Jugendlichen ist die Höreinschränkung auf Gendefekte zurückzuführen. Eine genetische Ursache zu erkennen, schütze Familie und Umfeld betroffener Kinder vielfach vor unbegründeten Selbstvorwürfen, die Schwerhörigkeit verursacht oder nicht verhindert zu haben. Das eventuelle Risiko zu einer Schwerhörigkeit für spätere Geschwisterkinder zu kennen, helfe auch bei der weiteren Familienplanung und Vorbereitung.
Bis zu 20 Prozent betroffener Kinder weisen zudem neben den Höreinschränkungen weitere, oft schwerwiegende Beeinträchtigungen von Herz, Niere, Kognition oder Stoffwechsel auf. „Auch die Sorge, die Hörbeeinträchtigung könnte in dieser Weise syndromal sein, können wir meist entkräften.“ Aber auch für die Familien der Kinder mit syndromal bedingten Höreinschränkungen kann die Information darüber wesentlich sein, um entsprechende Kontrolluntersuchungen zu planen und Therapiekonzepte anzupassen.
Gentherapie kommt, aber: „Wenn ich jetzt betroffen bin, ist es Zeit für ein Cochlea Implantat!“
In Zukunft könnte die genetische Abklärung auch Möglichkeiten zu Gentherapie öffnen. Bei der in Österreich häufigsten genetischen Ursache für Hörschäden, einem Connexin 26-Defekt, wird das Hörvermögen zwar schon während der Schwangerschaft geschädigt. Ob eine spätere Therapie noch wirksam wäre, lässt sich im Moment noch nicht sagen.
Doch ein Großteil aller genetisch bedingten Höreinschränkungen sind auf verschiedene andere Gendefekte zurückzuführen. In zwei Konstellationen ist mittelfristig eine sinnvolle Gentherapie zu erhoffen:
- wenn der Hörschaden zwischen der Geburt und dem Ausreifen der Hörbahn eintritt.
- wenn es sich um eine später einsetzende, progrediente Erkrankung handelt.
Bei Letzterer beginnt die Schwerhörigkeit im späteren Kindes- oder Jugendalter und schreitet im Erwachsenenalter fort, mitunter bis zur Ertaubung. In diesem Fall wären 20 bis 30 Jahre Zeit, diesem Fortschreiten mittels Gentherapie vorzubeugen.
Neben dem richtigen Behandlungszeitpunkt ist auch die Applikation der Mittel eine Herausforderung, an deren Lösung noch gearbeitet wird. „Wenn ich jetzt schon von hochgradiger Schwerhörigkeit betroffen bin, ist es Zeit, auch jetzt ein Cochlea Implantat zu setzen. Eine zukünftige Gentherapie würde dann definitiv zu spät kommen“, rät der Wissenschaftler dringend ab abzuwarten. „Und auch in Zukunft wird es viele Patienten und Patientinnen geben, die mit einem Cochlea Implantat besser versorgt sein werden als mit einer eventuellen Gentherapie.“
„Ohrchirurgie hat weiterhin viel Potential!“
„Das Cochlea Implantat und die Ohrchirurgie haben die HNO-Medizin vom medizinischen Randgebiet zu einem Fach gemacht, das ein Sinnesorgan ersetzen kann“, zeigt sich Parzefall begeistert. „Da gibt es weiterhin viel Potential: bei genetischen Ansätzen ebenso wie bei Weiterentwicklungen beim CI, zum Beispiel mit Lichtsignalen.“
„Ich freue mich auf die kommenden Entwicklungen, die ich hoffentlich miterleben darf. Ich möchte aber auch das, was ich lernen und an guter Zusammenarbeit hier an der Universitätsklinik erleben durfte, an nachkommende Kolleginnen und Kollegen weitergeben.“
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