Sonderausstellung anlässlich 150 Jahre HNO-Klinik Wien im Museum für Medizingeschichte

Eine Vorlesung von Prof. Karen B. Avraham am Josephinum in Wien über den aktuellen Stand der Präzisionsmedizin bei genetisch verursachten Hörstörungen war Auftakt zur aktuellen Sonderausstellung zur Geschichte der HNO-Medizin. Anlass zur Ausstellung ist das Jubiläum der HNO-Universitätsklinik Wien, die 1863 als weltweit erste Hals-Nasen-Ohrenklinik gegründet wurde.

Eva Kohl

„Es war die Idee von zwei US-amerikanischen Forschern im letzten Jahrhundert, ein verantwortliches Gen für angeborene Krankheiten zu suchen“, erklärt die Genetikerin Prof. Karen B. Avraham, PhD den ZuhörerInnen bei der Vorlesung im Josephinum in Wien. Tatsächlich stellten Theodore Friedmann und Richard Roblin 1972 im Wissenschaftsmagazin Science ihre Idee vor, bei genetisch verursachten Krankheiten durch die Therapie der jeweiligen Gene den Gesundheitszustand der PatientInnen zu verbessern. 1990 wurde erstmals eine Studie zu einer Gentherapie durchgeführt: Das damals getestete Präparat gegen eine seltene, schwere Fettstoffwechselstörung erwies sich als teilweise erfolgreich und vielversprechend.

Prof. Avraham ist Dekanin der Medizinischen Fakultät an der Tel Aviv Universität in Israel und forscht dort an der Abteilung Humane Molekulargenetik und Biochemie. Unter dem Titel Präzisionsmedizin und -therapie bei genetischen Erkrankungen stellte die Biologin im Dezember 2023 im Vortragsraum des Josephinum aktuelles Wissen zu genetisch verursachten Hörstörungen vor. Bisher ist bei 180 Genen bekannt, dass deren Varianz eine Hörstörung bis hin zur Taubheit verursacht. Gentherapien gegen Hörstörungen sind zwar noch nicht verfügbar, trotzdem können PatientInnen von den Erkenntnissen der Forschung schon profitieren.

Die Ohrmedizin der Zukunft

Anatomisches Ohrmodell aus dem 20. Jahrhundert ©Josephinum/Bene Croy

Prof. Dr. Wolf-Dieter Baumgartner, MBA der Medizinischen Universität Wien stellte im Rahmen der Vorlesung klar: „Hörstörungen sind ein Symptom.“ Zu wissen, welches Gen angeborene Höreinbußen verursacht, wäre nicht nur Voraussetzung für eine Gentherapie. So präsentierte Prof. Avraham Daten einer großangelegten Studie in Israel und Palästina: In beiden Bevölkerungsgruppen sind 30 Prozent genetisch bedingter Hörstörungen auf eine Varianz von Connexin 26 zurückzuführen, einem Teil des Chromosom 13.

Während syndromale genetische Erkrankungen mehrere, teils schwerwiegende Symptome verursachen, beschränken sich bei der a-syndromalen Connexin 26-Schwerhörigkeit die Folgen der Gen-Varianz auf die Höreinbußen selbst. Weitere Einschränkungen sind für Betroffene nicht zu befürchten: Genetische Abklärung kann also helfen, die Therapie präzise an den oder die individuelleN PatientIn anzupassen.

Auch für die Hörerfolge mit einem Cochlea-Implantat ist relevant, welche Gen-Varianz die Höreinbußen verursacht. „In Zukunft wird vielleicht ein Gentest nach der Geburt helfen, das Symptom Hörverlust zu beseitigen“, wagte die Wissenschaftlerin im Vortragsraum des Josephinum einen Ausblick.

„v.l.n.r.: Prof. Dr. Wolf-Dieter Baumgartner, MBA, HNO-Universitätsklinik Wien, Prof. Karen B. Avraham, Dekanin der Medizinischen Fakultät, Abteilung Humane Molekulargenetik und Biochemie an der Tel Aviv Universität in Israel und Dr. Christiane Druml, Direktorin des Josephinum und Inhaberin des UNESCO Lehrstuhls für Bioethik, im Vorlesungssaal des Josephinum.“ ©Eva Kohl

Wachsmodelle für „die ausg´schamten Wienerinnen“

1785 von Joseph II als k.k. medizinisch-chirurgische Josephs-Academie für angehende Militärärzte errichtet, beherbergt das Josephinum heute mehrere Institute der Medizinischen Universität: Ethik, Sammlungen und Geschichte der Medizin, sowie den UNESCO Lehrstuhl für Bioethik. Doch von Beginn an war das Haus zu bestimmten Zeiten auch für die Öffentlichkeit zugängig. Und bald schon war es bekannt für die umfangreiche Sammlung von Wachsmodellen aus dem 18. Jahrhundert, die heute in den Räumen neben dem Vortragssaal im ersten Stock zu bestaunen ist.

Im Gegensatz zur umstrittenen Wanderausstellung Körperwelten sind die Wachsmodelle im Josephinum reine Kunstprodukte, erstellt auf Basis anatomischer Zeichnungen. Trotzdem sorgten die naturgetreuen und tabulosen Darstellungen damals für Empörung: „Sogar die ausg‘schamten Wienerinnen gehen sich die nackten Modelle anschauen!“

Neuerdings bilden zeitgenössische Körperdarstellungen des in Wien sesshaften, aufstrebenden Malers Alexandre Diop einen künstlerischen Kontrast zu den naturgetreuen Modellen der Dauerausstellung im ersten Stock.

Schwerpunkt Hören – damals und heute

Die Exponate im Erdgeschoß widmen sich hingegen der Entwicklung der Medizin vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Im Erdgeschoß ist auch die Sonderausstellung anlässlich 150 Jahre Ohrklinik in Wien zu finden, die zu Redaktionsschluss noch in Vorbereitung war. Kuratorin Mag. Daniela Hahn, BA nennt die fünf Schwerpunkte:

  • Die frühe Geschichte der Ohrheilkunde
  • Die erste Schule für Gehörlosenbildung in Wien
  • Die Entwicklung vom Ohrenarzt zum HNO-Arzt und die Instrumente der HNO-Medizin
  • Das Ohr als Sinnesorgan
  • Die Entwicklung der Hörhilfen bis zum Implantat

Historische Otoskope nach 1865 ©Josephinum/Bene Croy

Die von Prof. Baumgartner mitgestaltete und mitinitiierte Sonderausstellung wird auch einige Exponate der Dauerausstellung einbinden. Ein handlicher Kurzführer soll auf diese Exponate ausdrücklich hinweisen. Auf das mechanische Ohrmodell des Wiener Physiologen Sigmund Exner Ritter von Erwarten zum Beispiel; oder auf die Videowand, wo BesucherInnen eine Cochlea-Implantation an der Universitätsklinik Wien in Echtzeit miterleben können.

Ein Exponat der Dauerausstellung im Bereich Hören stellt die Entwicklung des menschlichen Ohrs dar – im Vergleich zur Entwicklung einer Kaulquappe. Ein Vergleich, der heute eher Retro wirkt. Heute zieht man in der Ohrenheilkunde zum Beispiel die Maus zum Vergleich heran, wie Prof. Avraham im Vortrag erläuterte: Während beim Menschen das Hörorgan im sechsten Schwangerschaftsmonat fertig ausgebildet ist, dauert das bei der Maus bis zum zwanzigsten Lebenstag. Doch die Gene der Maus sind den menschlichen sehr ähnlich. In Kombination mit dem kurzen Lebenszyklus dieser Tiere sind das ideale Voraussetzungen, zukünftige Behandlungsmethoden genetischer Hörstörungen zu erforschen. In den Ausstellungen im Josephinum wird Gendiagnostik und -therapie vorerst noch nicht thematisiert.

JOSEPHINUM – Medizinhistorisches Museum Wien

Nach der Komplettsanierung öffnete das Medizinhistorische Museum Josephinum in Wien-Alsergrund am 28. September 2022 seine Tore wieder für die Öffentlichkeit.

Die Sonderausstellung de Auribus zu 150 Jahren HNO-Universitätsklinik Wien wird von 26. Jänner bis 5. Oktober 2024 zu sehen sein; Sonderführungen mit Prof. Baumgartner sind vorgesehen.

WO: Josephinum, Währinger Straße 25, 1090 Wien
WANN: geöffnet Mittwoch bis Samstag sowie an Feiertagen von 10 – 18 Uhr, Donnerstag 10 – 20 Uhr

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