Über die medizinischen Erfahrungen im Bereich Hörimplantation in Boston/USA

Dies ist nun schon der 32. Bericht über meine internationalen Aktivitäten und nach zahlreichen Ländern rund um den Globus berichte ich nun von Boston in den USA. 

So wie der letzte Reisebericht über Libyen, ist auch dieser heute speziell, jedoch in anderer Richtung.  Es ist der einzige aller Reiseberichte, in welchem ich nicht als Professor, Lehrer, Chirurg und Vortragender tätig war, sondern ich selbst als lernender Schüler. Und dieser Reisebericht handelt nur teilweise von der HNO-Heilkunde, da ich damals noch auf der Herzchirurgie tätig war und die HNO erst langsam am Horizont heraufschien. Aber lesen Sie mehr:

Im Sommer 1991 nach meiner Promotion in Wien war ich einige Monate als Postdoc auf der Herzchirurgie des Brigham & Women‘s Hospital in Boston/Harvard Medical School tätig. Und das kam so: Wie manche von Ihnen wissen, war ich seit 1988 als Assistent für Versuchstiere bei Professor Udo Losert angestellt. Mein Job war es damals, jahrelang auf die Versuchstiere (Kälber) auszupassen, sie Tag und Nacht zu versorgen und bei den Operationen wie Kunstherz und Herzkreiselpumpe zu assistieren und die Tierintensivstation auf damals Station E800 zu betreuen.

Mein Chef war natürlich Prof. Udo Losert, aber meine unmittelbaren Vorgesetzen waren z.B. Prof. Axel Laczkovics, damals noch „nur“ Dr. Georg Wiesethaler, Dr. Florian Grabenwöger und Dr. Wolfgang Trubel. Dr. Heinz Schima und Dr. Ursula Windberger kamen erst 1989 zum Team. Der Rest ist inzwischen Geschichte der Herzchirurgie.

Nach Beendigung meines Studiums wollte mich Prof. Losert bei den Tierversuchen halten. Meine Erfüllung war jedoch die klinische Medizin am Menschen. Da Österreich 1991 noch kein EU-Mitglied war, konnte ich Prof. Laczkovics nicht mit seiner Berufung als Lehrstuhlinhaber an die damals neu gegründete Universität Herzchirurgie Bochum-Bergmannsheil folgen. Ich blieb also in Wien. Da mich die Herzchirurgie nicht wollte, kam ich bei Prof. Fritz Kaindl an der Universitätsklinik für Kardiologie unter. Die Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz mit Richard Pacher, Johannes Kastner, Jutta Bergler und Thomas Binder war perfekt für mich. Damals wurden die ACE-Hemmer, eine unfassbar wichtige Therapie für Herzinsuffizienz, klinisch zugelassen, nachdem diese von Marc A Pfeffer von der Harvard University in Boston Jahre zuvor biochemisch erfunden wurden.

Wie im sechsten Reisebericht über Australien erwähnt, habe ich 1990 ein Semester in Perth unter anderem auf der Kardiologie im Royal Perth Hospital verbracht. Mein australischer Chef Prof. Roger R. Taylor war der Onkel von Marc A Pfeffer (www.discoverbrigham.org/marc-pfeffer-md-phd/). Bereits 1990 in Australien schmiedeten wir Pläne, wie für mich ein Postdoc-Programm in den USA möglich wäre. Ich hätte übrigens bereits am 1. April 1991 in Boston auf der Kardiologie bei Prof. Marc A Pfeffer beginnen sollen, die Harvard University hat aber den Zusagebrief nach Australia und nicht nach Austria gesendet… Erst Ende Mai erfuhr ich, dass ich bereits seit zwei Monaten in Boston sein sollte.

Bild Acorn Street: Die bekannte Acorn Street besticht durch die friedliche Atmosphäre inmitten der Großstadt Boston. ©Adobe Stock

Diesen Zusagebrief zeigte ich meinem Wiener Chef Prof. Fritz Kaindl. Der war außer sich vor Freude und ich düste sofort in die USA. In Harvard angekommen hatte ich ein sehr nettes, freundliches Aufnahmegespräch mit Prof. Pfeffer. Er war über meinen Lebenslauf exakt informiert und fragte mich, ob ich nicht doch lieber Herzchirurg werden möchte. In der Tat war ja meine kardiologische Erfahrung im Gegensatz zur Chirurgie relativ kurz. In der mir üblichen direkten Art antwortete ich ihm offen die Wahrheit, dass Herzchirurgie zwar ein Ziel sei, aber dass ich unendlich froh bin, bei ihm auf der Kardiologie gelandet zu sein. Nun, Prof. Pfeffer meinte, alles kein Problem, er stelle mich seinem Herz-Thoraxchirurgie-Chef Prof. Lawrence H. Cohn vor. Wenn Prof. Cohn mich wolle, dann könne ich problemlos auf die Herz-Thoraxchirurgie (damals noch ein gemeinsames Fach) wechseln.

Prof. Lawrence H. Cohn – Larry, er war der Gott der Herzchirurgie (bitte unbedingt auf Wikipedia nachlesen!) und er hat mich akzeptiert. Ich begann also auf der Herzchirurgie der Harvard University im Brigham & Women‘s Hospital. Um 5:15 Uhr morgens war ich an der Klinik, und falls nichts los war (also keine akute Katastrophe) bin ich um 20:00 Uhr heimgegangen, dann begann aber erst die Wissenschaftszeit, so bis nach Mitternacht. Es war aber auch nicht unüblich, bis Mitternacht zu operieren und um 1:00 Uhr früh heimzugehen. Samstag war lockerer, da starteten wir erst um 6:00 Uhr früh bis ca 13:00 Uhr. Des Weiteren waren noch zwei Tag/Nachtdienste pro Woche, wo natürlich am nächsten Tag voll weitergearbeitet wurde. Mein unmittelbarer Vorgesetzter war Redmond Burke, MD. (ebenfalls auf Wikipedia nachzulesen!) Er sieht heute noch genauso aus wie damals.

Parallel zu den Versuchstieren auf E800 war ich für die damals I. HNO-Universitätsklinik unter Prof. Klaus Ehrenberger als Student tätig. 1989 begann Dr. DI Kurt Neuwirth-Riedel mit der Computerisierung der HNO-Universitätsklinik. Damals gab es ja noch zwei davon: die I. HNO- Universitätsklinik unter Prof. Ehrenberger und die II. HNO-Universitätsklinik unter Kurt Burian. Da ich im Sommer 1989 auf der Ehrenberger-Klinik famulierte, kam ich gar nicht wieder los, da ich Kurt Neuwirth, später HNO-Arzt in Klosterneuburg, bei seinen Computern half. Später bekam ich sogar die Klinikschlüssel, um die PCs in der Nacht zu warten. Wir sprechen ja hier von den späten 1980er- Jahren, da war das mit den Computern noch nicht so einfach. Jedenfalls wusste mit der Zeit jeder auf der I. HNO-Klinik, dass es mich gibt und dass ich meistens in der Nacht vorbeikomme, um irgendwas mit Neuwirths PCs zu machen.

Vor meiner Abreise nach Boston traf ich noch Prof. Ehrenberger persönlich, da ich ja in meiner Abwesenheit nicht mehr auf die HNO-Klinik schauen konnte und gab auch die Klinikschlüssel zurück. Dies war der erste „richtige“ Kontakt mit Prof. Ehrenberger. Er ließ sich die ganze Sache erklären und meinte, ich müsse unbedingt ins Massachusetts Eye & Ear zu Prof. Nelson Kiang und er gab mir etliche seiner wissenschaftlichen Arbeiten mit, um sie Prof. Kiang zu zeigen. Prof. Kiangs Labor ist das Eaton-Peabody Laboratory Harvard, Mass Eye & Ear Infiramary 4th Floor! – ein Ort der Medizingeschichte und hier beginnt auch unsere Geschichte, die bis heute Bestand hat und unsere heutige HNO hier in Wien nach wie vor unmittelbar täglich beeinflusst!

Die berühmte Moor Hall im Herzen der Universität Harvard in Cambridge/Boston ©Adobe Stock

Ich war mit Feuer und Flamme auf der Herzchirurgie in Boston, die Kollegen und Kolleginnen waren unfassbar nett. Trotzdem, ich hatte Prof. Ehrenberger versprochen, seine Unterlagen Prof. Nelson Kiang vorzulegen, also musste ich dorthin. Die deutschsprachige Community ist in Harvard trotz der Größe relativ klein und ohne einen richtigen Plan fanden wir rasch irgendwie zusammen. Mit dabei waren unter anderem Kai Mithöfer (heute Orthopäde/Sportmediziner in Boston), Simone Wagner (heute Neurologie-Professorin in Heidelberg) und Hubert Löwenheim (heute Ordinarius HNO-Universitätsklinik Tübingen). Dr. Löwenheim hatte damals ein gutes Händchen für die richtigen Lokale und Partygelegenheiten und er war im Eaton-Peabody Laboratory 4th Floor bei Harold Schuknecht und Nelson Kiang! (Wikipedia!)

Der Mittelpunkt der weltweiten Ohrforschung war zu diesem Zeitpunkt dort – und nur dort. Durch Hubert Löwenheim hatte ich plötzlich Zugang dazu. Jeweils am Mittwoch um 17:00 Uhr war Journal Club und Hubert meinte, ich solle doch mal mitkommen. Das war eine super Idee, aber für einen Herzchirurgen, für den ich mich damals schon hielt, fast unmöglich. Irgendwie war es dann aber doch möglich und ich betrat eines Mittwochnachmittags das besagte Heiligtum der HNO. Als erstes kam Prof. Harold Schuknecht (Stapesprothesen, Felsenbeinsammlung!). Als er erfuhr, ich sei aus Wien, waren seine allerersten Worte: How is old Burian doing?“ Prof. Schuknecht war extrem nett, belesen, klug und erfahren, im Prinzip derselbe Typus wie Larry Cohn, aber eben auf HNO-Gebiet.

Prof. Kiang als Chinese was sehr asketisch und ein purer Wissenschaftler, er hatte in den 1960er Jahren die ersten elektronischen Geräte zur Stimulation der Cochlea von William House verteufelt und als sinnloses und human unethisches Experiment abgetan. Erst 35 Jahre später hatte er seinen Irrtum eingestanden, und dies fiel ihm schwer. Wegen Nelson Kiang dauerte die erste Publikation der eigentlich ersten Version eines Cochlea-Implantats von 1961 bis 1973!

Jedenfalls, es ist eine Tatsache, nach Ernst Richter, später HNO-Chef in Linz, war ich der zweite Österreicher im Eaton-Peabody Lab. Den Schweizer Doz. Rudolf Häußler lernte ich 1991 ebenso dort im Labor kennen. Wir feierten im September 1991 im Labor seine Berufung zum HNO-Chef der Universitätsklinik Bern, die heute Prof. Marco Caversaccio leitet. Und Rudi Häußler meinte damals: „Wolfi, aus dir wird sicher ein guter HNO-Arzt“, und dann ging ich wieder auf die Herzintensivstation und konnte es irgendwie nicht glauben. Sooft ich frei hatte, besuchte ich Hubert Löwenheim, Kiang und Schuknecht im Labor und arbeitete ein bisschen mit, es war eine gute Ergänzung zur Herzchirurgie.

Leider musste ich im Herbst 1991 wegen des Bundesheeres zurück nach Wien, mit der Option, nach dem Heer wieder in Boston weitermachen zu können. Aber es kam eben anders. Der Kontakt zum Eaton-Peabody Labor riss bis heute nicht ab. Nach mir waren aus Österreich dort: Lukas Landegger – heute Stanford, Richard Seist – heute Houston, und einige mögen noch folgen. Mit der alten Laborchefin nach Nelson Kiang, Konstantina Stankovic, bin ich seit Jahrzehnten befreundet, ebenso mit dem aktuellen Chef Daniel Polley.

Im Herbst 1991 unfreiwillig zurück in Wien habe ich Prof. Ehrenberger persönlich berichtet. Ob Prof. Kiang seine Papers jemals gelesen hat, weiß ich bis heute nicht. Prof. Fritz Kaindl war ebenso glücklich und ich bekam eine Stelle auf der Kardiologischen Universitätsklinik zugesprochen.

Und dann kam das Österreichische Bundesheer, aber das ist eine andere Geschichte.

Alles Gute und bis zum nächsten Mal, dann wieder mit einer echten CI-Story aus den USA!

PS: Bitte schauen Sie wirklich alle genannten Namen im Internet nach, es ist unglaublich interessant!

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Wolf-Dieter Baumgartner

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