Entwicklungszusammenarbeit gegen Hörverlust

80 Prozent der Menschen mit moderatem bis schwerem Hörverlust leben in Entwicklungsländern. Österreich unterstützt mit vereinten Kräften.

Sebastian Holler MA MA, Hearing Healthcare Alliance

Mishal schaut ins Publikum. Namhafte Mitglieder der pakistanischen Gesellschaft und HNO-Ärzteschaft sowie die Botschafterin und der Wirtschaftsdelegierte Österreichs warten gespannt, dass sie zu sprechen beginnt. Die 13-Jährige wird eine Rede zum Start der Hearing Healthcare Alliance in Pakistan halten, einer Initiative der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit OEZA gemeinsam mit MED-EL.

CI-Nutzerin Mishal bei der Eröffnungsfeier der Hearing Healthcare Alliance in Pakistan ©MED-EL

Mishal wurde ohne Hörvermögen geboren. Sie hatte Glück: bei einem Neugeborenen-Hörscreening hat man das entdeckt. Dank eines Cochlea-Implantats lernte sie zu hören, durch intensive Sprachtherapie auch zu sprechen. Mit jedem Jahr ohne Versorgung wäre das schwieriger geworden. Die meisten Kinder in Pakistan haben weniger Glück. Wie in vielen anderen Entwicklungsländern gibt es in dem Land in Südasien standardmäßig keine Hörscreenings für Neugeborene. Außerdem mangelt es an HNO-Fachkräften, Angeboten zur Sprachtherapie sowie am Zugang zu Hörgeräten und -implantaten.

Hörgesundheit für ein Leben ohne Armut

Wie dringlich freier Zugang zu Hörhilfen ist, hob Robert Mandara, Präsident der EURO-CIU, beim Symposium der Europäischen CI-Dachorganisation im April 2024 hervor: „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir die CI-Versorgung aus einer internationalen Perspektive betrachten und in ganz Europa und darüber hinaus angleichen.“ Die Versorgung mit Hörhilfen zählt neben der Verfügbarkeit von Neugeborenen-Hörscreenings, HNO-medizinischer Versorgung und Angeboten zur Hörrehabilitation zu den Grundsäulen einer guten Hörgesundheitsversorgung. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO forderte schon 2021 in ihrem World Report on Hearing, dass Ohr- und Hörgesundheit für alle Menschen zugänglich sein muss.

Laut WHO leben 80 Prozent der weltweit 430 Millionen Menschen mit moderatem bis schwerem Hörverlust in Entwicklungsländern. Gehörlosigkeit hat besonders dort weitreichende Folgen. Betroffene sind in ihrer Lebensqualität direkt beeinträchtigt. Doch auch die Entwicklung der Heimatländer dieser Betroffenen ist beeinträchtigt: Gehörlose Menschen können meist nur eingeschränkt am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen und sind dadurch zusätzlich von Armut bedroht.

Um auch den Menschen in Entwicklungsländern Zugang zu Hörgesundheitsversorgung zu ermöglichen, kooperiert die Austrian Development Agency ADA, die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, seit Jahren mit dem Tiroler Medizintechnikunternehmen MED-EL sowie mit HNO-SpezialistInnen in den betroffenen Regionen und darüber hinaus. Die in diesem Rahmen ins Leben gerufene Hearing Healthcare Alliance bringt Hilfe vor Ort: Sie verbessert die Lebensqualität von Betroffenen und stärkt langfristig die lokale Hörgesundheitsversorgung in 14 Entwicklungsländern in Afrika und Asien.

Gemeinsam für eine nachhaltige Entwicklung

„Die Privatwirtschaft hat enormes Potenzial, Armut zu reduzieren und Menschen das Werkzeug für ein gutes Leben in die Hand zu geben“, begründet ADA-Geschäftsführer Friedrich Stift die verstärkte Partnerschaft mit Unternehmen. Die im Jahr 2004 gegründete Austrian Development Agency agiert im Auftrag des Österreichischen Bundesministeriums für Europäische und Internationale Angelegenheiten. Sie setzt die operativen Mittel der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit um. Inklusion ist dabei ein wichtiges Ziel und wird in allen von der ADA geförderten Projekten und Programmen mitbedacht. Die ADA beteiligt sich gemeinsam mit anderen Gebern auch an multilateralen Entwicklungsprojekten und nützt ebenso die Innovationskraft privater Unternehmen wie MED-EL.

Der österreichische Pionier für implantierbare Hörlösungen verfügt – zugleich als Basis und Folge seiner Implantat-Entwicklungen – über umfangreiche Kompetenzen in der Hörgesundheit und Hörrehabilitation sowie über ein breites Netzwerk renommierter Fachleute auf der ganzen Welt. Diese Expertise bringt das Unternehmen in die Hearing Healthcare Alliance ein. Gemeinsam mit über 120 lokalen und internationalen PartnerInnen baut die Hearing Healthcare Alliance fehlende Strukturen für bessere Hörgesundheit auf, um das Leben von über 100.000 Menschen nachhaltig zu verbessern.

Schon 2020 würdigte eine Jury aus Caritas, Industriellenvereinigung, Rotes Kreuz, respACT, Umweltdachverband und Wirtschaftskammer das Engagement von MED-EL in den ersten beiden Projektländern Bangladesch und Elfenbeinküste: Für das „exzellent konzipierte und etablierte Projekt, das […] die Lebensqualität sowie die soziale Inklusion erhöht“, verlieh die Jury den TRIGOS Award in der Kategorie Internationales Engagement. Seither haben ADA und MED-EL diese Kooperation ausgeweitet.

Besser versorgt dank Hilfe aus Österreich

2023 ermöglichte die ADA gemeinsam mit öffentlichen Einrichtungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Universitäten und Unternehmen 542 Projekte und Programme mit einem Gesamtvolumen von 815 Millionen Euro, darunter auch die Hearing Healthcare Alliance.

Dank der Hearing Healthcare Alliance gibt es nun in Tansania ein Trainingszentrum für Ohrchirurgie. „Das Zentrum verbessert den Wissensaustausch von HNO-Fachleuten in ganz Ostafrika; und damit auch die Versorgung von Menschen mit Hörverlust“, so Aslam Nkya, Arzt am Muhimbili National Hospital in Dar-Es-Salaam. In Nepal erhielt das Medizinische Institut an der Tribhuvan-Universität in Kathmandu zusätzliche Lehrpersonen und Infrastruktur für Audiologie und Sprachtherapie. Auch an der Ziauddin-Universität im pakistanischen Karachi gibt es nun zusätzliche Ausbildungsangebote für SprachtherapeutInnen. Amina Siddiqui, Direktorin des dort ansässigen College of Speech Language & Hearing Sciences, ist überzeugt, dass das dazu führen wird, dass Menschen mit Hörverlust die stark audioverbal orientierte Gesellschaft mitgestalten können.

Ausbildungsprojekt für SprachtherapeutInnen in Pakistan ©Ear Foundation Pakistan

Durch die Hearing Healthcare Alliance wurden bereits über 40.000 Kinder bei einem Neugeborenen-Hörscreening untersucht; eine einfache Untersuchung wie jene, die damals auch Mishals Leben für immer verändert hat. Bei der Eröffnungsfeier der Hearing Healthcare Alliance in Pakistan ergreift die Jugendliche das Wort: „Vom Zeitpunkt der Diagnose und des Eingriffs hängt ab, ob gehörlose Kinder das Sprechen und weitere Fähigkeiten erlernen. Aus eigener Erfahrung bin ich dafür, dass das so früh wie möglich passiert!“

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