Warum eine frühe Diagnose und rechtzeitige Versorgung mit Cochlea-Implantaten bei Usher Syndrom so wichtig ist!

Was hat Usher Syndrom mit Cochlea-Implantaten und mit den europäischen Gesundheitssystemen in Europa zu tun? Das war Thema beim EURO-CIU Symposium am 5. April 2024 in Wien

Dominique Sturz

Eine ganze Menge! Insbesondere die genetisch bestätigte Frühdiagnose von Usher Syndrom ist nicht nur für betroffene Familien und die CI-Community von enormer Bedeutung, sondern auch für viele weitere Player bis hin zu den europäischen Gesundheitssystemen. Warum? Dies war eines der Themen des diesjährigen Euro-CIU Symposiums. Vorangegangen sind diesem Vortrag meine lange Verbundenheit mit CIA und viele Jahre internationaler Aktivitäten als CI- und Usher Botschafterin.

Musste man sich in den späten 1990er Jahren noch mit einer eher zufälligen klinischen Diagnose von Taubheit zufriedengeben (so auch in meiner Familie), profitiert man heute vom standardmäßigen Neugeborenen-Hörscreening, welches Hörstörungen nach der Geburt detektiert und Ausgangspunkt für die Zuweisung der betroffenen Familien zur molekulargenetischen Abklärung ist. Dadurch kann Usher Syndrom in den ersten Lebensmonaten – noch vor Auftreten der ersten Anzeichen des Absterbens der Sehzellen – diagnostiziert werden. Was macht das für einen Unterschied?

Was bringt die frühe Diagnose?

Für das betroffene Kind:

Die gesicherte Frühdiagnose gibt den Eltern als Verantwortliche die Möglichkeit, für ihr Kind die optimalen Rahmenbedingungen zu schaffen und es vor allem zu stärken: Behandlung der Hörstörung, andere begleitende Maßnahmen zur Entwicklungsförderung, was bei der schulischen Laufbahn, der beruflichen Ausbildung, in der Freizeit, beim Sport, im Umgang mit Familie und Freunden zu berücksichtigen ist. Und die Kinder? Sie wachsen einfach auf damit und erlernen ganz nebenbei einen unkomplizierten Umgang mit den Auswirkungen dieser seltenen Erkrankung, die eben nicht nur durch eine Hörstörung (angeborene Taubheit beim Subtyp 1, angeborenen Schwerhörigkeit bei Subtyp 2 und 3 mit späterer Ertaubung) gekennzeichnet ist, sondern auch von einer Netzhautdystrophie durch Retinitis pigmentosa, welche im Erwachsenenalter zur Erblindung führt. Ein großer Schock durch eine spätere Zufallsdiagnose als Teenager, wenn zum Beispiel der Sehtest für den Führerschein ansteht, bleibt ihnen erspart.

Für die Eltern:

  • Und die Möglichkeit, die oft sehr beunruhigenden Symptome einordnen zu können: Zur Hörstörung gesellen sich Nachtblindheit, Gesichtsfeldeinschränkung, also beispielsweise Stolpern über Gegenstände und Einschränkungen der Sehschärfe, also der Lesefähigkeit, sowie beim Subtyp 1 Gleichgewichtsstörungen.
  • Erleichterung darüber, dass es „nur“ Usher Syndrom ist – also eine nicht lebensbedrohliche Erkrankung – und dass sich nicht noch weitere „mysteriöse“ und beängstigende Symptome einstellen werden
  • Vorbereitung. Planung ist alles, adäquate Vorkehrungen für den Alltag zu treffen und Resilienz aufzubauen, macht das Leben mit Usher Syndrom einfacher.
  • Die Information durch die genetische Beratung, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass weitere Kinder, andere Familienmitglieder oder deren Nachkommen betroffen sein können
  • Vernetzung und Zugang zu ExpertInnen. Mit der gesicherten Diagnose kann gezielt Kontakt zu relevanten Selbsthilfegruppen und PatientInnen-Organisationen sowie zu ExpertInnen aus Medizin, Wissenschaft und Forschung nicht nur im eigenen Land – sondern wie bei seltenen Erkrankungen meist notwendig und üblich – in aller Welt aufgenommen werden. Dadurch erhält man Zugang zu fachkundiger Aufklärung, zu adäquatem Krankheitsmanagement und zu zukünftigen innovativen Therapieformen oder klinischen Studien, für die eine genetisch gesicherte Diagnose Voraussetzung ist.

Für die CI-Community:

Rund ein Drittel der für Hörstörungen verantwortlichen Gene sind Usher Gene (laut Boston Children‘s Hospital). Bei rund zehn Prozent der Kinder mit angeborener Taubheit liegt Usher Syndrom (Subtyp 1) vor. Über 50 Prozent der Fälle von kombinierter Hör- und Sehstörung oder Taubheit und Blindheit gehen auf Usher Syndrom zurück. Kinder mit Usher Syndrom Subtyp 1 (angeborene Taubheit) sowie Betroffene mit Subtyp 2 oder 3 können bei späterer Ertaubung von der Versorgung mit Cochlea-Implantaten profitieren.

Für die weitere PatientInnen-Community aus den Bereichen Hören, Sehen (Retina) und Seltene Erkrankungen:

Eine starke PatientInnen-Community mit einem starken Netzwerk und starken Kooperationen mit Kliniken, Wissenschaft und Forschung hat die Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterstützen, Wissen zu generieren, zukünftige ExpertInnen heranzuziehen und auf politischer Ebene aktiv zu werden, ihre Interessen zu vertreten und Gesundheitspolitik mitzugestalten.

Für Klinik, Wissenschaft und Forschung:

Die molekulargenetisch bestätigte Frühdiagnose von Usher Syndrom bringt entscheidende Vorteile für die betroffene Familie sowie themenbezogene Forschung und Entscheidungsträger. ©Adobe Stock

Aufbau von ExpertInnen-Wissen nicht nur zur Erkrankung selbst, sondern darüber hinaus zu Krankheitsmanagement, Behandlungsleitlinien, Zuweisung zu ExpertInnen-Zentren (zum Beispiel zu den Mitgliedern der Europäischen Referenznetzwerke für Seltene Augenerkrankungen ERN-Eye) ermöglichen adäquaten Umgang mit den Betroffenen, vermeiden falsche oder unnötige Behandlungen und Untersuchungen und reduzieren so die Belastung für die Betroffenen. Und „ganz nebenbei“ werden dadurch die Gesundheitssysteme effizienter genutzt.

Für die Gesundheits- und Sozialsysteme Europas:

Über die effizientere Nutzung hinaus können durch die Kodierung, die mit der genetischen Diagnose einhergeht (ORPHA-, ICD10 oder 11), Register aufgebaut und zuverlässige Daten und Zahlen generiert werden, die den Betroffenen Sichtbarkeit in den Systemen verleihen und wertvolle Informationen für Wissenschaft und Forschung sowie für unsere Gesundheitssysteme zur Planung, Steuerung und Ressourcenzuteilung liefern. Ebenso gilt dies für Sozialsysteme in Bezug auf Zugang zu und Berechnung von Sozialleistungen. Dies erhält vor dem Hintergrund der Schaffung des Europäischen Gesundheitsdatenraumes, European Health Data Space EHDS, und der damit verbundenen Datenräume auf Ebene der EU-Mitgliedstaaten und der zu harmonisierenden Register auf Spitalsebene besondere Bedeutung.

Der Nutzen der molekulargenetisch bestätigten Frühdiagnose von Usher Syndrom geht also weit über das hinaus, was man vermuten würde, und den auf Hörlösungen spezialisierten HNO-ExpertInnen kommt also eine Schlüsselrolle zu. Bleibt zu hoffen, dass sie sich dessen bewusst sind und wir weiterhin auf ihre Unterstützung zählen dürfen.

©privat

Mag. Dominique Sturz

  • Mutter einer erwachsenen Tochter mit Usher Syndrom, bilateral im frühen Kindesalter CI-implantiert
  • CIA Usher Kontakt
  • Patientenvertreterin für Usher Syndrom & Seltene Erkrankungen
  • ePAG ERN-Eye – Vorsitz Europäische Patientenvertretergruppe im ERn-Eye
  • Obfrau-StV Pro Rare Austria – Allianz für Seltene Erkrankungen Österreich
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