Erfolgreicher Cochlea-Implantat-Nutzer aus der Slowakei
Den Tag seiner Cochlea-Implantation bezeichnet Martin Ďuriška als seinen zweiten Geburtstag; den Beginn eines selbständigen und selbstbestimmten Lebens, wie er es dank CI, Schule und energischer, ausdauernder Förderung durch seine Eltern heute führt.
Eva Kohl
Treffen der slowakischen CI-NutzerInnen im Mai 2024: CI-PatientInnen und Fachkräfte der Universitätsklinik Bratislava feiern 30 Jahre Cochlea-Implantation in der Slowakei. Einer der erfahrenen Nutzer am Podium, Martin Ďuriška, war damals noch nicht geboren: „Mein erster Geburtstag war am 7. März 1998, mein zweiter Geburtstag am 10. Dezember 1999 bei meiner Implantation“, beginnt er seinen Vortrag.
Der Projektmanager wurde 1998 als zweites Kind der Familie Ďuriška geboren, bevor das Neugeborenen-Hörscreening in der Slowakei eingeführt war. „Mama konnte mich mit meiner älteren Schwester vergleichen. Sie hatte Bedenken, dass ich vielleicht nicht so reaktionsschnell bin, wie ich es sein sollte. Deswegen rief sie mich immer wieder: Martin, Martinko, Mati!“ Manchmal schien der Bub mit einem Blick oder einem Lächeln zu reagieren, doch dann wieder nicht. Zunehmend verunsichert, suchten die Eltern Gewissheit: „Mein Vater schaltete direkt unter meinem Bett die Bohrmaschine ein. Die war so laut, sicher 90 Dezibel, aber ich habe in keiner Weise reagiert.” Ein Besuch beim HNO-Arzt bestätigte den nun dringenden Verdacht: Sohn Martin war – offenbar von Geburt an – beidseits taub.
“Meine violette Decke – die habe ich immer noch!”
„Für meine Mutter war das wie ein Schlag ins Gesicht”, wundert sich Martin Ďuriška heute, wie emotionslos dieser Facharzt seine Eltern damals informierte: „Ihr Kind ist taub, es wird später an die Sonderschule für Gehörlose gehen.” Die Möglichkeit zur Cochlea-Implantation erwähnte der niedergelassene Mediziner abseits der Hauptstadt damals nichts. Doch Martins Eltern wollten dieses Schicksal nicht einfach hinnehmen. „Sie wandten sich an die Universitätsklinik in unserer Hauptstadt Bratislava. Dort wurde ich mehreren Untersuchungen unterzogen. Anhand der Resultate haben die Spezialisten dort meinen Eltern erklärt, dass ich ein geeigneter Kandidat für eine Implantation bin. Dann haben sie die dazu notwendigen Schritte erklärt.”
An die Aktivierung seines Systems kann der erfahren CI-Nutzer sich heute nicht mehr erinnern, aber an die Termine bei der Logopädin. „Und ich kann mich auch an die Übungen zuhause erinnern. Mit Mama auf der violetten Decke. Zwei Mal am Tag – 30 Minuten in der Früh und 30 Minuten am Nachmittag.” Zielorientiert und konsequent übte Martins Mutter mit ihm. „Ihr erklärtes Ziel war es, mich zu einem unabhängigen Menschen zu erziehen; dass ich zum Beispiel keine Hilfe brauche, wenn ich für irgendwelche Dokumente auf eine Behörde muss. Sie war da richtig fixiert. Meine Großeltern und der Rest der Familie mahnten, sie solle mir doch auch einmal eine Pause gönnen. Aber das tat sie erst, als ich sechs Jahre alt war.”
Mehr sprachlicher Ansporn durch ältere Freunde
„Kleine Kinder haben es nicht so mit dem Sprechen, mit der Sprache, und meine Eltern wussten, dass ich etwas mehr Motivation zum Sprechen brauche, etwas Anregung und Ermutigung.” Deswegen startete Martin im Kindergarten nicht in der altersgemäßen Gruppe der Kleinkinder. „Ich bin direkt in der mittleren Gruppe eingestiegen. Mit fünf Jahren habe ich dann im Kindergarten meine erste Fremdsprache gelernt: Englisch. Mein Freund und ich wetteiferten, wer schneller auf Englisch zählen konnte. Manchmal war er schneller, manchmal ich. Aber dann habe ich ihn total fertig gemacht, denn ich habe die Zahl Elf gelernt“, lacht er. „Die konnte mein Freund noch nicht.“ Später in der Schule kam in der fünften Schulstufe Deutsch als weitere Fremdsprache dazu.
Statt wie prophezeit an einer Gehörlosenschule, wurde Martin Ďuriška mit sechs Jahren an der Regelvolksschule in Komárno eingeschult, in einer Klasse für Kinder mit besonderen Talenten. „Da wusste Mutti dann, dass ich jetzt irgendwie zurechtkommen werde.” Im Unterricht zuzuhören kostete noch Konzentration, doch die Übungen zuhause wurden seltener, bis sie ganz ausblieben. Nur bei den jährlichen Terminen an der Klinik wurde Martin Ďuriška weiterhin vorstellig. Mit dem Gymnasium schließlich wanderte der „kleine Rebell”, wie er sich selbst beschreibt, von der ersten Sitzreihe nach ganz hinten in der Klasse. Auch hier wussten die Lehrkräfte über seine Anforderungen bezüglich Hören Bescheid, doch: „Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eigentlich keine Probleme mehr. Ich war in der Lage zuzuhören, ich konnte alles hören.”
“Ohne Hörvermögen, das wäre ein Verlust für mich!”
Nach der Diagnose taub hatte man den Eltern Ďuriška erklärt, sie sollten ihn an der Sonderschule anmelden. Als Erwachsener würde er ohne Hörvermögen wahrscheinlich irgendwo im Backoffice arbeiten. Dabei wissen alle seine Verwandten und Bekannten: „Du bist so kommunikativ! Du solltest unbedingt mit Menschen arbeiten!” Als Projektmanager einer Firma für Cyber-Security tut Martin Ďuriška das auch: Telefonate und Besprechungen, viel Kommunikation den ganzen Arbeitstag lang.
Natürlich versteht er nicht immer alles zu 100 Prozent. Dann fragt er. Wie neulich auf der Familienfeier seiner Freundin: „Es waren etwa 15 bis 20 Leute da, die ich nicht ganz verstanden habe, die sich alle lautstark unterhielten. Ich registrierte, dass jemand lachte, aber die Aufregung war auf der anderen Seite des Raumes, ich verstand nicht ganz, warum.“ Seine Freundin hat es ihm dann erklärt. „Ich war dann der Letzte, der ins Lachen einstimmte, aber was solls: Ich habe mitgelacht!”
Seine Präsentation in Tále schließt Martin mit einer philosophischen Frage: Ob er nun hörend oder gehörlos sei? „Ich bin ich“, strahlt er selbstbewusst in die Zuhörerschaft. Dann stellt er klar: „All meine Freunde sind hörend. Das war an der Volksschule und am Gymnasium so, an der Uni und auch jetzt. Also würde ich mich grundsätzlich als hörende Person einstufen.”
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