„Wie wird mein Cochlea-Implantat klingen?“
Seit der ersten Cochlea-Implantation 1977 hat sich die CI-Technologie weiterentwickelt – und mit ihr auch Sprachverstehen und Klangqualität mit CI. Aktuelle Studien simulieren den Klang von Cochlea-Implantaten.
Fachleute wissen aus der Praxis, dass die meisten CI-KandidatInnen primär zwei Fragen haben: ‚Wie gut werde ich hören können?‘ und ‚Wie wird es klingen?‘ Die Antwort auf die Frage nach dem erreichbaren Sprachverstehen ist nicht einfach. Zu viele Einflussfaktoren spielen dabei eine Rolle. Sprachverstehen können wir aber wenigstens messen und dann in Zahlenwerten darstellen. Den Klang können wir nur mit mehr oder weniger blumigen Worten beschreiben oder mit bekannten Klangbildern vergleichen.
Der renommierte Entwicklungspsychologe Michael F. Dorman, emeritierter Professor für Linguistik, Hör- und Sprachwissenschaften, stellt sich diesen herausfordernden Fragestellungen schon seit mehreren Jahrzehnten aus wissenschaftlicher Sicht. Erst untersuchte er in unterschiedlichen Forschungsgruppen den Einfluss verschiedener technischer Faktoren auf das Sprachverstehen mit Cochlea-Implantaten. Welche Möglichkeiten er jetzt nutzt, auch den Klang von Cochlea-Implantaten zu untersuchen, erklärt er: „Einseitig taube CI-PatientInnen haben ForscherInnen ein Fenster geöffnet, jene Frage zu beantworten, die beinahe jedeR CI-KandidatIn fragt: ‚Wie wird mein CI klingen?‘
Die Ergebnisse seiner jüngsten Studien sind jedenfalls ermutigend: Für NutzerInnen von CIs mit kurzen Elektroden klingt das CI zwar hochtöniger als das natürliche Hören; für einige CI-NutzerInnen mit langer CI-Elektrode klingt das CI aber nahezu oder sogar völlig ident mit dem natürlichen Hören, andere empfinden den Klang des CI als mehr oder weniger gedämpft, manchmal auch etwas unklarer oder etwas „schärfer“ als das natürliche Hören am anderen Ohr.
„Auf der Suche nach Micky Maus“: Klangbilder beschreiben oder vergleichen
Einer der Vorreiter für in dieser Weise vergleichende Studien waren Sandra Prentiss und ihre Wissenschaftskollegen in den USA: Sie arbeiteten mit einerM CI-NutzerIn, bei welcherM die CI-Elektrode beinahe die vollen zwei Windungen der Hörschnecke abdeckt, wobei ihr oder sein Resthörvermögen bei der Implantation in allen Tonhöhen beinahe unverändert erhalten werden konnte. Vor nunmehr zehn Jahren bat das wissenschaftliche Team dieseN NutzerIn im Rahmen einer Fallstudie, das Tonhöhenempfinden mit dem CI mit jenem des natürlichen Restgehörs am gleichen Ohr zu vergleichen. Die Ergebnisse bestätigten die Zuordnung einzelner Tonhöhen zu konkreten Stellen in der Hörschnecke und damit die Wichtigkeit langer Elektroden. Für tiefe Töne zeigte sie zusätzlich den Effekt der zeitlichen Auflösung auf die Tonhöhenempfindung und bestätigte damit die Wirksamkeit der sogenannten Feinstruktur-Kodierung. Diese Fallstudie gibt aber keine Information über das Klangbild an sich.
Dieser Frage widmete sich dann der US-amerikanische Wissenschaftler Michael F. Dorman gemeinsam mit anderen WissenschaftskollegInnen in mehreren Studien mit einseitig implantierten CI-NutzerInnen mit typischem, natürlichem Hörvermögen auf der anderen Seite. Solche CI-Implantationen bei einseitig ertaubten PatientInnen waren erstmals 2003 im Rahmen einer Studie in Europa durchgeführt worden und sind mittlerweile in vielen Ländern – auch in Österreich – Routine. Anfangs hatten manche Fachleute gezweifelt, ob der künstlich erzeugte Schalleindruck des CIs mit dem natürlichen Schalleindruck auf der anderen Seite vereinbar sei. Dorman und seine KollegInnen baten aber genau solche bimodalen CI-NutzerInnen, den Klang des CIs mit dem natürlichen Hören auf der anderen Seite zu vergleichen. Als akustisches Signal verwendeten sie einige kurze Sätze. Die wurden für das natürlich hörende Ohr dann so lange technisch bearbeitet, bis die StudienprobandInnen den Klang als gleich wie den – unbearbeiteten – Klang des CIs beschrieben.
In der Einleitung zu einer der daraus entstandenen Publikationen schreiben die WissenschaftlerInnen, sie hätten sich bei den so entwickelten Simulationen Micky Maus- oder Roboterklänge erwartet. Das sind jene Bilder, mit denen selbst heute noch manche Menschen den Klang eines Cochlea-Implantats beschreiben, wenn KandidatInnen oder Interessierte danach fragen. Der Klang eines aktuellen CIs ist offenbar aber weit natürlicher als bisher angenommen! Laut Dorman klingt das Sprachsignal der entstandenen Simulationen überwiegend leicht gedämpft, bei extrem kurzen Elektroden wie die Stimmlage kleinwüchsiger Menschen. Einige StudienteilnehmerInnen haben sogar den Klang des CIs als völlig ident mit dem natürlichen Klang am anderen Ohr bewertet – konkret ist das bei einigen NutzerInnen von MED-EL Implantaten mit langen Elektroden der Fall.
Simulation zeigt: Moderne CIs klingen natürlich!
Um die Effekte technischer Kennwerte verständlich zu machen, haben WissenschaftlerInnen verschiedenste Simulationen entwickelt. Dabei ging es aber immer nur um den Vergleich: lange zu kurzer Elektrode, mehr zu weniger Frequenzbänder, mit oder ohne Feinstruktur-Information. Das sind nicht nur für Entwicklungsteams wichtige Informationen: CI-Kandidaten können anhand dieser Simulationen entscheiden, auf welche CI-Merkmale sie besonderes Augenmerk legen wollen. Einen Eindruck über das tatsächliche Klangbild eines Cochlea-Implantats können diese Simulationen aber nicht geben!
Die neuen Simulationen des CI-Experten Michael F. Dorman und seiner KollegInnen wollen genau das. Auch sie verweisen in ihren Ausführungen darauf, dass natürlicher Klangeindruck nicht einfach mit optimalem Sprachverstehen gleichgesetzt werden darf: Auch mit aktueller CI-Technologie ist eine Umgewöhnung auf das CI noch immer unumgänglich. Hörrehabilitation stellt eine optimale Nutzung von Cochlea-Implantaten sicher. Die Hörverarbeitung im Gehirn kann sich an nicht optimalen Klang eines CIs gewöhnen, das dauert aber oft mehrere Jahre – auch ein Ergebnis der Forschungen Dormans. Trotzdem sind die Studienergebnisse beeindruckend: Heute dürfen CI-KandidatInnen bei individuell angepasster Länge der CI-Elektrode naturnahe Klangqualität erhoffen!
Beispiel Elektrodenlänge: Wie technische Merkmale sich auf den Klang auswirken
WissenschaftlerInnen haben schon früh Klangbeispiele entwickelt, um normalhörenden Menschen den Einfluss einzelner technischer Merkmale von Cochlea-Implantaten vorstellbar zu machen; allen voran den Einfluss der Elektrodenlänge. Das menschliche Innenohr nützt „Ortkodierung“: Verschiedene Tonhöhen sind jeweils spezifischen Plätzen in der Hörschnecke zugeordnet. Mit einem Cochlea-Implantat sind genau jene Tonbereiche hörbar, deren Repräsentanz die CI-Elektrode innerhalb der Cochlea, zu Deutsch: Hörschnecke, erreicht. Deswegen ist es besonders wichtig, dass die Länge der Elektrode möglichst genau auf die Länge der Cochlea abgestimmt ist. Für CI-KandidatInnen oder -NutzerInnen mit einer typischen Cochlea bietet faktisch nur der österreichische Hersteller MED-EL Elektroden, welche mit 32 Millimetern lange genug sind, um die Plätze für hohe und tiefe Töne gleichermaßen zu erreichen.
Eine Elektrode mit zum Beispiel nur 24 Millimeter Länge lässt in einer typischen Hörschnecke über drei Oktaven des Frequenzbereichs unerreicht! Um trotzdem alle Tonhöhen hörbar zu machen, arbeiten die Hersteller mit Tricks: mit Frequenzverschiebung und mit Frequenzkompression. Bei Frequenzverschiebung wird Schall mit einer Frequenz von 70 Hertz dort stimuliert, wo ursprünglich 590 Hertz gehört wurden: Alles klingt hochtöniger – man spricht vom Micky Maus-Effekt. Bei der zusätzlichen Frequenzkompression werden sieben Oktaven Hörschall auf vier Oktaven zusammengequetscht. Würde man das bei einem Klavier nachbauen, würde das Klavier nicht nur unangenehm hoch, sondern auch stark verstimmt klingen – wir müssen davon ausgehen, dass das auch beim CI der erzielte Effekt ist.
Eine kürzere Elektrode wirkt sich übrigens nicht nur auf das Klangbild aus, sondern beeinträchtigt im Weiteren auch das Sprachverstehen. Zahlreiche WissenschaftlerInnen zeigen das – zuletzt Tobias Weller und seine Kollegen an der Universitätsklinik Hannover: „Der Nutzen [eines Cochlea-Implantats] ist bei einem Einführungswinkel [der Elektrode] von 540° – 630° deutlich höher als bei einem Einführungswinkel unter 360°, wobei nach 630° kein signifikanter Rückgang zu verzeichnen ist.“
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