Dies ist nun schon der 23. Bericht über meine Aktivitäten rund um den Globus. Heute erzähle ich Ihnen über den Balkanstaat Serbien.
In diesem Bericht geht es um meine medizinischen Erlebnisse im Serbien nach den Balkankriegen der 1990er Jahre. Wie viele von Ihnen kannte ich das „alte“ Jugoslawien als Küstentourist, was dem heutigen Staat Kroatien entspricht. In den 1970er und 80er Jahren war mir als touristischer Besucher die ethnische Sprengkraft des „künstlichen“ Staatsgebildes Jugoslawien nach dem 1. und 2. Weltkrieg nicht bewusst.
Im heutigen Serbien mit Belgrad als Hauptstadt leben ca. sieben Millionen Menschen.
Millionen Serben leben aber auf der ganzen Welt verstreut, von Australien über USA und Kanada, vornehmlich in Österreich und Deutschland. Ich war von 2001 bis heute mehrfach an der HNO- Universitätsklinik Nis mit Prof. Milan Stanković als Chef, an der HNO-Universitätsklinik Belgrad mit Prof. Nenad Arsović als Vorstand sowie am Militärkrankenhaus in Belgrad.
Die Kliniken in Serbien
Das Militärspital ist wie ein kleines AKH Wien und in Serbien am besten ausgestattet. Beim serbischen Militär spielt Geld wohl keine Rolle und der Standard ist dort genauso wie im Wiener AKH. Serbische „Normalbürger“ haben aber keine Chance auf Behandlung im Militärkrankenhaus, dieses ist Armeeangehörigen und deren Verwandten vorbehalten. Noch immer ist die serbische Armee ein Staat im Staat. Ich habe im Belgrader Militärspital die erste VIBRANT SOUNDBRIDGE in Serbien implantiert. Für Armeeangehörige und deren Familien sind Cochlea-Implantate (auch bilateral), VIBRANT SOUNDBRIDGE und BONEBRIDGE kostenfrei, also eine Leistung der Armee, die von den Patienten nicht zu bezahlen ist.
Anders im öffentlichen Krankenkassenbereich, hier ist es nach wie vor sehr schwer, an eine VIBRANT SOUNDBRIDGE oder BONEBRIDGE zu kommen. Kinder oder Säuglinge werden in Serbien inzwischen bilateral implantiert. Hier hat sich in den letzten Jahren viel zum Positiven verändert. Die Belgrader Uniklinik sieht aus wie eine Kopie des alten AKHs oder des alten Wilhelminenspitals. Zwischen den Pavillons gehend könnte man sich auch in Wien wähnen. Sogar das Stiegenhaus im Gebäude ist ident mit dem unserer alten (inzwischen abgerissenen) Klinik in Wien.
Anders in Nis. Mein erster Besuch an der dortigen Klinik war am Montag, dem 17. September 2001, nicht einmal eine Woche nach dem Fall der New Yorker Zwillingstürme. Serbien wurde zwei Tage zuvor Basketballeuropameister. Ich war an diesem besagten Samstag abends mit meinen serbischen Freunden und Gastgebern in Belgrad unterwegs – unbeschreiblich: während die übrige Welt geschockt vom Islamistenterror stillstand, wurde in Serbien die Nacht zum Tag.
Nach dem Krieg
Die Nacht zum Tag machten auch die NATO-Bombardements, die zwei Jahre zuvor im Jahre 1999 stattfanden. Hierbei wurde „versehentlich“ die Uniklinik Nis schwer getroffen, die HNO wurde zerstört. Neben der ebenso „versehentlich“ zerbombten chinesischen Botschaft in Belgrad wurden in ganz Serbien viele zivile Einrichtungen zerstört – mit entsprechend zivilen Opfern. Glücklicherweise erkannten wenigstens ein paar US-Piloten den Unterschied zwischen Budapest und Belgrad, denn bei einem dieser Angriffe wäre um ein Haar Budapest anstelle von Belgrad bombardiert worden.
Im Rahmen meiner zahlreichen Besuche wurde ich auch Augenzeuge der Aufräumungsarbeiten und der Revitalisierung der Klinik in Nis. Bis heute ist die Problematik, dass die Republik Serbien sehr zentralistisch organisiert ist und Geld und Innovation nur schwierig außerhalb Belgrads ankommt. Jedenfalls habe ich in Nis die Cochlea-Implantationen aufgenommen und durchgeführt. Prof. Stanković ist, wie alle serbischen Kollegen (erstaunlich, die Chirurgen waren wirklich immer nur Männer – keine einzige Frau), ein ausgezeichneter Chirurg. Anfangs war der Krieg allgegenwärtig, nun, 20 Jahre später, ist er zwar immer noch da, aber langsam verblassen die Gräuel und die jüngere Generation scheint westwärts gerichtet. Die Audiologie und Hör-/Sprachtherapie Serbiens ist fest in weiblicher Hand. Die Ausbildung aller Kolleginnen und Kollegen, die ich traf und mit denen ich operierte und arbeitete, war ausgezeichnet. Ebenso deren Motivation, viele haben im Krieg schreckliche Tode und Verletzungen gesehen und versucht zu behandeln, der ethische Standard und die Berufserfüllung der serbischen Ärzte ist bewundernswert.
Wirtschaftlich, kulturell, ich möchte auch sagen geistig, in der Einstellung hat sich in den letzten 20 Jahren sehr viel Positives getan. Die Mehrzahl der Serben ist froh, dass die Republik nun auch offizieller EU-Beitrittskandidat ist. Da die jüngere Vergangenheit nach wie vor nicht verarbeitet ist, wird die Zukunft des Landes zwiespältig gesehen. Mein Beitrag zur serbischen Nachkriegsmedizin war die Etablierung des Cochlea-Implantats in Nis und die der VIBRANT SOUNDBRIDGE in Belgrad sowie weitere chirurgische und HNO-akademische Unterstützung. Meine Besuche dauern in der Regel eine Woche und es war auch sozial immer sehr sehr nett. Dass Serben und Serbinnen gerne feiern, ist ja nicht neu.
Ich sehe die Zukunft des Landes inzwischen ein wenig optimistischer. Serbien und Österreich haben in Geschichte und Staatsverlauf mehr gemeinsam, als man wahrhaben möchte. Dieses Verhältnis reduziert sich nicht nur auf das Attentat von Sarajevo 1914. Ich wünsche den Menschen der Serbischen Republik Frieden und den Mut, sich in der Zukunft eines friedlichen vereinten Europas wiederzufinden.
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