Wann sind Hörimplantate die bessere Lösung?

Die Erfolge mit Hörimplantaten wie auch mit konventionellen Hörgeräten verbessern sich laufend, die Einsatzgrenzen der unterschiedlichen Systeme sind daher in ständiger Veränderung. Wir haben uns über die zu erwartenden Hörerfolge erkundigt.

„Zirka 19 Prozent der Bevölkerung leiden an einer Hörminderung, die einer Behandlung bedarf“, erklärt Dr. Thomas Keintzel, Primar der HNO-Abteilung am Klinikum Wels-Grieskirchen. „Goldstandard ist dabei nach wie vor die Hörgeräteversorgung.“ Konventionelle Hörgeräte verstärken Schall – abhängig von Tonhöhe und Lautstärke – so, dass er vom Nutzer gut wahrgenommen werden kann. Nutzer sollten es aber nicht mit dem Gerät bewenden lassen: „Als wesentlicher Faktor hat sich neben dem apparativen Support das Training der Hörverarbeitung etabliert.“

Es gibt jedoch medizinische Ursachen, welche die erfolgreiche Nutzung konventioneller Hörgeräte erschweren oder unmöglich machen oder Hörerfolge damit stark begrenzen: beispielsweise ein verengter oder wiederholt entzündeter Gehörgang, Verknöcherungen im Mittelohr oder andersherum der Verlust der Mittelohrknochen. In manchen Fällen kann eine chirurgische Reproduktion des Normalzustands helfen, doch 75 Prozent aller Hörprobleme bedürfen der apparativen Unterstützung, weiß Prim. Keintzel. „Hier hat sich aber auch die Verwendung von Knochenleitungs- und aktiven Mittelohrimplantaten als wertvolle Alternative zur konventionellen Hörgeräteversorgung etabliert.“

Wenn Verstärkung allein nicht genügt

Aus audiologischer Sicht kommen konventionelle Hörgeräte dann an ihre Grenzen, wenn das Innenohr hochgradig geschädigt ist: Neben der Umwandlung der Schallschwingungen in Nervensignale hat das Innenohr auch eine Funktion, die quasi einem „Vorverstärker“ entspricht. Man spricht von der „Kompression“ des Innenohrs. Diese Fähigkeit geht bei Innenohrschwerhörigkeit, im Fachjargon: „Sensorineurale Schwerhörigkeit“, zunehmend verloren. Deswegen müssen Hörgeräte leise Geräusche mehr verstärken als laute Geräusche.

Dieser „Kompressionsverlust“ des schwerhörigen Ohrs bewirkt eine „Dynamikreduktion“: Der Unterschied zwischen dem leisesten Geräusch, das gerade schon gehört wird, und dem lautesten Geräusch, das gerade noch nicht schmerzhaft ist, wird geringer. Damit geht auch Kontrast zwischen unterschiedlichen akustischen Signalen verloren: Der Nutzer kann mit entsprechender Verstärkung zwar immer noch alles hören, aber das Heraushören bestimmter Klänge, das Verstehen von Sprache und die Konversation werden trotz Hörgerät zunehmend anstrengend bis unmöglich.

Auch die zeitliche Auflösung und die sogenannte „Maskierung“, das Verdecken eines Tons durch einen anderen, vorherrschenden Ton, verändern sich beim schwerhörigen Ohr. All diese Effekte gemeinsam bewirken, dass schon ab etwa 50 Dezibel Hörverlust Sprache in lauter Umgebung immer weniger differenziert werden kann, auch mit Verstärkung. [1]

Moderne Technologien bei konventionellen Hörgeräten helfen

Konventionelle Hörgeräte arbeiten mit verschiedenen Tricks, um den akustischen Kontrast aufzubessern; der Fokus liegt dabei immer auf dem Verstehen von Sprache: Mit Frequenzfiltern werden Tonhöhen gedämpft, die für Sprachverstehen nicht wesentlich sind oder potenziell viele Störgeräusche enthalten. Die Störschallunterdrückung untersucht jeden Tonhöhenabschnitt auf Sprachsignale und verstärkt oder dämpft ihn entsprechend. Richtungsabhängige Mikrofonsysteme verarbeiten bevorzugt Schall aus der vermuteten Richtung des Gesprächspartners. Diese Funktionen sind mittlerweile übrigens auch in Audioprozessoren von Hörimplantaten implementiert.

Die immer besseren Technologien dieses Speech-Enhancements, deutsch: Sprachverbesserung, ermöglichen es auch Nutzern mit stark eingeschränkter Funktion des Innenohrs, mit dem Hörgerät Sprache zu verstehen. Irgendwann stoßen aber auch aktuelle Top-Geräte unter den konventionellen Hörhilfen an ihre Grenzen. Diesen Patienten empfiehlt Prim. Keintzel: „Dann kann mit einer direkten elektrischen Stimulation durch ein Cochlea Implantat eine Verbesserung des Sprachverstehens angestrebt werden.“

Das Verstehen von Sprache ist entscheidend!

„Neben der ständigen technischen Verbesserung sowohl der Hörgeräte als auch der implantierbaren Hörsysteme haben sich auch die Indikationsgrenzen verschoben“, weiß Prim. Keinztel. Wenn Sprachverstehen, kommunikative Inklusion und gute Lebensqualität mit konventionellen Hörgeräten möglich sind, ist eine Operation wenig gerechtfertigt. Zudem bedarf das Hören mit Cochlea Implantat, kurz: CI, einer mehr oder minder ausgeprägten Gewöhnungs- und Übungsphase: Das Zentrale Gehör muss lernen, die technisch erzeugten Signale entsprechend umzusetzen. „Wesentliches Entscheidungskriterium kann die Überprüfung des Sprachverstehens mit dem Hörgerät sein.“ Prinzipiell gilt: Ist das Verstehen von Sprache mit gut angepassten Hörgeräten schlechter, als mit einem CI zu erwarten wäre, empfiehlt sich die Implantation. Dabei sollte aber auch sichergestellt sein, dass dabei ein passendes und optimal angepasstes Hörgerät verwendet wird.

Hört ein CI-Nutzer auf der anderen Seite noch mit Hörgerät, rät der CI-erfahrene Primararzt dann zur Implantation auf der zweiten Seite, wenn die Nutzung oder Nicht-Nutzung des Hörgeräts zu keinem Unterschied beim Sprachverstehen führt. „Bei der Entscheidung für oder gegen eine Cochlea Implantation sollte neben den audiologischen Kriterien aber auch die Tatsache in Betracht gezogen werden, dass der Benefit von einem CI wesentlich vom vorhandenen Resthörvermögen und von der Deprivationsdauer eines Ohres beeinflusst wird.“

Bei Kindern ist die Hör- und Sprachentwicklung das entscheidende Kriterium. „Bei taub geborenen oder vor dem Spracherwerb ertaubten Kindern ist das immer eine interdisziplinäre Entscheidung und muss neben dem Entwicklungsstand des Kindes und kommunikativen Kompetenzen auch soziofamiliäre Aspekte berücksichtigen“, betont Prim. Keintzel. „Bei einseitig taub geborenen Kindern sollten die Eltern jedenfalls über die Limitationen einseitigen Hörens – ohne Richtungshören, mit reduziertem Sprachverstehen in geräuschvoller Umgebung – und über das sensible Zeitfenster des Spracherwerbs informiert werden.“

Prim. Dr. Thomas Keintzel leitet die HNO-Abteilung am Klinikum Wels-Grieskirchen. ©Klinikum Wels-Grieskirchen

Was mit Cochlea Implantat zu erwarten ist

Ein CI umgeht das defekte Innenohr und stimuliert direkt die neuronale Struktur des Hörorgans. Das Hörzentrum muss aber erst lernen, diese künstlich erzeugten Signale zu interpretieren – der Nutzer bedarf der Hörgewöhnung und -übung. Beim österreichischen HNO-Kongress 2021 demonstrierte Prim. Keintzel den Erfolg der Cochlea Implantation:[2] Drei Viertel aller Nutzer verstehen ein Jahr nach der CI-Aktivierung im Störschall so gut wie typische Schwerhörige mit einem Hörverlust von 50 Dezibel: „Durch eine CI-Versorgung kann also ein Sprachinformationsverlust erwartet werden, der nicht größer ist als bei einer mittelgradigen Schwerhörigkeit“, und das auch für zuvor komplett ertaubte Personen.

Prof. Dr. Dr. Ulrich Hoppe, Oberarzt der HNO-Universitätsklinik Erlangen, zeigte beim gleichen Anlass einen Vergleich des Sprachverstehens von CI- und Hörgeräte-Nutzern: Der überwiegende Teil der CI-Nutzer versteht Sprache in lauter Umgebung so gut, wie Patienten mit 25 bis 50 Dezibel Hörverlust mit ihren Hörgeräten. Faktisch alle CI-Nutzer verstehen besser als typische Hörgeräte-Nutzer mit einem Hörverlust von 65 Dezibel.

Für den individuellen CI-Kandidaten ist immer eine gründliche Abwägung wichtig, aber auch eine zügige Entscheidung. Denn der erfahrene HNO-Spezialist Keintzel weiß: „Eine frühzeitige Cochlea Implantation führt zu kürzeren Rehabilitationszeiten und geht mit einer besseren Performance und einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität einher.“

Weitere audiologische Informationen und detaillierte Kriterien zum Thema in: Keintzel T, Grenzen der Versorgung mit konventionellen Hörgeräten, Jatros Pneumologie & HNO, Universimed-Verlag, 01/2022, S34-36


[1] Wardegna et al, 2015

[2] Daten nach Reichell 2015, aus: Kießling et al; Versorgung mit Hörgeräten und Hörimplantaten; Thieme-Verlag 2018; ISBN 978-3-13-240200-3

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