Zu verstehen, was jemand anders vielleicht fühlt oder denkt, zu erahnen, wie er reagieren wird – diese Fähigkeiten sind für unser Miteinander wichtig. Zwei Vorträge auf der FCEI in Bad Ischl empfahlen interaktives Lesen als Übungsmöglichkeit.
Ein Bub legt seinen Ball in einen Kasten und verlässt das Zimmer. Seine Schwester nimmt den Ball heraus und versteckt ihn hinter der Bank. Wenn der Bub zurückkommt, wo wird er den Ball suchen? Um zu verstehen, dass der Bub den Ball im Kasten sucht, weil er vom Streich seiner Schwester nichts weiß – dazu bedarf es einer Art des Einfühlungsvermögens und Verständnisses, welches Kinder erst mit den Jahren entwickeln, erklärte Eveline Dirks auf der FCEI 2018, dem Symposium zur familienzentrierten Frühförderung.
Eltern hörbeeinträchtigter Kinder würden oft dazu neigen, im Gespräch mit ihren Kindern eine vereinfachte Sprache zu verwenden mit nur wenigen Begriffen für Gefühle, so Dirks. Das behielten die Eltern auch dann noch bei, wenn die Kinder das dafür nötige Sprachverstehen längst entwickelt hätten.
Die Expertin der Holländischen Vereinigung tauber und schwerhöriger Kinder NSDSK plädierte dafür, gerade mit hörbeeinträchtigten Kindern bewusst über die eigenen Gedanken und Gefühle zu sprechen. Sie empfiehlt den Familien auch „interaktives Lesen“. Dabei wird nicht nur gelesen, sondern Eltern und Kinder sprechen auch über Texte und Bilder. Sie überlegen gemeinsam: Was sagen die Protagonisten, was fühlen und denken sie? Was sagt ihre Mimik? Was sollten sie jetzt tun, was werden sie tatsächlich machen?
Sehen – hören – verstehen
Diana Harbor von der britischen Ear Foundationverwies bei der FCEI auf eine Studie, wonach Kindergartenkinder mit guten Sozialkompetenzen im späteren Leben erfolgreicher seien. Hörbeeinträchtigte Kindern seien normalhörenden Gleichaltrigen in einigen Bereichen im Nachteil: beim Verstehen von Sarkasmus, beim Erahnen von Gedanken und beim Erkennen von Gefühlen und Empfindungen des Gesprächspartners. Die Situation betroffener Kinder beschrieb sie: „Ich kann dich sehen, ich kann dich hören, aber ich kann nichts von dem verstehen, was du sagst.“
Basis für die Entwicklung dieser Fähigkeiten sei eine verlässliche und tragfähige Eltern-Kind-Bindung. Sie biete auch dann einen sicheren Rückzugsort, wenn die Kinder schon alt genug sind, ohne elterliche Begleitung Erfahrungen zu machen. Auch sie verweist auf den Einfluss elterlichen Sprachgebrauchs: „Die Sprache, die wir mit dem Zweijährigen verwenden, bestimmt die Empathiefähigkeit des Sechs- bis Zehnjährigen.“ Auch Harbor plädiert für interaktives Lesen vom Kleinkindalter an.
Empathiefördernde Bilderbücher
Die Expertin der britischen Ear Foundationempfiehlt für die Kleinsten ab zwei Jahren die Bilderbuch-Serie Pip und Posy: Der aus Hamburg stammende Autor Axel Scheffler ist bei uns als Illustrator von Der Grüfello bekannt. Er studierte in England Grafik und lebt mit seiner Familie in London. Dort ist Pip und Posy im Kinderbuchverlag Nosy Crown erschienen, in deutscher Übersetzung ist die Reihe beim Verlag Carlsen erhältlich. Jeder Band behandelt in einfachen Szenenabfolgen ein altersgemäßes Thema: Was jede der beiden Hauptfiguren gerne spielt oder was passiert, wenn einer dem anderen den Roller wegnimmt. Am unteren Seitenrand sind Bilddetails entnommen, die nochmals benannt und im großen Bild gesucht werden können.