In Zeiten von Untertiteln, akustischer Bildbeschreibung und barrierefreien Medien wird die Bedeutung von Musik im Film oft in Frage gestellt. Gehört.Gelesen hat mit ORF-Journalist und Filmemacher Marcus Marschalek darüber gesprochen.

Was geht dem Zuschauer verloren, wenn er beim Film den Ton abdreht und ausschließlich Untertitel liest?

Die Puristen unter den Filmemachern fordern ja, Musik minimalistisch einzusetzen. Da gehört zum Beispiel auch ein Michael Haneke dazu. Aber ich glaube, dass damit etwas verloren geht. Denn Film ist ein integrales Gesamtkunstwerk, bei dem alle Teile gemeinsam ein Ganzes ergeben. Wenn ich die Musik abdrehe, fehlt dem Film eine erzählerische Dimension.

Dieselbe Szene kann durch die Musik eine ganz andere Bedeutung bekommen. Wenn mein Protagonist etwa einen Flur entlang geht und in dieser Szene Mickey Mouse-Musik zu hören ist, ist klar: Der geht zu einer Kinderparty. Ist bei der gleichen Szene Gruselmusik zu hören, gebe ich dem eine ganz andere Bedeutung.

Die ersten Tonfilme stammen ja aus den 1930er Jahren, davor spricht man vom Stummfilm. Lustig ist aber, dass es eigentlich nie einen echten Stummfilm gab. Die allererste Filmaufführung 1895 fand schon mit Klavierbegleitung statt. Die Filmprojektoren waren damals ziemlich laut. Das und die verschiedenen anderen Nebengeräusche im Saal wollte man mit Klaviermusik übertönen. Später hat man dann bemerkt, dass man mit der Musik die Handlung unterstreichen und die Stimmung unterstützen kann.

Welche Aufgaben sind der Filmmusik dann heute geblieben?

Ich kann Musik eben bewusst einsetzen, um Stimmungen zu vermitteln. Musik kann Akzente setzen oder den Schnitt zwischen zwei Szenen verstärken. Andererseits kann ein sonst holpriger Schnitt mit Musik gut verbunden werden.

Natürlich muss ich als Zuseher auch die Musik hören können, die der Szene innewohnt. Also wenn mein Protagonist im Film Auto fährt und dabei aus dem Autoradio Musik hört, dann muss ich diese Musik im Film auch hören.

Ich verwende Musik aber auch als erzählerisches Mittel, zum Beispiel um den zeitlichen und örtlichen Kontext zu vermitteln: Wenn die Ausseer Hardbradler zu hören sind, weiß der Zuseher: „Aha, ich bin im Ausseerland.“ Oder wenn die Handlung gerade ins Mittelalter wechselt, setze ich vielleicht einen mittelalterlichen Choral ein.

Manche Leute sagen, man soll die Musik im Film nicht bewusst wahrnehmen. Ich sehe das nicht so.

Bei Spielfilmen erreicht Filmmusik teilweise Kultcharakter. Ich denke etwa an die Zithermusik von Anton Karas in Der dritte Mann oder an den Soundtrack von Fluch der Karibik. Aber hat Musik bei informativen Formaten wie Reportagen und Dokumentationen auch einen Platz?

Mein Ansatz ist – unabhängig vom Format – immer der gleiche: Im Film erzähle ich eine Geschichte. Bei fiktiven Formaten ist es eine erdachte Geschichte, bei informativen eine recherchierte Geschichte. Aber immer ist es eine Geschichte und immer bin ich es, der diese Geschichte erzählt. Dem kann ich mich nicht entziehen, denn der Film erzählt das Geschehen immer aus meinem Blickwinkel, durch meine Kamera – dafür stehe ich letztlich auch mit meinem Namen gerade.

Aus diesem Grund verwende ich auch immer alle Hilfsmittel, um die Geschichte so gut wie möglich zu erzählen. Unabhängig vom Format.

Seit 1996 ist Marcus Marschalek Mitarbeiter beim ORF, aktuell in der Redaktion Orientierung, gestaltet er auch Beiträge für kreuz + quer und Religionen der Welt und betreut die Internetseite der Religionsabteilung.

Wie finden Sie die passende Musik für Ihre Filme?

Zu Beginn jeder Produktion steht die Recherche und die Frage: Was ist das eigentliche Geschehen? Welche Stimmungen und Emotionen möchte ich dabei darstellen? Und welche Musik brauche ich dazu?

Wenn ich etwa eine Dokumentation über eine engagierte Gruppe motivierter Umweltaktivisten drehe, die Kohlendioxid einsparen wollen, um die Umwelt zu schützen, dann suche ich nach einer optimistischen Musik, die den Fortschritt unterstreicht.

Dazu gibt es eigene Online-Plattformen, auf denen man nach Stichworten suchen kann: nach Land, Tempo, Thema und so weiter. Von dort lade ich mir jeweils 10 bis 15 Musikstücke herunter und probiere aus, was davon am besten passt.

Filmmusik aus anderen Filmen ist wie ein Zitat: Wenn der Donauwalzer zu hören ist oder die Musik von Star Trek, dann erzeugt das beim Zuseher jeweils ein bestimmtes Bild.

Ich vermeide aber Musik, bei der die Zuschauer vielleicht gedanklich den Text mitsingen, weil ich damit eine weitere Dimension einführe. Bei unbekannten Texten besteht die Gefahr, dass sich der Zuhörer zu sehr auf das Lied konzentriert, um den Text zu verstehen. Bekannte Lieder und Liedtexte sind andererseits ein sehr starker Trigger und können leicht auf eine falsche Fährte führen.

Hintergrundgeräusche und Musik erschweren hörbeeinträchtigten Zuschauern manchmal auch, die Dialoge im Film zu verstehen. Berücksichtigen die Filmemacher dieses Problem?

Ich habe bei manchen Filmschnitten in einer einzigen Szene über zwanzig Tonspuren.

Ein Beispiel: Der Protagonist fährt mit dem Auto auf eine Kirche zu, um mit dem dortigen Pfarrer zu sprechen. Da gibt es die sogenannte Atmo, das sind die verschiedenen Hintergrundgeräusche. Der Kameraton gibt mir die Fahrgeräusche des Autos wieder. Auf einer eigenen Tonspur habe ich Naturgeräusche, etwa Vögel, wie sie neben der Straße sitzen können, oder das Blätterrauschen von Bäumen am Straßenrand. Die Aufnahmen mache ich, wenn die Glocken in Kirchturm nicht läuten – aber dann warte ich mit meinem Mikrofon bis zum Glockenläuten und das kommt auf einer weiteren Tonspur dazu. Vielleicht möchte mein Protagonist mit dem Pfarrer sprechen, weil er gerade verzweifelt ist – dann hinterlege ich die Szene auf einer weiteren Spur mit Musik, die einen verzweifelten Ausdruck vermittelt.

Auch wenn ich in dieser Szene einen Text verwende, dann möchte ich auf die anderen Dimensionen trotzdem nicht gänzlich verzichten. Ich bemühe mich aber, dass der Text gut zu verstehen ist.

Beim Schneiden hört sich das am Laptop über den Lautsprecher oft anders an, als über Kopfhörer oder gar im Tonstudio beim Abmischen. Vielleicht liegt eine Möglichkeit für hörbeeinträchtigte Zuseher vor, unterschiedliche Kopfhörer zu testen oder die Wiedergabe beim Fernseher einzustellen.

Bei der Produktion gibt es aber auch verschiedene Tonsysteme, wie das Format Dolby Digital 5.1. Bei dem werden verschiedene Tonspuren auch in verschiedenen Richtungen verortet. Einzelne Spuren können dann bei der Wiedergabe abgedreht oder zurückgenommen werden. Das könnte vielleicht eine Hilfe sein.

Wenn Sie einen Film über das Thema Hören gestalten würden, wie würden Sie das machen?

Ich fände es spannend, die ganze Bandbreite des Hörens darzustellen: von nichts bis schmerzhaft laut. Etwa: bewusst laut vor einer Lautsprecherbox, deren Membran sich deutlich bewegt, damit man die Musik auch sichtbar wahrnehmen kann. Oder die Stille, die ja unheimlich sein kann, sogar bedrohlich, aber auch entspannend.

Geräusche und Klänge erzeugen Bilder in unserem Kopf. Ich glaube jedenfalls, so ein Film über Hören braucht hunderte Bilder, um auszudrücken, was Hören bedeutet. Ich bin überzeugt, dass auch

nichthörende Zuschauer von einem gut gemachten Film einen Eindruck vom Hören gewinnen können.

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