Das Institut für Schallforschung (ISF) Wien beging den Tag gegen Lärm mit einem Aktionstag. Die Redaktionen von Endlich wieder hören und Gehört.Gelesen waren vor Ort und probierten die Vielzahl an interaktiven Stationen für Kinder und Erwachsene aus.
Los ging es bei den Stationen über Hörschäden: was gilt es bei Gesprächen mit Schwerhörigkeit zu beachten? Wie hören sich verschiedene Arten von Hörverlust an? Wie funktioniert ein Hörimplantat? Wie hört man damit?
Personen mit gutem Gehör fanden es spannend, eine Simulation von Cochlea-Implantaten auszuprobieren. Unser Dank geht an den 8-jährigen Toni, der für EWH/GG geduldig Fragen beantwortete und so die Unterschiede zwischen Männer-, Frauen- und Kinderstimmen verdeutlichte. Letztere waren für uns übrigens am schwierigsten zu verstehen. Ein Testhörer meinte: „Es ist gewöhnungsbedürftig, aber man versteht alles. Lippenlesen hilft zusätzlich.“ Ein Schüler bat seinen Gesprächspartner: „Hör bitte zu lachen auf, das klingt komisch!“ Vielleicht liegt das an der knapp zehn Jahre alten Simulationstechnik?
Toni war übrigens auch einer der Meister an der Schreistation. Für „Schrei den Lukas“ konnten Besucher in der Schallkammer laut schreien – selbstverständlich geschützt durch Kopfhörer. Einige erreichten Werte zwischen 115-120 dB, was lauter als eine Kettensäge in unmittelbarer Nähe ist. Toni übertrumpfte sie alle und knackte bei seinem Schrei mit exakt 130.1 dB sogar die Schmerzschwelle.
Entspannend für die Ohren war dann die nächste Station, bei der man das 3D-Hören im Lautsprecherarray ausprobieren konnte. Ein kugelförmiger Aufbau aus 91 einzeln ansteuerbaren Lautsprechern dient der Erforschung des räumlichen Hörens und allem, was dazugehört, etwa dem Orten von Schallquellen. Wunderschöne Musik erklang aus den Lautsprechern und die in der Mitte sitzenden Zuhörer lauschten ihr aus der Perspektive des Dirigenten. Ein Tipp für Ihren nächsten Kinobesuch: Die beste Akustik erleben Sie in der Mitte des Saals in der Mitte der Reihe. Auf diese Mitte ist die Tonanlage nämlich ausgerichtet.
Schwieriger wurde es bei der Demonstration des Cocktailparty-Effekts. Wer sich in den Raum begab, hörte einen Sprecher von vorne, der immer den gleichen Satz sprach, während rundherum verschiedene andere Menschen durcheinanderredeten. Der Sprecher von vorne war schwer herauszuhören und instinktiv dreht man den Kopf zur Seite, um ihn besser zu verstehen.
Um das Orten von Geräuschen ging es auch in anderen Stationen, etwa der „Gehörtäusch-Station“, in der Besucher erlebten, wie man durch die Verschiebung der zeitlichen Komponente eines Schallsignals, der „Phase“ in die Irre geleitet wird. Das Geräusch, das vermeintlich von rechts erklingt, kommt nämlich in Wirklichkeit von vorne. Dieser Effekt tritt ein, wenn ein Teil des Schallsignals minimal später kommt. Und minimal bedeutet in diesem Fall etwa eine Millisekunde. Bilaterale Nutzer von Hörhilfen kennen das unter Umständen, wenn die Geräte nicht optimal aufeinander abgestimmt sind. Eine genaue Lokalisierung wird dadurch unmöglich. Denn unser Gehirn ist es gewohnt, dass Schallsignale von beiden Ohren gleichzeitig ankommen.
Lustig ging es besonders an jenen Stationen zu, wo mit einfachen Mitteln Schall spürbar und sichtbar wurde: mit Röhrchen brachten die Besucher Mohn zum Springen; sie unterhielten sich über Joghurtbecher und hörten, wie sich das Spannen und Kürzen von Saiten auswirkt. Mit verschiedenen
Stimmgabeln erlebten sie Knochenleitung. Detail am Rande: mit großen Stimmgabeln stellten Ärzte früher Knochenbrüche fest. Denn war ein Knochen gebrochen, funktionierte die Schallübertragung mittels Knochenleitung nicht mehr.
Welche Stimmgabel klingt höher, die dünne oder die dickere? Warum? Die dickere Stimmgabel klingt höher, weil sie starrer ist und somit weniger schwingen kann. Bei Musikinstrumenten kommt es also nicht nur auf die Länge an, sondern auch auf die Steifigkeit des Materials. Das Stimmen von Saiten funktioniert nach diesem Prinzip!
Schall lässt sich mittels Spektrogramm sichtbar machen. Es stellt den zeitlichen Ablauf, die Intensität und die Frequenz eines Klangs dar. Dieses Wissen findet seine praktische Umsetzung zum Beispiel in der Entwicklung von Spracherkennungssoftware. Computergenerierte Ansagen, wie wir sie vom Bahnhof kennen oder die Umwandlung von Gesprochenem ins Schriftliche und umgekehrt basieren auf den Erkenntnissen aus der akustischen Phonetik. Sprache lässt sich bereits gut computergenerieren, allerdings tut sich Spracherkennungssoftware beim Erkennen von Feinheiten in der Sprache, etwa Ironie, noch schwer. Sogar Melodien mit verschiedenen Musikinstrumenten können mittlerweile gut simuliert werden. Schwieriger wird es bei Liedern mit Text. Der „synthetisierte“ Opernsänger wird noch länger nicht einspringen können, sollte Rolando Villazón erkältungsbedingt einmal ausfallen. Gesungenes ist nämlich viel komplexer, weil andere Faktoren wie Harmonie und musikalischer Ausdruck ebenfalls dargestellt werden müssen. Und da gerade bei Opern der Text eine wesentliche Rolle spielt, wird der Beruf des Opernsängers wohl noch länger zukunftssicher sein.
Spektrogramme werden auch bei der Signalentstörung eingesetzt. Für Tontechniker und die Musikrestaurierung ist die visuelle Darstellung des akustischen Signals unabkömmlich. Störgeräusche können dann am Bildschirm, grafisch gut erkennbar, ausgeschnitten und „weggezaubert“ werden.
Jene, denen noch viele Jahre des Lernens bevorstehen, konnten ausprobieren, ob sie sich Wissen besser mit oder ohne Lärm aneignen. Beim Erlernen der Fantasiesprache „lärmisch“ mussten sich Lernwillige neue Begriffe wie „döddö“, „puppel“ oder „gegge“ merken und diese dann am Computer dem zuvor vorgestellten deutschen Begriff zuordnen. Wahlweise konnten sie „lärmisch“ mit Sprache und Musik im Hintergrund erlernen. Das Ergebnis zeigte, dass das Lernen ohne Hintergrundgeräusche tendenziell besser klappte. Es ist anzunehmen, dass das nicht nur für die neue Fremdsprache „lärmisch“ gilt.
Dem Lärm widmete der „Aktionstag gegen Lärm“ viel Raum. Mit einer 3D-Brille konnten Interessierte eine virtuelle Brutkastentour machen und erleben, wie laut es dort für Frühgeborene werden kann. Das Beatmungsgerät, das Öffnen der Tür und weitere alltägliche Handgriffe können Lärmpegel von über 110 dB erzeugen. Nicht umsonst gelten Frühgeborene als Risikogruppe für Hörschäden!
In einer immer schnelleren, mobileren Welt gilt Verkehrslärm als ein enormer Stressfaktor. An Experimentierstationen konnten die Besucher selbst entscheiden, wie hoch sie eine Lärmschutzwand bauen würden und welche Frequenzen sie von einem vorbeifahrenden Güterzug wegfiltern würden. Wenig überraschendes Ergebnis der Tester: die vier Meter hohe Lärmschutzwand brachte definitiv mehr Ruhe als die nur ein Meter hohe.
Auf Hochgeschwindigkeitsstrecken macht die Errichtung von Lärmschutzwänden ohne Lärmquellenerkennung keinen Sinn. Messungen verraten, an welcher Stelle Lärm bei Hochgeschwindigkeitszügen entsteht. Verkehrsmittel, die Geschwindigkeiten über 250 km/h erreichen, dürfen nicht zu laut sein, um zugelassen zu werden. Doch wo ansetzen? Wo entsteht der Lärm? Am Stromabnehmer oben oder unten an den Schienen? Und wie hoch muss demnach die Lärmschutzwand errichtet werden?
Lärmschutz gewinnt auch am Arbeitsplatz immer mehr an Bedeutung, vor allem dort, wo laute Maschinen zum Einsatz kommen. Maschinenbauer streben danach, ihre Produkte immer leiser zu konstruieren und dadurch das Gehör ihrer Mitarbeiter zu schützen. Mit akustischen Kameras lässt sich feststellen, wie laut eine Maschine an welchen Stellen ist. Diese Erkenntnisse machen sich Konstrukteure zu nutzen.
An den 30 Stationen, die im Institut für Schallforschung aufgebaut waren, tummelten sich 150 Schüler und interessierte Erwachsene und erlebten auf eindrucksvolle Weise, wie Schall unser tägliches Leben beeinflusst und auf zahlreichen Gebieten zur Anwendung kommt. Ein großes Lob an die Mitarbeiter des Instituts für Schallforschung für diesen gelungenen Aktionstag gegen Lärm!