Als Prof. Dr. Kurt Burian 1977 in Wien das erste Cochlea-Implantat einsetzte, sollte dieses die audioverbale Kommunikation unterstützen. Heute hört faktisch jeder CI-Nutzer auch Musik – mit zunehmendem Genuss.

„Das erstaunliche dieses Organs ist, dass es bei der Geburt bereits fertig ist und nicht mehr wächst“, bemerkt Univ. Prof. Dr. Wolf-Dieter Baumgartner, MBA, bei seinem Vortrag im Wiener Haus der Musik im Frühling 2019. Baumgartner ist HNO-Chirurg an der Universitätsklinik Wien und seit 1992 im Bereich der Cochlea-Implantation aktiv. Zusätzlich engagiert er sich unter anderem als Präsident des CIA.

Jedes Ohr hat etwa 3.400 äußere Haarzellen. „Wenn jemand verstorben ist und man sich sein Innenohr unter dem Mikroskop ansehen würde, könnte man diese Haarzellen durchzählen, wenn man sich ein paar Stunden Zeit nimmt.“

Im Vergleich zu den Milliarden Zellen des menschlichen Körpers sind diese 3.400 Haarzellen pro Ohr sehr wenig. Zudem können sie sich beim Menschen nicht regenerieren. „Bei Hühnern beispielsweise können sich die Haarzellen regenerieren, deswegen erfolgt viel Haarzellen-Forschung an Hühnereiern oder Hühnerküken.“

Von Österreich aus in die Welt

In Österreich werden jährlich 78.000 Kinder geboren, etwa jedes Tausendste davon hat eine hochgradige Hörstörung. So genau weiß man das, seit das Hörscreening bei Neugeborenen, kurz: NHS, in Österreich eingeführt wurde. Österreich war das erste Land mit einem Hörscreening, von hier aus wurde das Konzept in viele Länder exportiert.

Seit 1977 wurden am Wiener AKH über 1.900 Cochlea-Implantationen durchgeführt, sowie etwa 350 Implantationen anderer Hörimplantate. Hinzu kommen Implantationen im Ausland, welche Chirurgen des Wiener AKH gestützt oder begleitet haben, allen voran der Vortragende selbst.

Weltweit haben bisher etwa 600.000 Patienten ein CI erhalten. Bei allen finanziellen Bedenken seien die damit entstandenen Kosten aber relativ zu betrachten: „Alle weltweit implantierten Patienten kosten uns nicht mehr als 120 Eurofighter.“

Die 7 – 15 taub geborenen Kinder jedes Jahr stellen nur einen verschwindend kleinen Teil der jährlich etwa 450 CI-Patienten in Österreich dar – die anderen CI-Patienten sind plötzlich oder progredient ertaubte Kinder und Erwachsene. Der erfahrene CI-Chirurg Baumgartner dazu: „Ich habe heute vier Patienten am AKH implantiert, davon war ein Kind mit einer Fehlbildung; die anderen waren erwachsene Patienten: nach einem Hörsturz oder sukzessive ertaubte Patienten.“

Das haltbarstes Medizinprodukt überhaupt

„Wenn jemand heute ein CI bekommt, gehen wir davon aus, dass es zumindest 25 Jahre hält. Das ist sehr schade, denn dann kann ich den Tausch auf ein neues CI nicht mehr machen“, scherzt Baumgartner. Das CI ist damit das haltbarste Medizinprodukt, wie Baumgartner andernorts formulierte. „Jeder Zuhörer im Saal wird statistisch gesehen zumindest eine MR-Untersuchung im Leben haben. Daher ist es wichtig, dass das Implantat auch MR-sicher ist.“

„Es nutzt das tollste CI nichts, wenn sie nur in die Hälfte der Schnecke inserieren oder bei manchen Herstellern sogar weniger“, so der Spezialist, der über 27 Jahre Erfahrung mit CIs hat. Ebenso wichtig ist eine atraumatische Operation, bei der die natürliche Struktur des Innenohrs möglichst gut erhalten wird: So wie bei der Insertion mittels Punktion. Baumgartner erklärt: „Macht man nach der Operation ein Röntgenbild vom Ohr, dann soll das CI wie ein Nikolausstab aussehen.“

„Wir messen bereits während der Operation die Hirnströme: wie gut das akustische Signal an das Hörzentrum geleitet wird“, erklärt der CI-Chirurg. „Leider korreliert das nicht unbedingt mit dem späteren Sprachverstehen. Die Verständnisleistung ist nämlich eine Leistung der Großhirnrinde, wo Sie sich erinnern und lernen. Das können wir nicht messen.“ So kann eine Person durchaus eine schlechtere Weiterleitung haben, aber durch Lernen oder eine besonders gute Erinnerungsfähigkeit ein sehr guter Nutzer werden. Gute intraoperative Messergebnisse dokumentieren trotzdem neurologisch gute Voraussetzungen für die spätere Nutzung des CI-Systems.

Studien zum CI-Hören

„Wir haben in unseren Studien nachgewiesen, dass sie mehr als zwei Jahre lang lernen, mit dem CI zu hören“, erklärt der Spezialist, warum CI-Nutzer nicht schon nach wenigen Monaten die Geduld verlieren sollen. Auf die ersten Musik-Eindrücke warten die meisten Nutzer aber nicht so lange. „Ein Drittel aller Patienten hören gleich nach der Aktivierung erstmals Musik, unabhängig von den Ratschlägen des Arztes oder Technikers. Drei Monate nach der Operation hat faktisch jeder Patient einmal versucht Musik zu hören.“ Bei einer Studie wurden auch die bevorzugten Musikrichtungen untersucht: „Führend sind DJ Ötzi und Andreas Gabalier.“ Zwei Drittel aller CI-Nutzer bevorzugen Volkstümliche Musik, es folgen Schlager und Klassik. „Techno ist wenig geschätzt. Das liegt aber vielleicht an der Zusammensetzung der Studienteilnehmern, bei der junge CI-Nutzer fehlten.“

Dieser Beitrag ist die Zusammenfassung eines Vortrags von Univ. Prof. Dr. Wolf-Dieter Baumgartner, MBA, HNO-Chirurg und CI-Experte an der Universitätsklinik Wien, im Rahmen eines Publikumstages der MED-EL Initiative HÖREN BEWEGT im Frühling 2019 im Wiener Haus der Musik.

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