Das Wiener Schallforschungsinstitut beschäftigt sich unter anderem mit dem musikalischen Empfinden der Nutzer von Cochlea-Implantaten.

Das Wiener Schallforschungsinstitut gehört zur Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Doz. Dr. Bernhard Laback leitet dort die Gruppe Psychoakustik und experimentelle Audiologie. Er ist Experte für Psychoakustik, also der Wahrnehmung von Schall. Schon in seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Musikwahrnehmung von Nutzern von Hörgeräten.

Seither führte der international anerkannte Forscher zahlreiche Studien zu grundlegenden Aspekten des Hörens von CI-Nutzern durch, die zum Musikhören beitragen. Im Frühling stellte er bei der Publikumsveranstaltung der MED-EL HÖREN BEWEGT Initiative im Wiener Haus der Musik einige Erkenntnisse aus der aktuellen Fachliteratur zur Musikwahrnehmung mit Cochlea-Implantaten einem breiten Publikum vor.

Mehr als nur eine Stimme

Musik ist ein Klang, das Zusammenspiel mehrerer Töne: der Grundfrequenz und deren Vielfachen. Die Grundfrequenz bestimmt, wie tief oder hoch ein Klang empfunden wird. „Bei Musik muss aus dem komplexen Zeit-Frequenz-Spektrum die Grundfrequenz extrahiert werden“, erklärt Laback. „Das funktioniert sogar dann, wenn die Grundfrequenz selbst im Signal nicht vorhanden ist.“

Bei mehrstimmigen Musikstücken muss nicht nur die Melodie selbst wahrgenommen werden, sondern sie muss aus der Begleitung herausgehört werden. „Das ist auch für die Signalverarbeitung moderner Computersysteme sehr schwierig“, erklärt Laback. Die Begleitung bei einem Musikstück besteht wiederum aus verschiedenen Grundfrequenzen, die gemeinsam eine Harmonie ergeben: konsonante oder dissonante Akkorde. „Eine ganze Menge Verarbeitungsprozesse für das menschliche Gehirn.“

Polyphone Harmonien mit mehreren, gleichberechtigten Stimmen, die zusammen ein Ganzes ergeben, waren im Mittelalter und zur Zeit des Komponisten Johann Sebastian Bach sehr beliebt. Heute sind es Musikliebhaber und -kenner wie Laback, die polyphone Musik genießen: „Wenn man geübt ist, kann man quasi selbst bestimmen, welcher Stimme man akustisch folgen möchte.“

Einstimmig, mit Begleitinstrumenten oder polyphon – immer ist es die spezielle Mischung der einzelnen Elemente, die ein Musikstück ausmacht: Rhythmus, Melodie, Klangfarbe etc. Wenn man beispielsweise aus einem musikalischen Thema die Tonhöheninformation entfernt, indem man auf einer Trommel ausschließlich die zeitliche Struktur wiedergibt, so ist das Musikstück, wenn überhaupt, nur schwer wiederzuerkennen.

Die Dimensionen der Musik

Musik kann man laut Laback auf drei Dimensionen reduzieren: Diskrimination, Semantik und Qualität.

Diskrimination ist dabei die Fähigkeit, die verschiedenen Elemente der Musik zu unterscheiden: Tonhöhe, Melodie, Harmonie, Zeitstruktur, Rhythmus, Instrumentenunterscheidung etc. Besonders wichtig ist die Tonhöhen-Auflösung: Analysiert wird dazu, an welcher Stelle im Innenohr das Nervenaktionspotential ausgelöst wird, aber auch die Zeitstruktur des Signals wird ausgewertet. Man spricht von der räumlichen und der zeitlichen Tonhöhenkodierung.

Mit Semantik meint man die Bedeutung, die wir einem Musikstück beimessen. Wir assoziieren mit Musik meist auch klangähnliche Inhalte. Vor etwa 15 Jahren wurde eine Methode entwickelt, diese musikalische Semantik objektiv zu messen, indem man das Paradigma der semantischen Paarung nützt: Gemessen werden die Gehirnreaktionen auf semantisch zusammenpassende und nicht zusammenpassende Paare. Wenn etwas nicht zusammenpasst, wird man „stutzig“, die Reaktion im Hirn ist verstärkt.

Die Gesamtqualität von Musik hingegen bleibt eine rein subjektive Beurteilung, die objektiv bisher nicht gemessen werden kann.

Das CI und die Musik

Studiendaten bezeugen manchen CI-Trägern sogar eine bessere zeitliche Auflösung als normalhörenden Vergleichspersonen, aber bei der Frequenzauflösung müssen CI-Nutzer laut Laback mit Einschränkungen rechnen. „Musik ist ein Luxussignal, das eine besonders hohe Auflösung erfordert.“

Eine semantische Auswertung sei prälingual ertaubten CI-Nutzern nicht möglich, also jenen CI-Nutzern, die taub geboren sind oder vor dem Spracherwerb ertaubten. Postlingual ertaubte CI-Nutzer hingegen können semantische Dimensionen erfassen, wenn auch nicht ganz so gut wie normalhörende Probanden.

Auch bei der subjektiven Einschätzung der Klangqualität ist der Zeitpunkt der Ertaubung relevant. Prelingual ertaubte CI-Nutzer sind in der Regel mit der Qualität gleichermaßen zufrieden wie die normalhörende Vergleichsgruppe. Postlingual ertaubte CI-Nutzer kommen an diese Zufriedenheit oft nicht heran. Doch auch diese Nutzer stellen durchwegs eine Qualitätssteigerung mit dem CI fest, im Vergleich zur Situation mit Restgehör vor der Implantation.

Warum Musik?

Die vielleicht wichtigste Funktion von Musik ist das Hervorrufen oder Unterstützen einer emotionalen Erregung und einer bestimmten Stimmung. Zudem unterstützt Musik die Eigenwahrnehmung, die Möglichkeit, in sich selbst hineinzuschauen. Zusätzlich hat Musik immer auch einen Sozialbezug: Früher häufig beim gemeinsamen Musizieren, heute zumindest, wenn Musikträger oder -files ausgetauscht werden. Es gibt nur wenige Menschen, die gar keine Musik hören.

Auch für CI-Träger hat Musik hohe Bedeutung, wobei sie einfache Musik mit wenig komplexer Struktur bevorzugen. Gesang stellt hingegen kein Hindernis dar, Musik mit Gesang wird meist sogar bevorzugt. Mit gezieltem Training kann man die Musikwahrnehmung signifikant verbessern. Laback plädiert: „Jeder Implantat-Nutzer, der sich für Musik interessiert, sollte die Möglichkeit entsprechender Trainings-Programme nützen!“

Dieser Beitrag ist die Zusammenfassung eines Vortrags, der von Doz. Dr. Bernhard Laback, Gruppenleiter „Psychoakustik und experimentelle Audiometrie“ am Wiener Schallforschungsinstitut, im Rahmen eines Publikumstages der MED-EL HÖREN BEWEGT-Initiative im Frühling 2019 im Wiener „Haus der Musik“ gehalten wurde.

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