Versuchen wir mit unserer Literaturserie den Weg vom Lesen zum Hören zu ebnen, so beschreitet das Literaturmuseum in Wien – Innere Stadt den umgekehrten Weg. Auf 750m² bringt es den Besuchern österreichische Literatur ab dem 18. Jahrhundert beinahe zum Angreifen nahe.
Am 18. April diesen Jahres eröffnete das Literaturmuseum im Grillparzerhaus, einem Biedermeierbau in der Johannesgasse 6 unweit des Musikkonservatoriums in der Wiener Innenstadt seine Tore für den Publikumsbesuch. Das Literaturmuseum ist Teil der Nationalbibliothek und präsentiert im Gegensatz zur Bibliothek selbst die im Rahmen der „Sacherschließung“ gesammelten Objekte mit Bezug zu Literatur oder Literaten, ergänzt von nationalen und internationalen Leihgaben. Da diese geborgten Exponate unterschiedlich lange im Museum verbleiben werden – Zeitspannen von drei Monaten bis zu fünf Jahren sind möglich – wird wohl nicht nur die Wechselausstellung im dritten Stock variieren, sondern auch das Erscheinungsbild des restlichen Museums sein Gesicht über die Zeit ändern.
Im Zentrum der Ausstellung stehen AutorInnen und Phänomene des literarischen Lebens, die innerhalb der jeweiligen Grenzen Österreichs wichtig waren oder sind. Versucht man in der Schule Literatur im Kontext mit Geschichte zu vermitteln, da man die Werke nicht ohne Kenntnisse des historischen Hintergrunds ihrer Entstehungszeit verstehen kann, so zieht das Literaturmuseum Wien den Umkehrschluss. Dr. Bernhard Fetz, Leiter des Literaturarchivs der Nationalbibliothek und des Literaturmuseums erklärt: „Die historischen Bruchlinien werden an der österreichischen Literatur gut sichtbar.“ Es werden aber auch thematische Schwerpunkte, wie das Bild der Fremde in unterschiedlichsten Werken, und auch die Verbindung der Literatur zu den verwandten Künsten, wie Musik oder bildender Kunst, dargestellt. Beispielhaft sei hier Adalbert Stifter, der gleichzeitig als Maler und Schriftsteller tätig war. Er schuf so detailgetreue Beschreibungen der Natur wie auch der Architektur, dass diese wiederum Impression für andere Schaffende wie den Münchner Architekten Theodor Fischer oder die Stuttgarter Architektenschule wurden.
Wandelt man durch die auf zwei Etagen aufgeteilten Schauobjekte, so findet man in liebevoll restaurierten historischen Holzregalen des früher hier ansässigen k.u.k. Hofkammerarchivs die unterschiedlichsten Schauobjekte, vom Bauplan eines Romans von Heimito von Doderer, über nachgestellte Brotkrumen-Schachfiguren entsprechend Stefan Zweigs „Schachnovelle“ bis zum Regiesessel von Ernst Jandl. Denn „Literatur ist auch, was nicht zwischen zwei Buchdeckel passt“, wie der Ausstellungskatalog, der übrigens selbst einen spannenden Einblick in die österreichische Literaturgeschichte bis weit in die Gegenwart bietet, postuliert. Besonders stolz ist man auf das im Originalzustand erhaltene Arbeitszimmer Franz Grillparzers. Grillparzer fungierte von diesem Zimmer aus als Direktor des Hofkammerarchivs und verfasste auf dem Schreibpult in diesem Raum auch einige seiner Werke. Aber auch kritische Darstellungen der Kriegs- und NS-Zeit fehlen nicht. Eine Vielzahl von Hörstationen vervollständigt das Bild.
Knarrende Holzböden führen zu arabesken-verzierten Türdurchgängen, die als Video-Nischen für Exponate des österreichischen Filmarchivs neue Funktion erhalten haben. Wer für die manchmal etwas hoch angebrachten Schautafeln zu klein ist, dem helfen praktische Schemel bei der Entdeckungsreise. Zwischendurch bieten bunte Sitzgruppen Kontrast und laden zum Verweilen, Bedenken und Bestaunen ein.
Für eine Entdeckungsreise durch das Museum kann man je nach Interesse viel Zeit einplanen, denn allein die 34 Hör- und 22 Videostationen bieten sieben Stunden Material. Der via Tablet geführte Rundgang dauert aber etwa 90 Minuten und kann jederzeit angetreten werden. Zusätzlich wird jeden Donnerstag ab 18 Uhr eine Führung angeboten. Mit der Ausstellung angesprochen werden sollen sowohl Experten, als auch interessierte Laien mit Affinität zu Literatur und besondes auch Jugendliche, für die man neben der Ausstellung ein vielfältiges Sortiment an Workshops bereithält. Veranstaltungsreihen in Kooperation mit dem Metro-
Kinokulturhaus und Dichterlesungen runden das Angebot ab. Dr. Fetz hofft: „Alle diese Wege führen hoffentlich vom Schauen und Hören zum Lesen – und wieder zurück.“