Zur Verbesserung der Hörsituation einseitig tauber Menschen bieten sich verschiedene Lösungsansätze an. Die Ergebnisse einer Studie des Klinikums Wels-Grieskirchen kann bei der Auswahl helfen.
Aktuelle Studien zeigen auf: Einseitig ertaubte Menschen sind in ihrer Kommunikationsfähigkeit stärker eingeschränkt als bisher angenommen. Vor allem das fehlende Richtungshören und das eingeschränkte Sprachverstehen im Störschall werden als wesentliche Beeinträchtigung empfunden, häufig auch eine eingeschränkte Raumorientierung. Zudem zeigen Studien, dass Patienten mit einseitiger Taubheit, englisch: Single Sided Deafness – SSD, sich auch im beruflichen Alltag als wesentlich beeinträchtigt empfinden. Selbst Telefonieren mit dem gesunden Ohr bereite mitunter Probleme.
Erste Abhilfe kann die sorgfältige Wahl eines passenden Sitzplatzes im Klassenzimmer oder am Besprechungstisch sein, oder der Einsatz verschiedener Kommunikationssysteme. Als dauerhafte Unterstützung sollte aber die Nutzung entsprechender Hörsysteme diskutiert werden. Zur Verfügung stehen für einseitig taube Kandidaten CROS-Hörgeräte, Hörgeräte und Hörimplantate, welche die Knochenleitung nützen, sowie Cochlea-Implantate.
CROS – Contralateral Routing of Signal
Mit CROS-Versorgung meint man die Kombination eines Hörgeräts am tauben Ohr, welches den Schall auf der tauben Seite aufnimmt, und eines zweiten Hörgeräts, welches den Schall dann in das hörende Ohr abgibt. Die Schallübertragung kann beispielsweise entlang einer Brille erfolgen, oder mit moderner Technologie auch drahtlos. Mit dieser Lösung geht kein Schallereignis auf der tauben Seite verloren. Die Richtung der Schallquelle zu orten ist damit aber nicht möglich. Das Sprachverstehen in lauter Umgebung kann je nach Situation variieren: Ist der Gesprächspartner auf der tauben Seite, kann er mit der CROS-Lösung zumindest besser wahrgenommen werden. Befindet sich der Gesprächspartner aber sowieso auf der hörenden Seite, der Störschall kommt aber vorwiegend von der tauben Seite, so wird das Verstehen mit der CROS-Lösung zusätzlich erschwert.
Für die Nutzer ist der positive Effekt dieser Lösung oft nicht so deutlich. Die Einschränkung, auf beiden Seiten ein Hörgerät tragen zu müssen, wird besonders von Kindern dann nicht immer akzeptiert. Die Weiterentwicklung einer CROS-Versorgung stellen Lösungen mit sogenannten Knochenleitungssystemen dar.
Knochenleitung nutzen bei SSD
Bei Knochenleitungssystemen sitzt das Hörsystem beim tauben Ohr, nimmt dort den Schall auf und gibt ihn als Vibration an das Schläfenbein ab. Der menschliche Schädelknochen leitet den Schall zum gegenüber liegenden funktionsfähigen Innenohr. Als Knochenleitungssystem kommen sowohl spezielle Hörgeräte als auch knochenverankerte Hörimplantate in Frage – wobei die Vor- und Nachteile der einzelnen Systeme gewissenhaft abzuwiegen sind.
Insgesamt wird bei dieser Lösung mit der Überleitung des Audiosignals auf das hörende Innenohr ein CROS-Effekt erzeugt, der aber mit nur einem Hörgerät oder -implantat realisiert wird. Die Nutzer berichten von Verbesserungen der Hörsituation, auch wenn die volle binaurale Funktion mit einer solchen Lösung nicht nachgebildet werden kann: Letztlich wird ja aller Schall aus allen Richtungen gebündelt auf einer Seite dargeboten.
Cochlea-Implantat zur vollen Rehabilitation bei SSD
Ein Cochlea-Implantat, kurz: CI, umgeht das funktionslose Innenohr und stimuliert direkt die neuronale Struktur des Hörnervs. Für die erfolgreiche Nutzung eines Cochlea-Implantats wird eine entsprechende Hörrehabilitation empfohlen, Hörtraining unter Anleitung eines Logopäden oder bei Kleinkindern in Begleitung der Frühförderung.
Da bei einseitig tauben CI-Nutzern das hörende Ohr die Hörfunktion übernommen hat, dauert es manchmal etwas länger, bis das Zentrale Gehör die korrekte Interpretation des Stimulationssignals erlernt. Hat der Betroffene schon längere Zeit nur einseitig gehört, so wird mitunter auch eine Reorganisation der kortikalen Bereiche stattfinden. Das kann die Phase der Hörrehabilitation mitunter verlängern. Wenn binaurale Fähigkeiten vor der Ertaubung noch nicht angelegt waren, sind auch spezielle Übungen zur Lokalisation und zum Sprachverstehen im Störschall sinnvoll. Dafür kann das Cochlea-Implantat das Hörvermögen direkt am tauben Ohr wiederherstellen und damit die Grundlage für vollständige, binaurale Funktion legen.
Systeme im Vergleich – die erste Studie
Bereits 2015 haben die Spezialisten des HNO-Klinikums Wels-Grieskirchen unter der Leitung von Prim. Dr. Thomas Georg Keintzel in einer Studie einseitig ertaubte Patienten mit CI-Versorgung verglichen mit einseitig ertaubten Patienten, welche das semi-implantierbare, knochenverankerte Hörimplantat Bonebridge erhalten haben. Die Patienten wurden in Bezug auf Sprachverstehen im Störschall und in Bezug auf Richtungshören getestet und befragt; die subjektive Verbesserung der Lebensqualität mit dem jeweiligen Hörimplantat wurde mit einem speziellen Fragebogen ermittelt.
Es hat sich bei den Tests gezeigt, dass die Nutzer beider Systeme beim Verstehen in lauter Umgebung vom jeweiligen Hörimplantat profitieren, auch die Lebensqualität hat sich für beide Gruppen mit dem Hörimplantat verbessert. Unterschiede konnten bei dieser Studie nur beim Richtungshörvermögen verzeichnet werden, wo die Nutzer von Cochlea-Implantaten über deutlichere Verbesserungen berichteten als die Vergleichsgruppe mit knochenverankertem Hörimplantat. Beide Gruppen verzeichneten eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität.
Die Erfahrung der Kliniker
Zur Wahl des Implantat-Systems für den individuellen Patienten empfiehlt Keintzel: „Es ist wichtig festzuhalten, ob es um eine reine Verbesserung des Sprachverstehens im Störschall geht, oder ob auch das Richtungshören und die Raumorientierung verbessert werden sollen.“
Voraussetzung für eine erfolgreiche Bonebridge-Versorgung bei einseitiger Taubheit ist das hinreichende Hörvermögen am Gegenohr. Für die Bonebridge spricht der relativ geringe Rehabilitationsaufwand und eine zu erwartende, deutliche Verbesserung des Sprachverstehens im Störschall, bei allerdings deutlich eingeschränkter Möglichkeit des Richtungshörens.
Und weiter: „Für eine erfolgreiche Cochlea-Implantat-Versorgung bei SSD sollte die Ertaubungsdauer nicht deutlich länger als zehn Jahre zurückliegen. Der Patient muss sich über einen erhöhten Rehabilitationsaufwand im Klaren sein und sollte insgesamt eine realistische Erwartungshaltung an diese Form der Rehabilitation haben. Unter diesen Voraussetzungen ist bei einseitiger Taubheit mit einem Cochlea-Implantat eine deutliche Verbesserung des Sprachverstehens im Störschall zu erwarten und zusätzlich ein Wiedererlangen des Richtungshörens, sowie eine Verbesserung der Raumorientierung.“