Die Corona-Pandemie verlangt uns einiges ab: Arbeit, Schule, soziales Leben – alles erfolgt seit Wochen auf Distanz. Aber wie funktioniert das Leben mit Abstand eigentlich für Menschen mit Höreinschränkungen?

Carmen Kronawettleitner

Egal ob jung oder alt: das minimal große Coronavirus hat maximal große Auswirkungen auf unser aller Leben. Offiziell als SARS-CoV-2 oder Covid-19 Virus bezeichnet, beeinflusst es nicht nur unseren Alltag, sondern auch unsere Kommunikation. Abstand halten bedeutet in zahlreichen Lebensbereichen, dass wir uns auf unsere Augen und Ohren verlassen müssen. Videokonferenzen bestenfalls, Telefonkonferenzen, wenn das Internet nicht so viel hergibt, und die Kommunikation im „echten“ Leben verpackt in Masken. Eine suboptimale Situation für viele Menschen, besonders aber für all jene, deren Gehör nur eingeschränkt funktioniert.

Kant hautnah

Familientreffen, Yogastunden, Musikunterricht: sämtliche Freizeitaktivitäten werden, ebenso wie Beruf und Schule, ins Internet verlagert. Zoom, Skype und all die anderen Online-Meeting-Plattformen, die seit März so stark frequentiert sind, erfreuen sich als virtueller Treffpunkt großer Beliebtheit. Doch siehe da: die vielgepriesene Technik macht nicht immer das, was man sich von ihr erhofft. Und so wird in „Corona-Zeiten“ sogar jenen Menschen, die mit Schwerhörigkeit noch nie konfrontiert waren, die Bedeutung des Hörens deutlich vor Augen geführt. Stellen Sie sich folgende Szene vor: eine Online-Geburtstagsparty ist geplant. Endlich wieder die Familie sehen, wenn auch nur virtuell. Die Vorfreude aufs Happy Birthday übers Internet steigt. Die Party beginnt. Doch dann die Erkenntnis des mit der Technik überforderten Geburtstagskindes: „Ich bin im Meetingraum! Ich sehe euch! Aber hören kann ich euch nicht.“ Nach mehreren verzweifelten Versuchen, die Audiofunktion am PC oder Mobilgerät doch noch zu aktivieren, gibt das von der Technik enttäuschte Geburtstagskind auf und verlässt unhörbar winkend die virtuelle Feier. So sieht eine geplatzte Geburtstagsparty in Corona-Zeiten aus.

Und nun stellen Sie sich die gleiche Szene noch einmal vor. Nur die Erkenntnis des Geburtstagskindes ist eine andere: „Ich bin im Meetingraum! Ich höre euch! Aber sehen kann ich euch nicht.“ Nach mehreren Versuchen, die Videofunktion zu aktivieren, gibt der Star des Abends klein bei und seufzt: „Mein Video funktioniert nicht, aber egal. Meine Frisur sitzt ohnehin nicht. Hauptsache, wir hören uns.“ Nach einer Stunde Plauderei mit Happy Birthday-Gesängen verabschiedet sich die Geburtstagsgesellschaft voneinander, glücklich über das Wiederhören.

In diesen Momenten wird Kants berühmter Ausspruch „Nicht sehen können trennt von den Dingen. Nicht hören können trennt von den Menschen“ auch für Normalhörende erlebte Wirklichkeit.

Vorteil Lippenlesen

Online-Homeschooling bedeutet für Kinder mit Höreinschränkung eine besondere Herausforderung ©Adobe Stock

Die 13-jährige Melanie kennt das Szenario des nicht funktionierenden Tons bei Videokonferenzen aus eigener Erfahrung. Sie besucht die 4. Klasse einer Medien- und Informatikmittelschule im niederösterreichischen Waldviertel, in der ausschließlich Laptopklassen geführt werden. Der Unterricht fand seit Mitte März online über die Plattform MS Teams statt. Als während einer Online-Unterrichtsstunde plötzlich der Ton ausfiel und die Lehrerin nur mehr zu sehen war, hatte Melanie keine Verständigungsprobleme. Denn sie ist seit ihrem 11. Lebensmonat mit zwei Cochlea-Implantaten versorgt und kann perfekt Lippenlesen. So perfekt, dass sie ihren Schulkollegen mitteilen konnte, was die Lehrerin gerade erklärte.

„Am Anfang fand ich das Homeschooling ziemlich anstrengend. Das lag vor allem an den vielen Arbeitsaufträgen, die wir von den Lehrern bekamen,“ erzählt Melanie. Beim Online-Unterricht verwendet sie eine Bluetooth-Schleife, die das Audiosignal direkt vom Laptop in ihre Audioprozessoren sendet. „Damit verstehe ich die Lehrkräfte besser.“ Mit der Zeit stellte Melanie fest, dass ihr der Unterricht über MS Teams immer leichter fiel, auch wenn viel gesprochen wurde. „Das Video liefert mir das Mundbild, es unterstützt mich beim Hören.“

Technische und menschliche Unterstützung nutzt auch Sophie, die die 6. Oberstufenklasse einer internationalen Schule bei Wien besucht, an der der Unterricht auf Englisch stattfindet. Die 16-Jährige ist ebenfalls seit frühester Kindheit bilateral mit Cochlea-Implantaten versorgt. Ihre Lehrer, allen voran ihr Klassenvorstand, helfen ihr mit Tipps und Tricks. „Mein Klassenvorstand hat mir bei allen Lernvideos in seinen Fächern die Untertitel dazugeschrieben. Er zeigte mir außerdem, wie ich während der Videokonferenzen die Untertitel einblenden kann“, streut ihm seine Schülerin Rosen. Und sie berichtet weiter: „Ich lese generell, wenn ich mich mit Menschen unterhalte, viel von den Lippen ab. Doch bei Videokonferenzen ist das Bild meist verzerrt oder verzögert, wodurch diese Stütze leider wegfällt. Daher sitzt meine Mama manchmal während der Videokonferenz neben mir. Falls ich mal etwas nicht verstehe, erklären sie oder meine Mitschüler es mir im Nachhinein nochmal“, erzählt Sophie voller Dankbarkeit für diese Hilfe durch ihre Familie, Lehrer und Mitschüler.

Unterstützende Technik und guter Klang

Automatische Untertitelung und Transkripterstellung von Videokonferenzen, aber auch Aufnahmemöglichkeiten von Online-Meetings, um diese später in Ruhe noch einmal anzuhören, sind Funktionen, die für Barrierefreiheit von hörbeeinträchtigten Menschen sorgen und deren Leben erleichtern. Denn ein klares akustisches Signal ist auch in unserer fortschrittlichen virtuellen Meeting-Welt noch lange nicht Realität.

Neben diesen Hilfsfunktionen sind auch gute Mikrofone extrem wichtig, findet der Techniker Geoff Ball, Erfinder der Vibrant Soundbridge. Auch er hört mit zwei Implantaten und verwendet für seinen Arbeitsalltag, in dem persönliche Besprechungen den virtuellen weichen mussten, technische Hilfsmittel. „Eine gute Klangqualität ist jetzt, wo so viele Menschen von zu Hause aus arbeiten, wichtiger denn je.“

Der maskierte Babyelefant

Mit dem geforderten Abstand und der Maske hört man den Gesprächspartner leiser, gedämpfter und undeutlicher. ©Adobe Stock

Abseits der virtuellen Welt haben sich mit Covid-19 weitere Hürden im Leben von gut und schlecht Hörenden eingeschlichen: der Babyelefant und die Schutzmasken. Sind der Abstand von mindestens einem Meter und der Mund-Nasen-Schutz für Menschen mit gutem Gehör unangenehme Begleiterscheinungen, stellen sie für Schwerhörige oft ein beachtliches Hindernis dar. Das Mundbild des Gegenübers, an dem sich viele CI-Nutzerinnen und Nutzer zusätzlich orientieren, fehlt unter der Maske vollkommen. Nur die Augen liefern noch dezente Hinweise zur Gemütslage der Gesprächspartner. Das hilft CI-Träger Geoff nur bedingt. „Meine Implantate waren mir in all den Jahren eine große Hilfe. Ich verstand bisher die Kassiererin im Supermarkt immer gut, doch mit dem geforderten Abstand und der Maske höre ich sie nicht nur leiser, sondern auch gedämpfter, undeutlicher. Und dass ich seit 50 Jahren darauf konditioniert bin, näher an meine Gesprächspartner heranzutreten, um sie besser zu verstehen, wird mir bestimmt noch zum Verhängnis, weil ich den Mindestabstand nicht einhalte“, mutmaßt Geoff schmunzelnd. Und setzt mit ernster Miene fort: „Es ist unglaublich, wie sehr eineinhalb Meter Abstand das Verstehen beeinflussen.“ Trotz aller Herausforderungen ist Geoff froh um seine Hörimplantate, denn ansonsten wäre seine Kommunikation auf Gebärden, Mimik und Augen reduziert.

Die Teenager Melanie und Sophie sehen das ähnlich. Auch sie müssen sich mehr konzentrieren, um mit Masken gut zu verstehen. Am BIG-Schulzentrum in Wien, dem Bundesinstitut für Gehörlosenbildung, an dem hörbeeinträchtigte, gehörlose und hörende Kinder unterrichtet werden, fand man eine Kompromisslösung. Wenn der Präsenzunterricht wieder losgeht, erhalten die PädagogInnen und SchülerInnen am BIG hergestellte durchsichtige Visiere, um das Gesichtsfeld sichtbar zu halten.

Solche Visiere sieht man auch vermehrt in Arztpraxen, Apotheken und bei jenen Berufsgruppen, die mit Hörbeeinträchtigten arbeiten. Und sogar beim Bäcker ums Eck, was übrigens auch Menschen ohne Hörhilfen freut. Immerhin verlassen auch sie sich – mehr oder weniger bewusst – auf das Mundbild.

Spezielle Situation Seniorenheim

Eine gute Hörversorgung ist in Zeiten von Corona für isolierte Bewohner von Seniorenheimen von enormer Bedeutung. ©Adobe Stock

Ein Bereich, in dem das Corona-Virus spürbare Folgen zeigte, sind Seniorenwohn- und Pflegeheime. Zum Schutz dieser Risikogruppe wurde schon früh ein Besuchsverbot erlassen. Der Kontakt mit der Welt außerhalb war den Bewohnerinnen und Bewohnern daher großteils nur mittels Telefons möglich. Nur ein paar wenige Technikaffine beherrschten Tablet, Smartphone & Co und konnten sich per Videochat mit ihren Angehörigen unterhalten.

Doch nicht nur die fortschreitende Technik stellte für diese Altersgruppe ein Problem dar, sondern oft auch der fortschreitende Hörverlust. Und diese Kombination führte im abgeschotteten Seniorenheim-Setting, in dem auch innerhalb der Einrichtung körperlicher Abstand gefordert war, teilweise zu sozialer Isolation. Aktivitäten wie gemeinsames Kochen, Gedächtnistraining oder der Messbesuch waren plötzlich nicht mehr möglich, die älteren Herrschaften durften sich nur mehr in ihren Zimmern aufhalten. Unterhaltung lieferten maximal Radio und Fernseher. Das Pflegepersonal war bemüht, die Bewohnerinnen und Bewohner gut zu versorgen, doch das Hörgerät blieb dennoch oft unbeachtet in der Schublade.

Herr Karl, 77-jähriger Bewohner eines Wiener Seniorenwohnheims und seit mehr als 10 Jahren CI-Träger, ist froh über sein „Horcherl“. Das Telefonieren funktioniert einigermaßen und der Entfernungsplausch von Tür zu Tür mit den Nachbarn und dem Pflegepersonal war dank CI auch möglich. Die Gefahr der sozialen Isolation während des Corona-Besuchsverbots war gebannt. Sobald Besuche wieder möglich waren, verabredete sich Herr Karl mit seiner Tochter. Vor lauter Aufregung über das Wiedersehen vergaß er prompt seinen Audioprozessor am Zimmer. Schnell war klar, dass dem begnadeten Lippenleser das Gespräch mit Implantat trotzdem viel leichter fallen würde und nach einem Sprint zurück konnte Herr Karl sich voll und ganz der Unterhaltung widmen. „Mit dem CI war ich zwar allein, aber nicht ganz so einsam“, erklärte er seiner Tochter. Und freut sich auf ihren nächsten Besuch, bei dem er von Anfang an seinen Audioprozessor dabei haben wird. Um auch mit Abstand besser zu hören.

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