Die Fachhochschule Wiener Neustadt hat anlässlich des Corona-Lockdowns ihr noch junges Projekt „Gruppentherapie für CI-Nutzer“ für den Remote-Betrieb weiterentwickelt.
Eva Kohl
Die Ausbildung Logopädie an den österreichischen Fachhochschulen vermittelt neben theoretischem Fachwissen auch praktische Fähigkeiten. Auch Hör-Rehabilitation für CI-Nutzer kann in der praktischen Ausführung besser eingeübt werden. Zu diesem Zweck betreuten im Wintersemester 2019 erstmals Studierende des Studiengangs Logopädie an der FH Wiener Neustadt eine Gruppentherapie für CI-Nutzer, fachkundig angeleitet von Simon Sollereder, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrender im Studiengang Logopädie.
Im Frühling 2020 startete ein zweiter Durchgang, der durch den Lockdown Mitte März aber abgebrochen werden musste. „Wir wollten dann verhindern, dass die Teilnehmer vor die symbolische Tür gesetzt werden“, erklärt Sollereder, warum seine Studierenden weitere sechs Therapieeinheiten zu unterschiedlichen Themen für die individuelle Hörtherapie zuhause entwickelten: eine schriftliche Aufgabensammlung, kombiniert mit passenden Audioaufnahmen. Die insgesamt knapp zehn Teilnehmer hatten das Konzept in den Präsenzeinheiten kennengelernt, das ergänzende Material erhielten sie per E-Mail.
Die Kombination aus Präsenz- und Onlineeinheiten wäre aus Sicht Sollereders ein durchaus zukunftsträchtiges Konzept: „Im Fall eines weiteren Lockdowns oder wenn Patienten einen weiten Anfahrtsweg zur Therapie haben.“
Eine Lücke schließen
„Hör-Rehabilitation bestmöglich in die Ausbildung zu implementieren“, war das Ziel für Simon Sollereder. Der Spezialist für neurologische Störungen vertiefte sich in die Thematik: Er nahm Kontakt zu CI-erfahrenen Logopäden auf, wie dem leitenden Logopäden der Universitätsklinik St. Pölten Max Schlögel und den Logopädinnen am ZENTRUM HÖREN in Wien, recherchierte in wissenschaftlichen Publikationen über CI-Rehabilitation und kontaktierte CI-Selbsthilfegruppen. Sollereder kam zu dem Schluss: „In der CI-Nachversorgung fehlen in Österreich noch ergänzende Reha-Angebote. Es ist auch unser Wunsch, diese Lücke ein Stück weit zu schließen.“
Die Logopädin Nicole Trimmel vom ZENTRUM HÖREN machte den Lehrvortragenden auf ein Projekt am Kepler Universitätsklinikum in Linz1 aufmerksam, das Gruppentherapie für CI-Nutzer anbietet. So entstand die Idee zu einer kostenfreien Gruppentherapie für interessierte CI-Nutzer als vertiefte Ausbildung der Studierenden am Bereich CI-Therapie und zugleich als ergänzendes Angebot für CI-Patienten.
Die Rahmenbedingungen während des Corona-bedingten Lockdowns machten die Gruppensitzungen unmöglich und führten zur Weiterentwicklung des Angebots zu einer Kombination aus Gruppen- und Tele-Therapie – und damit zu einer in Österreich bisher unbekannten Form der CI-Rehabilitation.
Gruppentherapie – alltagstauglich
Gruppentherapie bietet für Therapierende spezielle Herausforderungen. So ist es laut Sollereder bei einer heterogenen Gruppe nicht einfach, Übungen hinsichtlich der unterschiedlichen Hörkompetenzen der einzelnen Teilnehmer auszusuchen und zusammenzustellen.
„Man könnte locker eineinhalb Stunden reden, ohne noch zum Üben zu kommen“, schildert Sollereder den Bedarf der Teilnehmer, sich über persönliche Erfahrungen mit dem CI und über Tipps für den CI-Alltag auszutauschen. „Das war nicht unser primäres Ziel, aber wir wollten natürlich versuchen, diesem Bedarf entgegen zu kommen.“ Er sieht diese Gespräche in einer Selbsthilfegruppe, wie CIA eine ist, aber letztlich besser aufgehoben.
Der Projektleiter resümiert: „Das war auch bei uns ein Dazulernen – auch darüber, was wir noch besser machen können.“ Für die Therapiegruppe im Sommersemester erstellten die Logopädie-Studentinnen Anna Egger, Denise Grawatsch, Anna Lehner und Magdalena Wasserer daher ein neues Konzept mit vermehrtem Fokus auf Sprachdiskrimination und einem zusätzlichen Augenmerk auf reale Hörsituationen im Alltag.
Der Lockdown – (k)ein vorzeitiges Ende für Therapie
Mit dem Lockdown Mitte März musste die FH nicht nur die Lehrvorträge auf Fernunterricht umstellen, sondern auch Laborübungen und Therapieprojekte in Präsenzform einstellen. Studiengangsleiterin Angelika Jungwirth war es wichtig, trotzdem eine qualitativ hochwertige Ausbildung zu ermöglichen: „Dank der Kreativität und hohen Einsatzbereitschaft unserer internen und externen ReferentInnen und der Flexibilität unserer Studierenden konnten wir die Ausbildung in dieser herausfordernden Zeit erfolgreich fortsetzen.“ Auch Sollereder und seine Studierenden suchten Wege, das Projekt in Tele-Form abzuschließen.
Ein Online–Angebot über Videokonferenz wäre laut Projektleiter Sollereder für die Studierenden und Betreuenden zu aufwendig gewesen, deswegen entschied man sich für eine Kombination aus schriftlichen Arbeitsanweisungen und Tonaufnahmen, die den Teilnehmern als Audiodatei online oder als Download verfügbar waren. Die Studierenden kombinierten für das Therapieprogramm Texte aus Sprachlernmaterialien, Klangaufnahmen vom Internet und Module der CI-Therapie ListenUp! von MED-EL mit selbst konzipierten Materialien.
Für zukünftige Therapieangebote vonseiten der FH Wiener Neustadt kann Sollereder sich Online-Therapie mit den bereits zusammengestellten Materialien ebenso vorstellen wie reine Gruppentherapie oder eine Kombination aus Präsenz- und Teleeinheiten – eine persönliche Einführung der Teilnehmer in die Therapie erachtet er aber jedenfalls als wesentlich.
WISSENSWERT
Fachhochschulen in Corona-Zeiten
Durch den Lockdown waren Bildungseinrichtungen gezwungen, auf Fernunterricht umzustellen. Die Österreichischen Fachhochschulen für Gesundheitsberufe unterstützten zudem auch auf vielfältige Weise die Bekämpfung der Pandemie. So stellte die FH Wiener Neustadt dem nahen Landesklinikum zwei Labor-Zentrifugen für die Analyse von Corona-Tests zur Verfügung, der FH–Campus Wien stellte Rechnerleistung für die Erforschung des Virus, 3D-Drucker und Material für die Herstellung von Gesichtsvisieren sowie ein hochwertiges Beatmungsgerät bereit.
Wiener Studierende und Lehrende waren an den Gurgeltests bei Schulkindern beteiligt, Studierende der Analytik unterstützten als Freiwillige die Labors der Wiener Spitäler. Die FH Wiener Neustadt förderte den Freiwilligen Zivildienst von Studierenden: Bei der Gesundheitshotline 1450 waren zwanzig Studierende im Einsatz.
Am Wiener Neustädter Studiengang Logopädie wurden Praxisprojekte für den präsenzlosen Einsatz umstrukturiert. Das gewährleistete eine aufrechterhaltene Lehre und bot in der Krisenzeit zusätzliche Unterstützung für Gesundheitswesen und Bevölkerung. Neben Tele-Therapie für CI-Nutzer und Online-Lehrpraxis am Bereich Neurologie boten fünf Logopädie-Studierende unter Supervision ihrer Ausbildnerin Katharina Klavacs einen Online-Kurs zu stimmhygienischen Maßnahmen, Stimm- und Sprechtechnik und zum richtigen Umgang mit der Stimme an. „Durch die Corona-Maßnahmen sind wir alle in eine stimmliche Überforderung geraten, nach langen Video- und Telefonkonferenzen sowie ausführlicher Auskunft an unsere Klienten ist die Stimme oft müde und schmerzt“, erklärt eine Teilnehmerin. Klavacs bekräftigt: „Ziel dieses Workshops ist es, dass die Menschen, die durch die Corona–Pandemie vermehrt sprechen müssen, ihre Stimme entlasten und richtig einsetzen können, um somit den Hilfesuchenden mit voller Kraft zur Verfügung stehen zu können.“