Aufgewachsen in Kärnten, dann ausgezogen, um am Mozarteum in Salzburg Querflöte zu studieren und von dort die Flötenwelt zu erobern: Das ist die Kurzbiographie von Walter Auer, Soloflötist bei den Wiener Philharmonikern. Mit gehört.gelesen unterhielt sich der Spitzenmusiker über Perfektion, Verhältnismäßigkeit und Verzicht. 

Carmen Kronawettleitner 

GG: Dein Berufsziel, nämlich Flötist in einem guten Orchester zu werden, stand schon als Jugendlicher fest. Gab es Alternativen zu diesem Berufswunsch? 

WA: Meine Entscheidung traf ich mit 15, 16 Jahren, als ich mit der Flöte schon einige Erfolge verbuchen konnte. Alternativen haben mich nicht interessiert, ich habe mir zwischenzeitlich nie gedacht „Jetzt könnte ich doch etwas anderes machen.“ Wenn man als Jugendlicher schon weiß, was man wirklich machen will, stellt sich die Frage nach vielem anderen einfach nicht. Während meiner Ausbildung hatte ich viele Proben, Auftritte und Konzerte auswärts und fehlte oft in der Schule. Dafür braucht es Verständnis und Unterstützung seitens der Lehrer. Ich war ein durchschnittlicher Schüler, doch die Lehrer kannten mein Berufsziel und waren sehr verständnisvoll.   

GG: Welche Eigenschaften braucht es, um so erfolgreich wie du zu werden? 

WA: Es braucht natürlich ein gewisses musikalisches Talent und die Zielstrebigkeit und Bereitschaft, viele Stunden täglich in die Erreichung dieses Ziels zu investieren. Ob das die Musik ist, ob Sport oder ein anderes Ziel, ist egal. 

Als Solist muss ich Führungsstärke in Form von klaren musikalischen Vorgaben zeigen, denen Kolleginnen und Kollegen im Orchester gut folgen können. Als Orchestermusiker braucht man außerdem ein starkes Nervenkostüm, das einem hilft, Leistungen punktgenau und konstant auf höchstem Niveau zu erbringen.   

GG: Wie gehst du mit diesem Druck um? Wie mit Fehlern? 

WA: Bei den Wiener Philharmonikern und dem Orchester der Wiener Staatsoper stehen wir fast täglich auf der Bühne und sind daher einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt. Um damit umzugehen, hilft ein großes Maß an Standfestigkeit. Und Coolness im positiven Sinne. Wenn mir ein Fehler passiert, hören es die Kollegen, bei einem großen Fehler unter Umständen sogar das Publikum, aber es geht vorbei. Es ist zwar unangenehm, doch ich muss auch die Verhältnismäßigkeit sehen. Es ist eine Oper und keine Operation.  

Im Probejahr bei der Wiener Staatsoper nahm ich Fehler sehr tragisch. Mit der Erfahrung stellte sich ein gewisses Maß an Verhältnismäßigkeit, an Coolness ein.  

GG: Wie wichtig ist Perfektion für dich? 

WA: Gerade im Kontext von Musik ist Perfektion sehr schwer zu definieren. Ist Perfektion die Tatsache, dass einem Musiker kein Fehler unterläuft, er alles exakt so spielt, wie es in den Noten steht, also technisch einwandfrei? Diese Fehlerlosigkeit kann unglaublich langweilig sein. Bloße Perfektion ist nur kalt. Perfektion ohne Inspiration, ohne Fantasie, ist nicht zu gebrauchen. Perfektion im Technischen, in der Fingerfertigkeit, im Klang, ist Grundvoraussetzung, um als Musiker überhaupt in einem bekannten Orchester spielen zu können. Umgelegt auf den Sport heißt das, dass ein Weltklasseläufer die 100 Meter immer unter 10 Sekunden laufen muss. Nicht nur einmal in drei Monaten, sondern immer. Je höher das Niveau, je besser der Ruf des Orchesters, desto beständiger muss die 100-Meter-Leistung sein. 

Das Publikum auf der ganzen Welt erwartet sich von den Wiener Philharmonikern ein hohes Maß an Qualität, aber auch an Einzigartigkeit, Unvergleichbarkeit, Unwiederholbarkeit. Und die schönsten, die perfektesten Momente entstehen oft genau dann, wenn man sie nicht erwartet. 

Das, was ich heute mache, existiert genau ein einziges Mal in dieser Form. Morgen wird es so ähnlich werden, aber nie mehr exakt das Gleiche. Das ist das Faszinierende an meinem Beruf! 

GG: Du bist ein begeisterter Sportler. Welche Einschränkungen sind dir in sportlicher Hinsicht als Berufsmusiker auferlegt? 

WA: Mein Arbeitgeber, die Wiener Staatsoper, hat uns keine Klauseln auferlegt. Ich bin ein vernünftiger Mensch bei allem, was ich tue. Als Freizeitsportler muss ich nicht mit vollem Risiko mit den Skiern den Berg hinunterbrettern, sondern fahre lieber ganz entspannt und gehe nicht über meine Grenzen. Ich trage als Familienvater ja auch Verantwortung für drei Kinder.  

Ich bin ein friedliches Naturell und habe immer einen großen Bogen um Raufereien gemacht, denn ein Schlag auf meine Lippen hätte mein Karriereende bedeuten können.  

Mein Rat: Hirn einschalten und versuchen, das, was man kontrollieren kann, zu kontrollieren. 

GG: Du musst also nicht wegen deines Berufs auf viele Hobbys verzichten? 

WA: Nicht im obengenannten Sinn. Mein Verzicht sieht anders aus. Interessanterweise verzichte ich genau auf das, was während des Corona-Shutdowns erzwungen worden ist. Ich war zum ersten Mal in meinem Philharmoniker-Leben daheim und konnte mit meiner Familie regelmäßig zu Mittag und zu Abend essen. Denn normalerweise arbeite ich abends eigentlich, es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht auftrete. In Wien oder einem anderen Konzerthaus der Welt, wenn wir mehrere Monate pro Jahr auf Tournee sind. Das ist in gewisser Weise auch Verzicht, bei mir eben auf das Familienleben, so wie es andere kennen, und auf freie Wochenenden. Unsere Normalität ist eine andere.  

Ich möchte aber betonen, dass ich nicht das Gefühl habe, in meinem Leben auf vieles verzichten zu müssen, ganz im Gegenteil. Ich habe durch meinen Beruf schon unglaublich viel gesehen, kann sehr viel reisen, treffe faszinierende Leute. Das ist ein Geschenk an Reichtum, das ich mir nie erträumt hätte.  

GG: Wie studierst du ein neues Werk ein? Verlässt du dich mehr auf die Noten oder auf dein Gehör? 

WA: Bei Orchesterwerken bereite ich mich zuhause gut vor. Ich schaue mir zuerst die Partitur genau an und kann mir das Stück dann bis zu einem gewissen Teil vorstellen. Das Hören an sich beginnt mit der Flötenstimme und dem Eindruck, den ich daraus gewinne. Ich sehe dabei die technischen Anforderungen und Schwierigkeiten. Erst dann höre ich mir viele verschiedene Aufnahmen an. So vermeide ich es, etwas zu spielen, das ich unbewusst wahrgenommen habe, obwohl es gar nicht in den Noten steht. Und ich höre selber genau, wie ich etwas nicht spielen will.  

GG: Was bedeutet Hören für dich? 

WA: Mein Gehör ist für meinen Beruf das Allerwichtigste, noch wichtiger als meine Lippen oder Finger. Ich muss auf die Zehntelsekunde genau reagieren können, konkret hören. Ich achte auf mein Gehör und spiele manche Stellen auch mit Gehörschutz. So wie übrigens immer mehr Orchestermusiker. Allein der Gedanke, meinen Beruf aufgrund von Hörverlust nicht mehr ausüben zu können, trifft mich bis ins Mark meines Daseins. 

GG: Gibt es auch Stücke, die du nicht magst? 

WA: Eigentlich nicht. Es würde mir nicht einfallen zu sagen „dieses Stück mag ich nicht“. Ob es jetzt die fünfzigste „Zauberflöte“ oder die dreißigste „Traviata“ ist, ich freue mich darauf. Es würde mir nicht einfallen zu sagen „dieses Stück mag ich nicht“.  Außerdem gehe ich zum schönsten Arbeitsplatz der Welt. Ich setze mich in die Wiener Staatsoper vor 2300 Zuhörer, in einen wunderschönen Opernraum, der Vorhang geht auf, tolle Sänger und Sängerinnen stehen auf der Bühne, es ist geheizt, und ich werde bezahlt für die Musik. Es gibt bestimmte Opern, auf die ich mich besonders freue, auf eine großartige Inszenierung, aber egal, was gespielt wird, ich kann allem etwas abgewinnen. Wagner-Opern, die fünf Stunden dauern, bedeuten zwar lange Dienste, sind aber trotzdem wunderbar!   

 

Weitere spannende Interviews mit Walter Auer zum Thema Hören, Stressbewältigung und Erfolg lesen Sie auf: 

https://www.explore-life.com/de/articles/mit-leidenschaft-zum-erfolg 

https://www.endlich-wieder-hoeren.org/leben-mit-hoerimplantat/erfolg-den-man-hoert/ 


WISSENSWERT

©Walter Auer

 

Walter Auer, Jahrgang 1971, wuchs in der Nähe von Villach auf und studierte am Mozarteum in Salzburg. Seine berufliche Laufbahn führte ihn über mehrere renommierte Orchester 2003 in die Wiener Staatsoper und zu den Wiener Philharmonikern. 

Neben seiner Orchestertätigkeit ist Walter Auer auch solistisch und in Ensembles tätig und unterrichtet an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien. www.walterauer.at 

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