Leben und Hören nach COVID-19 Infektion

Zwei Menschen berichten von ihrem Leben und Hören nach ihrer COVID-19 Infektion: Hartmut Blum und Doncho Donchev – beide im Frühling 2020 während der ersten Welle der Pandemie an COVID-19 erkrankt, machen beide trotz unterschiedlicher Krankheitsverläufe klar: Wir sollten SARS-CoV-2 nicht verharmlosen! 

Ehepaar Blum - Hören nach Covid 19

COVID-19 Infektion nicht unterschätzen!

Wenn der 60-jährige Hartmut Blum beim Fernsehen in eine dieser neuen Corona-Talkshows schaltet und von der zunehmenden Maßnahmen-Müdigkeit bis hin zur Leugnung des Virus hört, wird er richtig emotional. „Wie kann man so unsolidarisch und egoistisch sein“, empört er sich. „Es wundert mich immer wieder, wie unverantwortlich eine ganze Reihe von Menschen ist – wobei die Tatsachen doch auf dem Tisch liegen. Es ist so wichtig, dass wir alle mitziehen. Ich weiß, wie gefährlich das Virus sein kann. Und ich möchte nicht, dass das, was ich durchgemacht habe, anderen Menschen widerfährt!“

Dass ihr Mann am neuen Corona-Virus leidet, ahnte Lucimara Blum sofort, als er am 10. März 2020 erkrankte. „So extreme Symptome bei einer ,normalen‘ Erkältung: Hartmut war kalt. Er schwitzte und konnte vor Heiserkeit kaum sprechen. Alles tat ihm weh. Um unsere Kinder zu schützen, beschlossen wir umgehend, dass wir fortan getrennt essen und schlafen. Als am nächsten Tag keine Besserung eintrat, rief ich den Hausarzt.“ Doch der tippte auf einen grippalen Infekt. Erst mehrere kräftezehrende Tage später wurde der bereits schweratmende Mann in die Klinik gebracht. „Dort bestätigte der Corona-Test, dass ich mit meiner Panik richtig lag“, so Lucimara Blum.

„Während Hartmut auf der speziell eingerichteten Corona-Intensivstation um sein Leben kämpfte, rangen wir mit der neuen Krankheit zu Hause. Einzige Verbindung waren die täglichen Anrufe bei den Ärzten in der Klinik. Mehr konnte ich nicht für ihn tun – furchtbar!“

CI Nutzer Hartmut Blum

Der Krieg gegen die COVID-19 Infektion

Seit dem Frühling 2020 hat die Corona-Pandemie ganz Europa erfasst. In vielen Ländern wurden und werden Ärzte aufgerufen, sich zur Behandlung von COVID-Patienten zur Verfügung zu stellen. Mitte März waren auch an der Infektiologie der Militärmedizinischen Akademie Sofia, BMA, einer von vier Spezialstationen für COVID-Erkrankte der bulgarischen Hauptstadt, die Mediziner an ihre Kapazitätsgrenze angelangt. Als einer der ersten Freiwilligen zur Verstärkung des Teams meldete sich Dr. Doncho Donchev, Audiologe und CI-Spezialist am MMA.

Donchev blickt durch seine Auslandseinsätze als Militärarzt in Georgien, Irak, Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Slowenien, Rumänien und Mazedonien sowie im operativen NATO-Hauptquartier in Neapel/Italien auf zahlreiche Erfahrungen mit außergewöhnlichen Arbeitssituationen zurück. „Ein Krieg auf eigenem Territorium“, so beurteilte der Oberstleutnant die Situation, fühlte sich als ausgebildeter Fallschirmjäger und Taucher aber fit und widerstandsfähig: „Ich hatte keine Angst vor einer Ansteckung. Wir haben ja in Schutzausrüstung gearbeitet und ich dachte auch, ich bin ja gesund und stark, was sollte mir das Virus schon anhaben.“

Seine Frau und seine beiden Töchter, 12 und 25 Jahre alt, sah er in dieser Zeit nicht: Er hatte sich ein Apartment gemietet, um seine Familie nicht zu gefährden. Den meisten Teil seiner Zeit verbrachte er aber an der Klinik: in der Aufnahmestation der COVID-Patienten und in der Isolationsstation, an der „Front zwischen Leben und Tod“, wie er sagt. Nach einiger Zeit seien die Mitarbeiter an der Klinik für Infektionskrankheiten alle erschöpft gewesen, erzählt Donchev, und durch die Erschöpfung passierten leicht Fehler und somit Infektionen des medizinischen Personals. Nach einer der 24-Stunden Schichten bemerkte auch Donchev erste Symptome bei sich selbt, der routinemäßige COVID-Test viel positiv aus.

Dr. Doncho Donchev

Was bleibt, wenn die COVID 19 Infektion vorbei ist…

„Ich war sehr betroffen, dass ich die Kollegen an der Klinik nun im Stich lassen musste“, erinnert sich Doncho Donchev an seine ersten Emotionen, nachdem bei ihm COVID-19 diagnostiziert wurde. Obwohl er zuvor keine gesundheitlichen Probleme gehabt hatte, verlief die Erkrankung dann nicht so unkompliziert wie erhofft. Donchev benötigte Sauerstoff, verlor 10 Kilogramm Gewicht. Am 26. Mai war es für ihn endlich überstanden. „Ich bin fertig – als COVID-Arzt und als COVID-Infizierter und -Kranker“, postete er auf Facebook.

Nach dem Sommer fühlt Donchev sich wieder gesund – oder zumindest fast…: „Wenn ich eine Treppe gehe, merke ich, dass ich keine Luft bekomme und nach ein paar Schritten keuche, als wäre ich einen Marathon gelaufen.“ Für den begeisterten Bergwanderer ein unangenehmes Problem, dem er mit Ausdauer und eisernem Training beizukommen versucht.

Bei Hartmut Blum verlief die Erkrankung deutlich dramatischer. Das letzte, an das sich der 60jährige VW-Ingenieur aus Gifhorn in Deutschland erinnert, ist der 16. März 2020. Kurzatmig, hochfiebrig verließ er damals im Rettungswagen seine vertraute Welt mit Frau, zwei Kindern und Haus in Richtung Klinik. Danach trübt sich die Erinnerung ein. Es folgten künstliches Koma, die Verlegung an die Universitätsklinik Hannover, künstliche Beatmung in Bauchlage, und anschließend die Rückverlegung an das örtliche Krankenhaus und einige Zeit im Delirium.

Speziell zu Anfang der Pandemie erlag etwa jeder zweite beatmete COVID-19-Patient letztlich dem Virus. Hartmut Blum zum Glück nicht. „Als ich zu mir kam, war es unglaublich laut. Als Folge des Delir hatte ich das Gefühl, in einem Hubschrauber zu sein. Der Krach hinderte mich, die Ärzte zu verstehen“, erzählt der Familienvater, der in den 14 Tagen gut zwölf Kilogramm Gewicht verloren hat. „Ich berichtete den Ärzten von den Geräuschen und dass ich rechts nichts mehr hören kann.“

COVID-19 Infektion  und weitere Viruserkrankunken können sich auf das Hören auswirken!

Hartmut Blum ist nicht der einzige COVID-19-Erkrankte, der über Tinnitus und plötzliche Verschlechterung des Hörvermögens klagt. Mehrere Kliniken machten ähnliche Beobachtungen. Die Universitätsklinik Manchester in Großbritanien publizierte im Sommer eine Untersuchung dazu. “Wir wissen, dass Viren wie Masern, Mumps und Meningitis Hörverlust verursachen können und Coronaviren können den Nerv in Mitleidenschaft ziehen. Es ist theoretisch möglich, dass COVID-19 Probleme im Auditorischen System, auch im Mittelohr und in der Cochlea verursachen könnte“, erklärt der dortige Audiologe Professor Kevin Munro.

„Man kann sagen, dass es eine solche kausale Beziehung gibt – dass das Virus selbst diese Schädigung auslöst“, bestätigt auch Prof. Dr. Thomas Lenarz, Kinikdirektor der HNO-Kinik an der Medizinischen Hochschule Hannover, der deutschen Zeitung Bild. Auch er verweist auf diesbezügliche Veröffentlichungen. „Man sieht, dass nach Berichten ungefähr 25 bis 30 Prozent [der COVID-19 Patienten] eine Hörminderung haben. Die meisten nicht taub, aber so, dass es zu einer Abnahme der Hörleistung kommt.“

Auch in Österreich wurden bei mehreren COVID-Patienten plötzliche Höreinbußen bis hin zu hochgradiger Schwerhörigkeit beobachtet, die sich aber glücklicherweise im Zuge der Genesung wieder rückbildeten. Bei Hartmut Blum in Deutschland war das leider nicht der Fall. Wieder nahm das Krankenhaus Kontakt zur Medizinischen Hochschule Hannover auf. HNO-Spezialist Lenarz nahm sich des Patienten an. Er fürchtete, dass die Entzündung zusätzlich zu Narbengewebe und Verknöcherung in der Cochlea führen würde, was einen späteren Eingriff verhindert hätte. Die Zeit drängte.

Hartmut Blum - Cochlea Implantat Nutzer

Rasche Entscheidung zum Hören nach der COVID-19 Infektion

Am Ostermontag 2020 wurde der Familienvater  nach Hannover zurückverlegt. „Auf dem Weg erfüllten mir die Rettungssanitäter meinen größten Wunsch. Sie hielten kurz an, öffneten auf einem Parkplatz die großen Hecktüren. Dort warteten meine Frau und meine Kinder. Es war sehr bewegend, unser Wiedersehen nach 29 Tagen –  natürlich unter penibler Einhaltung aller Abstandsregeln.“

Drei Tage später erfolgte die Cochlea-Implantation – aufgrund des vorangegangenen künstlichen Komas in örtlicher Betäubung. So war Blum live dabei, als der Eingriff den Höhepunkt erreichte: dem Einführen der Mehrkanal-Implantatelektrode in das schneckenförmige Innenohr. „Ein Dreiklang als erstes Testsignal während der OP zeigte mir an, dass das System funktioniert“, berichtet der technikaffine Ingenieur. „Dann wurde der Zugang verschlossen und die Lage der Empfängerspule kontrolliert. Nach einer knappen Stunde konnte ich auf die Station zurück.“

Das Wunder zu leben und zu hören nach COVID-19

Am 23. April – 39 Tage nach dem Corona-Notarzt-Einsatz – kann Hartmut Blum nach Hause. „Es war ein bisschen unwirklich, nach all der Zeit, nach all den Erlebnissen. Die Begegnung mit dem Tod hatte mich tief verunsichert. Ich brauchte Zeit, den Alptraum hinter mir zu lassen. Stück für Stück kämpfte ich mir die Normalität zurück, machte mit meiner Frau erste Spaziergänge am Rollator. Gewöhnte mich an das neue Hören mit dem CI.“

Der Deutsche genießt jedes Bisschen Normalität: „Es ist ein Wunder, dass ich lebe – und ein Wunder, dass ich höre.“ Trotz rascher Ermüdung und Konzentrationsstörungen arbeitet er seit Juli wieder zu 60 Prozent. Die Arbeit im Homeoffice und über Skype ist anstrengend, doch auch ein Stück Normalität. „Gut möglich, dass ich mir am linken Ohr ebenfalls ein CI setzen lasse. Alles zu seiner Zeit. Jetzt genießen wir unser zurückgewonnenes Leben.“

In Bulgarien hat CI-Spezialist Doncho Donchev nach seiner Genesung wieder seine Arbeit aufgenommen: An der HNO-Abteilung auch mit seinen CI-Patienten, bei der Erstellung wissenschaftlicher Arbeiten und mittlerweile auch wieder auf der COVID-Station. Donchev spendet regelmäßig Plasma: Aus dem Blutplasma genesener COVID-19 Patienten werden Abwehrstoffe gegen die Krankheit extrahiert, die für die Erzeugung von dringend benötigten Medikamenten gegen COVID-19 verwendet werden. Bei zahlreichen Interviews versucht er, andere Genesene zur Plasma-Spende zu animieren und Gesunde zur Vorsicht zu mahnen. Für seinen Einsatz im „Krieg gegen einen unsichtbaren Feind“, wie er selbst es nennt, wurde der beliebte Mediziner in Bulgarien zum „Arzt des Jahres 2020“ ernannt. Zur nun verfügbaren Impfung gegen COVID-19 sagt er: „Retten Sie die Menschheit vor der Pest des Jahres 2020! Ich rate allen, verantwortungsvoll zu handeln und sich impfen zu lassen, um sich selbst, ihre Familien und ihre Landsleute zu schützen.“

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