Ein Workshop über die Bildungschancen und -hürden mit Cochlea-Implantat

Die diesjährigen CIA Summer Days standen ganz im Zeichen von Bildung. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tauschten ihre Erfahrungen über Schule und CI aus und erzählten von ihren persönlichen Erlebnissen vor, während und nach dem Homeschooling. Die Bandbreite der Erfahrungen war groß, sodass Eltern von kleineren Kindern schon jetzt viele hilfreiche Tipps bekamen, die den späteren Schuleintritt ihrer Kinder erleichtern können.

Corona, da waren sich alle einig, verstärkte bestehende Schwierigkeiten, besonders für CI-Nutzer. Egal, ob Online-Unterricht zuhause oder hybrid in der Schule, Unzulänglichkeiten gab es da wie dort. Online, weil Lehrer und Schüler die Videofunktion oft nicht aktiviert hatten, die Audioqualität mangelhaft war und die Kinder mit CI nur schwer verstehen konnten; in der Schule, weil die Masken den gleichen Effekt hatten – das Mundbild fehlte und das Sprachverständnis sank.

Die Taubheit ist nicht ausschlaggebend für schulische Erfolge oder Misserfolge, so die einhellige Meinung. Der Charakter des Kindes und die Bereitschaft der einzelnen Lehrpersonen, ein Kind mit CI in der Klasse zu unterstützen, tragen viel stärker dazu bei. Mit und ohne Corona.

Unterstützung kann so einfach sein – oder auch nicht

Unterstützung von CI-Kindern in der Schule kann sich in kleinen oder in großen Taten zeigen. Kleinere Gruppen, die Tafel, die im Video zu sehen ist, oder ein langsameres Sprechtempo sind nur drei Beispiele dafür, wie Lehrer ohne enormen Aufwand den Schulalltag für hörbeeinträchtigte Kinder erleichtern können. Profitieren können davon alle Kinder, auch die normalhörenden. Der Englischlehrer der Oberstufenschülerin Sophie machte sich die Mühe, seiner bilateral versorgten Schülerin Videos zur Verfügung zu stellen, die er sogar noch untertitelte.

So viel Einsatz zeigen nicht alle Lehrkräfte – und manche sind kaum gewillt, auf ein Kind mit CI einzugehen. Diese Erfahrung musste auch der zwölfjährige Julian machen, der eine Musik-Mittelschule im Bezirk Schärding besuchte. Er verstand sowohl online als auch im Unterricht wegen der Masken schlechter, doch sein wiederholtes Nachfragen wurde von der Lehrerin mit den Worten „Ich kann nicht alles hundertmal wiederholen“ abgetan. Auch die Hörverständnisübungen bei Englisch-Schularbeiten bereiteten dem einstmals guten Schüler zunehmend Schwierigkeiten. Nachteilsausgleich? Fehlanzeige. Obwohl Kinder mit CI bei den Hörverständnisübungen eigentlich den Text zum Mitlesen bekommen sollten, den sie im Anschluss wieder abgeben, musste der taube Julian die Schularbeit unter den gleichen Bedingungen wie seine gut hörenden Mitschüler schreiben. „Er hört ja sonst auch alles, er soll sich nicht so anstellen“, meinte seine Englischlehrerin lapidar. Julian reagierte zunehmend frustriert und schaltete beim Unterricht auf Durchzug. Seine Leistungen sanken, seine Eltern versuchten zu vermitteln, traten für ihren Sohn ein, doch vergebens. Julians Mutter Silvia meint rückblickend: „Wenn Eltern in einer Schule ständig für die Rechte ihres Kindes kämpfen müssen, ist es vielleicht nicht die richtige Schule für das Kind.“ Mit dem Schulwechsel ins rund 100 Kilometer entfernte Linz zog die Familie die Reißleine. In Julians neuer Schule zeigt man den Willen zur Integration und seine guten Noten sind der beste Beweis dafür, dass er sich wieder wohl fühlt.

Auch Werner, dessen Tochter Lea mehrfach beeinträchtigt ist, erlebte Ähnliches. Lea besuchte eine Sonderschule für Kinder mit Hörstörungen. Doch wenn alltägliche Handgriffe am Prozessor gefragt waren, ein Spulenkabel einzustecken oder eine Batterie zu tauschen, musste Werner von seinem Arbeitsplatz weg und in die Schule, weil sich die Lehrer an der Sonderschule mit Leas CIs nicht auskannten und nicht bereit waren, diese einfachen Handgriffe zu erlernen. So wie Julian wechselte auch Lea an eine andere Schule, an der die Bereitschaft höher war, ihr zu helfen.

Die Vorzugsschülerin Luisa aus Oberösterreich, mit einem ausgeprägten Talent für Sprachen, entschied sich bei ihrer Schulwahl für ein Gymnasium mit bilingualem Zweig. Ihre Eltern sehen die Entscheidung pragmatisch: „Wir wollen ihr wegen ihrer CIs keine gläserne Decke einziehen. Sollte sich herausstellen, dass die Schule zu schwer ist oder dass es nicht funktioniert, kann sie immer noch wechseln.“

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tauschten ihre Erfahrungen über Schule und CI aus und erzählten von ihren persönlichen Erlebnissen. ©Philipp Hicker

Gratwanderung

Es ist enorm wichtig, sich für die Rechte des Kindes einzusetzen, so die einhellige Meinung aller Workshop-Teilnehmer. Doch dieser Einsatz kommt einem Balanceakt gleich. Eltern eines tauben Kindes mit CI sollen einerseits Präsenz zeigen, doch ihre Forderungen nicht zu vehement stellen. Ein Kind, das neu an eine Schule kommt, darf nicht auf sein Implantat, auf seine Taubheit reduziert werden. Der Lehrkörper, die Schulleitung, soll über Cochlea-Implantate Bescheid wissen, über deren Nutzen, aber auch über deren Grenzen. Lehrkräfte, die sich auskennen, sind eher gewillt, betroffene Schüler zu unterstützen. Dann wären da noch die anderen Eltern, die befürchten, dass ihre Kinder gegenüber dem implantierten Kind benachteiligt werden könnten. Keine leichte Aufgabe, diese Gratwanderung. Mit Information und Aufklärung, so der Tenor am Workshop, lässt sie sich dennoch bewältigen.

Schule ist für alle Eltern ein stark emotional besetztes Thema, umso mehr, wenn das eigene Kind besondere Bedürfnisse hat. Daher empfiehlt es sich bei der Informations- und Aufklärungsarbeit, neutrale Partner mit ins Boot zu holen: Verantwortliche aus der Bildungsdirektion etwa, oder Vertreter der CI-Hersteller. Sie gehen sachlicher an das Thema heran und erklären mit dem nötigen emotionalen Abstand, was für Kinder mit CI wichtig ist. Judith, Mutter des bilateral implantierten David, schlug diesen Weg ein. Vor dem Schuleintritt ihres Sohnes fand ein Beratungsgespräch zwischen Eltern, Schulleitung, Lehrerin, Frühförderin und der niederösterreichischen Landeskoordinatorin für Hörbeeinträchtigtenpädagogik der Bildungsdirektion statt: „Dieses Gespräch war die Grundlage für Davids guten Schulstart“, ist Judith überzeugt.

Als Nachteil im föderalistischen Österreich erweisen sich die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern. Es fehlt an einheitlichen Richtlinien in vielen Bereichen, etwa der Übernahme von technischen Hilfsmitteln wie FM-Anlagen oder der Bereitstellung von sonderpädagogischen Stützkräften. Eine Mutter bringt es auf den Punkt: „Wir als Eltern von Kindern mit CI fordern, dass die grundlegenden Rahmenbedingungen für unsere Kinder österreichweit einheitlich umgesetzt werden. Alle Schulen sollten in den Grundzügen Bescheid wissen. Es kann nicht sein, dass sich Eltern immer alles selbst erkämpfen müssen – in jeder Schule aufs Neue, für jedes Kind aufs Neue. Das hätte auch für Schulen den Vorteil, dass sie sich untereinander vernetzen können und nicht jede Schulleitung alles von Grund auf neu lernen muss.“

So viel steht nach dem Workshop fest: es wartet noch viel Arbeit auf alle Beteiligten, bis die gläserne Decke auch für Schulkinder mit Cochlea-Implantaten ganz abgebaut ist. Doch halten wir uns auch vor Augen, wie weit wir schon gekommen sind, denn: Bildung in der Regelschule wurde für taube Kinder erst durch das CI möglich. Wenn wir weiterhin gemeinsam an einem Strang ziehen, können wir die gläserne Decke bald ganz durchbrechen.

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