Ein Hörimplantat für jede Situation
Der siebenjährige Jakob Ratz ist begeisterter Sportler und geht gerne zur Schule. Seine BONEBRIDGE sorgt dafür, dass er in beiden Situationen immer voll dabei ist.
„Wir sind alle sehr sportlich“, stellt Lisa Ratz ihre Familie vor. Jakob, ihr älterer Sohn, radelt, spielt Tennis und Fußball und fährt Ski. Besonders begeistert er sich für Eishockey. Mit Kufen, Hockeyschläger und Puck wurde Jakob schon als dreijähriger Knirps vertraut: „Als ich noch ein Baby war“, meint der Taferlklassler fast wegwerfend und streicht ungeduldig die blonden Stirnfransen zur Seite. Seit einigen Monaten gehört auch die Schule zu seinem Alltag. Sein Lieblingsfach dort ist Mathematik. „Weil ich das gut kann“, strahlt er.
Corona-bedingt dominierten bis wenige Wochen vor unserem Gespräch Lockdowns und Homeschooling Jakobs erstes Schuljahr. Während er munter erzählt, nimmt seine Aussprache sachte die Färbung seiner Kärntner Heimat an: „Ich bin froh, dass wieder Schule ist.“ Seine Mutter ist nicht nur erleichtert, dass Präsenzunterricht wieder möglich ist, sondern auch dass Jakob die Schule Freude macht und er dort gut zurechtkommt.
„Das war ein Schock für mich!“
Es gab eine Zeit, in der Lisa Ratz mehr Schwierigkeiten bei der Einschulung ihres Sohns befürchtet hatte. Denn kurz nach der Geburt wurde bei Jakob eine mittel- bis hochgradige Schwerhörigkeit am rechten Ohr diagnostiziert, verursacht durch eine Gehörgangsatresie. „Das war ein Schock für mich!“, erinnert sich die Physiotherapeutin an die Diagnosestellung. „Jakob war mein erstes Kind und es gab keinerlei Vorzeichen.“
Bei Gehörgangsatresien ist der äußere Gehörgang nicht angelegt, die Fehlbildung kann auch Ohrmuschel oder Mittelohr miteinbeziehen. Bei Jakob ist nur das rechte Ohr betroffen: Während seine Ohrmuschel nur wenig atypisch aussieht und das Mittelohr völlig unauffällig ist, ist der von außen nicht sichtbare Teil des Gehörgangs kurz vor dem Trommelfell verschlossen, sodass der Schall nicht auf natürlichem Weg in das gesunde Innenohr gelangen kann. Leitet man mit einem Knochenleitungshörgerät oder -implantat Schall aber über den Schädelknochen direkt in die Cochlea, so kann der Schall auf natürlichem Weg weiterverarbeitet werden.
Genügt ein gesundes Ohr nicht?
„Ein Freund von uns hat im Urlaub einen Tauchunfall gehabt und hört jetzt auf einer Seite fast nichts mehr. Da habe ich mir gedacht: Was wäre, wenn das bei Jakob die gute Seite gewesen wäre?“ Doch auch die schulischen Herausforderungen kamen der zweifachen Mutter in den Sinn: Klassenräume in der Regelschule sind selten besonders ruhig. Um auch bei Hintergrundgeräuschen Sprache zu verstehen, bedarf es aber des Hörvermögens auf beiden Seiten.
Schon 2008 zeigte eine Studie [1] in den USA, dass Kinder mit einseitigen Hörproblemen öfters von Problemen bei der Sprachentwicklung, in der sozial-emotionalen Entwicklung und in der Schule betroffen sind als normalhörende Gleichaltrige. Bis zu 35 Prozent dieser Kinder müssen zumindest ein Schuljahr wiederholen, bis zu 60 Prozent benötigen Nachhilfe für ein oder mehrere Jahre.
Bei der Sommertagung der „Donaugesellschaft der Otolaryngology“ im Juni 2021 in St. Pölten wies Univ. Prof. Dr. Susan Arndt, Geschäftsführende Oberärztin der HNO-Universitätsklinik Freiburg und stellvertretende Sektionsleiterin des dortigen Implantatzentrums, auch auf die Häufung von Verhaltensauffälligkeiten bei einseitig tauben Kindern hin. So neigen sie zum Beispiel häufiger zu Hyperaktivität. Die Universitätsklinik Freiburg untersucht sogar einen eventuellen Zusammenhang einseitiger Taubheit mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS.
Akustische Raumorientierung und Sprachverstehen auch im Störschall – zwei funktionsfähige Ohren ermöglichen das und alles, was daraus folgt.
Mit Hörimplantat – mit beiden Seiten mitten im Leben
„Wir haben es von Anfang an richtig gefunden, das rechte Ohr mit einem Hörgerät zu versorgen, um unserem Kind zu zeigen, dass auch auf dieser Seite im Leben etwas passiert“, erzählt Lisa Ratz. Anfangs nutzte Jakob ein konventionelles Knochenleitungsgerät, das mittels Stirnband an die Schläfen gedrückt wird. „Vielleicht ist es ab einem gewissen Alter für Mädchen mit einem Stirnband ja leichter als für Jungs. Ich habe Jakob dann die Haltevorrichtung für das Knochenleitungsgerät auch in verschiedene Kappen eingenäht.“
Eine dieser Kopfbedeckungen musste Jakob aber immer tragen, wenn er das Gerät nutzen wollte. Bei ihrer Internetrecherche nach Alternativen stieß Lisa Ratz auf das druckfreie ADHEAR, das mittels Klebeadapter auf der Haut hinter dem Ohr gehalten wird. Das ADHEAR war unter Jakobs Haaren kaum zu sehen und dabei so einfach zu handhaben, dass Jakob schon im Kindergarten selbständig die Batterien wechseln konnte. „Jakob ist immer auch ohne Hörgerät gut zurechtgekommen, aber den Unterschied haben wir doch deutlich gemerkt.“ War das ADHEAR morgens nicht gleich zur Stelle, so hat er danach gefragt.
Kurz vor Schuleintritt, mit sechseinhalb Jahren, erhielt Jakob dann ein BONEBRIDGE Knochenleitungsimplantat.
Auch Schlierenzauer hört nur auf einer Seite, aber…
„Viele Ärzte informieren zu wenig über die verschiedenen Möglichkeiten – zumindest bei einem Kind wie Jakob, der auf den ersten Blick auch ohne Hörgerät gut zurechtkommt“, klagt Mutter Lisa. Mehrfach mussten sich die Eltern sogar gefallen lassen, dass Jakob mit dem Skispringer Gregor Schlierenzauer verglichen wurde, der schließlich auch mit nur einem hörenden Ohr gut zurechtkomme.
Dabei könnte gerade die Geschichte des österreichischen Ausnahmesportlers als Argument für beidseitiges Hören gelten: Als Schlierenzauer nach seiner Verletzung im Sommer 2016 an seinem Comeback arbeitete, erklärte sein Personal Trainer Marc Nölke der „Kleinen Zeitung“, dass gemäß dem Ergebnis neurologischer Tests ein Bereich in Schlierenzauers Gehirn unteraktiviert sei, wahrscheinlich in Folge seiner einseitigen Taubheit. „Lange Zeit konnte er dieses asymmetrische Aktivierungsmuster und seine Folgeerscheinungen sehr gut kompensieren, aber irgendwann machen selbst die stabilsten Kompensationsstrukturen mal schlapp.“ Die Folge seien unter anderem Probleme beim Gleichgewicht: „Essentiell wichtig für einen Skispringer.“
Schlierenzauer versuchte laut Nölke den potenziellen Folgen seiner einseitigen Taubheit mit einem speziellen Training zu begegnen. Familie Ratz entschied sich für Jakob zur frühen Hörversorgung der beeinträchtigten Seite und als er sechs Jahre alt war zur Implantation.
„Ich hätte mich über mehr Aufklärung zu den Möglichkeiten gefreut!“
Der Weg zum Implantat war für Familie Ratz aber nicht einfach. Im Prinzip waren Jakob und seine Eltern mit dem ADHEAR ja auch zufrieden. Nur dass der adhäsive Klebeadapter bei ihm häufiger getauscht werden musste, wenn Jakob besonders viel schweißtreibenden Sport machte, nervte manchmal.
Zum Glück trafen die Eltern auf Thomas Ringhofer MSc, der als Klinischer Techniker Jakobs Knochenleitungsgerät betreute und dann von einer alternativen Möglichkeit erzählte: dem knochenverankerten Hörimplantat BONEBRIDGE.
„Unsere HNO-Ärztin meinte damals, ein Implantat wäre für Jakob noch zu früh“, erinnert sich dessen Mutter. Die Familie wollte eine zweite Meinung einholen und wandte sich dazu an das Implantat-Team der HNO-Abteilung am Landeskrankenhaus Klagenfurt: Tatsächlich ist die BONEBRIDGE für Kinder ab fünf Jahren geeignet – die optimale Platzierung auch auf kleinen Köpfen und in dünnen Schädelknochen wird vor der Operation anhand obligatorischer CT-Aufnahmen ermittelt.
In Kärnten sind zurzeit vier HNO-Spezialisten aktiv, die mit Indikation und Operation von Hörimplantaten Erfahrung haben; in ganz Österreich gibt es entsprechende Teams an 15 Kliniken.
Die Operation: „Insgesamt unkompliziert – Jakob war absolut schmerzfrei.“
Manche Bekannten der Familie waren vor der Operation ja skeptisch: Jakob machte im Alltag einen unauffälligen Eindruck, selbst wenn er sein Hörgerät gerade nicht verwendete. „Natürlich macht man sich bei einer Operation am Anfang Sorgen!“, muss Lisa Ratz zugestehen. „Aber ich komme aus dem medizinischen Bereich. Ich vertraue dem Personal.“ Jakob selbst, den sie mit Hilfe einiger YouTube-Videos auf die Operation vorbereitete, habe wie seine Eltern keine Angst vor der Operation gehabt. „Insgesamt war alles total unkompliziert. Ich glaube, die ganze Vor- und Nachbereitung der Narkose ist mehr Aufwand als das Einsetzen des Implantats selbst. Jakob war nach der OP absolut schmerzfrei. Die Operation wird oft problematischer dargestellt, als sie letztlich ist.“
Die Erstanpassung zwei Monate später brachte noch eine Überraschung. „Im Prinzip hat Jakob das Hören rechts ja vom ADHEAR gekannt. Aber mit der BONEBRIDGE, hat er gesagt, ist es noch intensiver und klarer.“ Den Audioprozessor trägt er jetzt den ganzen Tag. „Im Sommer haben wir den Pool im Garten stehen. Wenn Jakob da hinein geht, gibt er den Prozessor zwar herunter. Kinder, die beidseits implantiert sind, können mit dem WaterWear [2] aber sogar ins Wasser gehen.“ Nur beim Eishockey hat er noch keine Möglichkeit gefunden, wie der Prozessor unter den Helm passt – einen passenden Fahrradhelm hat er hingegen schon.
In der Schule mit Hörimplantat
Nach der Erstaktivierung seiner BONEBRIDGE wartete schon bald der erste Schultag auf Jakob. Für die Klassenkollegen waren Implantat und zugehöriger Prozessor nie ein Thema, erzählt seine Mutter: „Meine Sorge war, wie das im Unterricht werden wird, zum Beispiel bei der ersten Ansage.“
Lisa Ratz holte sich Unterstützung vom Land Kärnten in Person von Herrn Berger, einem Volksschullehrer, der selbst beidseits mit Hörgeräten versorgt ist. Der hat mit ihr die speziellen Herausforderungen für Jakob besprochen und dann Jakobs Lehrerin beraten. Zuletzt hat er in einer zweistündigen Unterrichtseinheit Jakobs Klassenkollegen den Hörvorgang erklärt und Verständnis für Jakobs Situation geschaffen. „Im Turnsaal. Jedes Kind hat eine Höraufgabe im Ohr nachgebaut: das Trommelfell, die Schnecke und so weiter.“
„Jakob wäre ja auch auf Auslachen vorbereitet, aber bisher hat er zum Glück keine schlechten Erfahrungen gemacht“, ist seine Mutter zuversichtlich. „Im Gegenteil: Viele Kinder finden das mit dem Magneten cool.“ Um den schulischen Alltag macht sich die Familie vorerst keine Sorgen mehr und aus Jakobs Perspektive scheint auch seine sportliche Zukunft schon gesichert: „Ich werde wahrscheinlich Eishockey-Profi!“ Wenn seine zukünftigen Fans Jakob dann anfeuern werden, wird er mit Hilfe seiner BONEBRIDGE hoffentlich auch das von beiden Seiten hören – wie alles im Leben.
[1] AM Tharpe, Unilateral and mild bilateral hearing loss in children: past and current perspectives, Trends in Hearing, 2008 Winter; 12(1): 7-15 © 2008 SAGE Publications, doi 10.1177/1084713807304668
[2] WaterWear – wasserdichte Schutzhülle für verschiedene Audioprozessoren von MED-EL
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Im Rahmen des internationalen ideas4ears Erfinderwettbewerbes lud MED-EL bereits zum vierten Mal Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren aus aller Welt ein, ihre Erfindungen für Menschen mit Hörverlust vorzustellen.
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