Was das Werk von Alexander Graham Bell für Nutzer von Cochlea Implantaten bedeutet

Die taube Helen Keller widmete ihrem langjährigen Freund Alexander Graham Bell ihre Autobiografie: „Er hat Tauben das Sprechen beigebracht und es dem hörenden Ohr ermöglicht, Sprache vom Atlantik bis zu den Rocky Mountains zu hören.“ Am 2. August 2022 jährt sich der Todestag des US-amerikanischen Erfinders und Sprachlehrers zum 100. Mal.

©Adobe Stock

Der am 3. März 1847 im schottischen Edinburgh geborene Alexander Graham Bell ist als Erfinder und Unternehmer bekannt: Das Graphophon und Bells Beitrag zur Schallplatte, sein Metalldetektor, das erste Tragflügelboot, ein Flugdrachen und Beiträge zur Flugzeugtechnik haben der Kommunikations- und Verkehrstechnik große Fortschritte gebracht. Bell entwickelte aber auch einen Vorläufer der künstlichen Lunge, sowie ein System zur Entsalzung von Meerwasser, untersuchte Mehrlingsgeburten in der Schafzucht und engagierte sich beim Wissenschaftsmagazin Science und in der National Geographic Society, deren Magazin National Geographics seit 1999 auch in deutscher Sprache erscheint.

Die erste Erfindung machte der damals 12-jährige Alexander, um der Familie seines Freundes zu helfen. Diese Familie arbeitete in einer Mühle: Alexander baute ein Gerät, um automatisch die Schale vom Weizen zu bürsten. Später bastelte Alexander Graham gemeinsam mit seinen Brüdern einen Apparat, der die menschliche Stimme nachahmen sollte. Bekannt ist Bell als Erfinder des Telefons, obwohl gerade dieses Patent umstritten ist.

Der Krimi um das Telefon-Patent

Schon ab 1858 entwickelte Johann Philipp Reis in Deutschland ein Telephon, damals aber noch auf Basis von Gleichstrom, das ab 1968 in den USA auch tatsächlich verwendet wurde. 1871 stellte der aus Italien stammende Antonio Meucci einen Patentantrag für sein seit 1850 entwickeltes Telettrofono; Die Unterlagen gingen aber in den Büros der American District Telegraph Co. verloren, bei der damals auch Bell arbeitete. Am 14. Februar 1876 schließlich reichte Bells Anwalt und späterer Schwiegervater für Bell ein Patent ein für ein Telephon – zwei Stunden, bevor eine gewisse Elisha Gray ein ähnliches Patent einreichte. Gray hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein funktionsfähiges Modell fertig; Bell gelang das erst, als er einen Bauteil implementierte, den Gray zuvor in ihrer Patentschrift beschrieben hatte.

Bells Verdienst war es, die Entdeckungen von Wechselstrom und Induktion in die Entwicklung des Telefons einfließen zu lassen. Als erster Halter des Telefon-Patents konnte Bell durchsetzen, dass er und seine Unterstützer den kommerziellen Nutzen aus der Erfindung zogen. Bell gilt bis heute als Erfinder des Telefons, obwohl Reis 14 Jahre vor Bells Patent schon ein fertiges Gerät präsentiert hatte.

Es dauerte zwar bis 1881, bis das Bell-Telefon praktisch verwendet werden konnte; Gemeinsam mit seinem Schwiegervater gründete Bell aber schon 1877 die Bell Telephone Company. Diese mündete nach mehreren Firmenzusammenlegungen und -umstrukturierungen in die American Telephone and Telegraph Company, kurz: AT&T, die zeitweise ein amerikanisches Telefonmonopol innehatte und bis heute als Kommunikationsanbieter tätig ist.

Was wirtschaftlich relevant wurde und zugleich Bells Ruf als Erfinder am stärksten prägte, war eigentlich als Nebenprodukt seiner Entwicklungsarbeit entstanden: Ursprünglich hatte Bell ein Gerät zur Aufzeichnung von Schall bauen wollen, mit dem tauben Menschen Sprache sichtbar gemacht werden kann.

Ein Familiengeschlecht widmet sich dem Sprechen

Mit dem Sprechen beschäftigte sich Familie Bell über Generationen. Großvater Alexander Bell war Schauspieler und Lehrer für Sprechtechnik und half Menschen mit Sprachproblemen wie Stottern. Vater Alexander Melville Bell war Lehrer für Gehörlose und Sprachtechnik und stellte als Professor der Rede- und Vortragskunst die erste universale Lautschrift vor: Was Generationen von Schülern beim Fremdsprachenerwerb half, war als Aussprachhilfe für taube Menschen gedacht.

Alexander Graham Bell wurde bis zu seinem 10. Lebensjahr von seinem Vater und seiner hochgradig schwerhörigen Mutter unterrichtet. Alexander Graham unterrichtete erst Sprechtechnik und Musik, ab 1868 gab er in London auch Sprechunterricht für gehörlose Kinder. 1970 übersiedelte die Familie nach Kanada und Bell ging im folgenden Jahr als Gehörlosenlehrer, damals: „Taubstummenlehrer“, nach Neuengland im Osten der USA. Er unterrichtete in der Boston School for Deaf Mutes und an der Clarke School in Northampton, beide im Bundesstaat Massachusetts, sowie am American Asylum for the Deaf in Hartford in Connecticut. 1872 eröffnete Bell seine eigene Schule für Sprachphysiologie in Boston.

Auf der Suche nach Anteilnahme für taube Menschen

Heute streben Eltern hörbeeinträchtigter Kinder meist deren Einschulung in Regelschulen an, Inklusion ist gefordert. Zur Zeit Alexander Graham Bells gab es weder Hörgeräte noch Cochlea Implantate, die hörbeeinträchtigten Kindern naturnahen Spracherwerb ermöglicht hätten; das Hörrohr war die einzige verfügbare Hörhilfe. Sprachverstehen war tauben Menschen nur über Ablesen der Lippen möglich. Die Aussprache trainierte Bell mit seinen Schülern über Zeichnungen, welche die geforderte Mundstellung darstellten, über Vibration und diverse Hilfsmittel: für die Kinder mühsam, für manche auch zu schwierig. An manchen Gehörlosenschulen in den USA wurde deswegen Gebärdensprache unterrichtet. Bell propagierte trotzdem lautsprachlich orientierte Erziehung mit dem Ziel, den Kindern leichtere Aufnahme in der Gesellschaft sowie einfachen Zugang zu Ausbildung und Erwerbsarbeit zu ermöglichen.

1873 bis 1877 als Professor für Sprechtechnik und Physiologie an der Universität Boston hatte Bell vermehrt Möglichkeit zu physikalischen Experimenten zur Aufzeichnung von Schallwellen: Er wollte tauben Menschen die optische Kontrolle ihrer Sprache ermöglichen. Letztlich führten diese Experimente zur Entwicklung eines marktreifen Telefons. Bells Telefon-Patent wurde aber auch zur Basis für den speziellen Telefonhörer für Schwerhörige, den der Deutsche Werner von Siemens 1878 baute, und weiter für die Entwicklung elektrischer Hörgeräte, wie sie im 20. Jahrhundert verfügbar wurden.

Bell selbst hat auch ein erstes Audiometer erfunden – jenes Gerät, mit dem Hörvermögen gemessen wird.

Eugenik: ein tragisches Kapitel auch für taube Menschen

Mitte des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich die Wissenschaft vermehrt mit Vererbungslehre. So beschrieb Gregor Mendel in den 1860er-Jahren seine Regeln zur Vererbung von genetisch definierten Merkmalen. Der britische Anthropologe Francis Galton prägte 1869 erstmals den Begriff Eugenik für die Erforschung jener Einflüsse, welche angeborene Eigenschaften verbessern – der Begriff sollte später in seiner menschenverachtenden Auslegung im Nationalsozialismus traurige Bekanntheit erlangen.

Auch in den USA machte man sich Gedanken zur Vererbungslehre. 1882 bis 1892 beobachtete Alexander Graham Bell eine Häufung taub geborener Kinder auf der Insel Martha´s Vineyard nahe Boston und vermutete genetische Ursachen. Unter Einfluss der damaligen Publikationen sprach er sich gegen die Ehe tauber Menschen untereinander aus. Er riet sogar von Internaten an Gehörlosenschulen ab, weil diese dort partnerschaftliche Verbindungen tauber Jugendlicher untereinander fördern würden.[1]

Bei seiner Mutter, seiner Ehefrau und seinen Schülern nahm Bell Taubheit offenbar als Erschwernis im Leben wahr. Eine Erschwernis, die er für zukünftige Generationen erleichtern wollte: mit technischen Erfindungen und mit Vorbeugung. Er selbst argumentierte auch mit der Befürchtung, es könnte sich ein tauber Menschenschlag entwickeln, der zunehmend in sich geschlossen und von der Allgemeinheit segregiert wäre. Heute wissen wir, welch tragische Rolle Eugenik nicht nur in der Geschichte des deutschsprachigen Raums spielte; in den USA führten Forderungen wie jene von Bell dann später im 20. Jahrhundert sogar zur Zwangssterilisation tauber Bürger!

AG Bell, optischer Richtfunk und Dezibel

Seine Ablehnung der Gebärdensprache zugunsten verbaler Kommunikation und Integration und besonders sein Engagement in der Eugenik machen Alexander Graham Bell bis heute in den USA und auch international zur erklärten Feindfigur der Gehörlosen-Vereinigungen.

Zugutehalten kann man Bell neben seinen erfinderischen Bemühungen um Erleichterungen für taube Menschen auch die Bemühungen für ein inkludiertes Leben seiner tauben Mitbürger: die Gründung des Volta Bureau zur Förderung und Verbreitung von Wissen über Gehörlosigkeit 1887 sowie die Gründung der American Association to Promote the Teaching of Speech to the Deaf, kurz: AAPTSD, im Jahr 1890. Beide verschmolzen zum heutigen Verein Alexander Graham Bell Association for the Deaf and Hard of Hearing, auf Deutsch: Alexander Graham Bells Gesellschaft für taube und schwerhörige Menschen, auch als „AG Bell“[2] bekannt. AG Bell setzt sich bis heute für die Förderung und die Bedürfnisse von schwerhörigen und tauben Menschen und deren Familien ein sowie für ein unabhängiges Leben mit Hörbehinderung.

Person und Wirken Alexander Graham Bells bleiben kontrovers. Er selbst sah sich als Pädagoge und Förderer tauber Menschen; Unter seinen Erfindungen war ihm das Photophon die wichtigste. Dieser Vorläufer des optischen Richtfunks überträgt wie das Telefon Sprache, Klänge und Geräusche, verwendet dazu statt eines elektrischen Drahtes aber einen gerichteten Lichtstrahl. „Ich hörte artikulierte Sprache durch das Sonnenlicht!“, schrieb Bell in einem Brief an seinen Vater: „Ich hörte einen Sonnenstrahl lachen und husten und singen! …Ich konnte einem Schatten zuhören und vernahm mit dem Ohr das Vorbeiziehen einer Wolke quer über die Sonnenscheibe.“

In Würdigung der zahlreichen Erfindungen von Alexander Graham Bell wurde die dimensionslose Einheit für logarithmische Verhältniswerte Bel benannt; bekannt als Dezibel, kurz: dB, für das Zehntel eines Bel. In dB werden auch Schallpegel und Hörvermögen angegeben.


[1] https://doi.org/10.1017/S1537781414000528, https://www.biodiversitylibrary.org/page/26825690, https://ia902702.us.archive.org/25/items/cihm_08831/cihm_08831.pdf

[2] https://www.agbell.org/

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