Welche Erfahrung der bekannte Volkstheater-Schauspieler Samouil Stoyanov mit Cochlea Implantat-Kindern hat
Samouil Stoyanov ist Schauspieler und seit 2020 Ensemblemitglied am Wiener Volkstheater. Ich kenne ihn als Sami, meinen Theaterworkshop-Leiter aus den Velden Summer Days. Viele Jahre sind seit unserem letzten Treffen vergangen. So war unser Wiedersehen.
Als ich an diesem heißen Julitag aus dem Bus steige und mich in Richtung des Cafés begebe, wo wir uns treffen sollen, bin ich etwas aufgeregt. Schließlich ist unsere letzte Begegnung fast zehn Jahre her. Aber als ich Sami vor dem Café auf einem schattigen Plätzchen auf mich wartend stehen sehe, fühlt es sich so an, als wäre keine Zeit vergangen. Wir begrüßen uns mit einer herzlichen Umarmung. „Du bist richtig erwachsen geworden“, sagt er und lacht in demselben Ton, den ich aus meiner Kindheit kenne. Wir setzen uns. Er schaut mich an und ich habe das Gefühl, er versucht in mir die 14-Jährige zu finden, von der er sich bei unserer letzten Begegnung verabschiedet hat.
Im Jahr 2005 war Sami gemeinsam mit seinem Vater, Leiter der Theaterballetttanzschule MAESTRO, und seiner Schwester zum ersten Mal bei den Velden Summer Days dabei. Damals war er nur Unterstützung für seinen Vater, der den Theaterworkshop leitete. Ich war sechs Jahre alt.
Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass du den Theaterworkshop von deinem Papa übernommen hast?
Keine Ahnung! Er war da und ich habe mitgemacht und habe so viel Spaß gehabt, dass das irgendwie passiert ist. Aber wir haben schon tolle Sachen gemacht. Die Stücke sind auch immer besser geworden von Jahr zu Jahr. Ich habe euch damals als Zombies geschminkt, die aus dem Gameboy entlaufen sind, wir haben Peter und der Wolf ganz neu interpretiert, oder weißt du noch, ich habe einmal Wandertheater mit euch gemacht. Das Publikum musste auf der Bühne stehen und wir waren alle Affen.
Ja, das war echt lustig! Es wurde mit jedem Jahr verrückter.
Jedes Stück entsteht durch ein Erlebnis. Ich bin ja fast nie vorbereitet gekommen…
Ich kann mich erinnern, dass du einmal am Samstag am Anreisetag am Abend dagesessen bist mit einem Blatt und einem Stift und wir sind zu dir gekommen und haben dich gefragt, was du tust. Du hast nur gemeint, du überlegst, was wir morgen machen können.
Naja, eine Idee war meistens da, aber ich hatte immer Vertrauen, dass wir alles gemeinsam irgendwie hinkriegen können. Diejenigen, die jährlich mitgemacht haben, haben mich mit jedem Mal besser verstanden und sind dadurch auch besser geworden. Das hat alles auch mit Kennenlernen zu tun. Ich war auch nie autoritär, sondern eigentlich halb hilflos mit Teenies unterwegs oder mit Kindern. Und mit Kindern war es leichter als mit Teenies.
Wieso das?
Weil ihr geredet habt wie die Wahnsinnigen. Und ich habe euch immer reden lassen, weil ich mir dachte, vielleicht kommt eine Idee raus, die ich nutzen kann. Und so war es dann auch.
Ich bin seit den ersten Velden Summer Days immer mit dabei. Als Kind habe ich Tagebucheinträge darüber geschrieben, wie sehr ich mich auf die Woche freue.
Es ist einfach so eine besondere Stimmung dort, die spüre ich jetzt immer noch. Was war für dich das Besondere an diesen Tagen?
Neben der Kunst, die ich mit den Kindern gemacht habe, natürlich die Aktivitäten, die dort organisiert werden. Vom Sport bis Wandern, Tischfußball spielen, am Strand liegen, Kartenspielen, mir von kleinen Kindern die neusten Gameboy-Spiele zeigen lassen. Ich fand das schon cool. Was die Summer Days so auszeichnet, sind vor allem die Menschen. In diesen wenigen Tagen wurden wir eine Gemeinschaft. Es war immer ein bisschen wie so eine Utopie, wie das ganze Jahr ablaufen sollte. Alle gehen offen miteinander um, tauschen sich aus, genießen das Leben. Ich habe mich dort auch gleich zuhause gefühlt. Für mich bedeutet Velden eine Art Heimat. Weil es sich so anfühlt. Ich habe mich nie gefühlt, als wäre ich der Künstler, der kommt, einen Workshop macht und wieder geht. Das passt auch nicht zu mir. Ich bin einfach froh, dass dieser Raum geschaffen wurde.
Als du den Theaterworkshop übernommen hast, war damals in deinen Gedanken, dass da Kinder sind, die Cochlea Implantate haben? Hast du das in deine Arbeit miteinbezogen?
Nein, ich habe da nie einen Unterschied gemacht. Zwar habe ich beim Arbeiten schon manchmal gemerkt, dass manche Kinder anders reagieren oder wahrnehmen, aber gleichzeitig war mir das nie so wichtig. Ich habe mich eher darauf konzentriert, was wir in der kurzen Zeit kreieren können. Jetzt im Nachhinein merke ich erst, dass ich dort wirklich gelernt habe, innerhalb kürzester Zeit schnell Sachen zu erschaffen; und dass das funktioniert, wenn man den Leuten vertraut, die man bei sich hat. Und die Kiddies, die offen dafür sind, und selbst die, die nicht offen sind, haben sich getraut, einen Schritt nach vorne zu gehen.
Nach acht Jahren als Workshopleiter übergab Sami die Aufgabe weiter. An Tobias, der auch seit Anbeginn der Summer Days fester Bestandteil ist, und an mich. Insgesamt sieben Stücke haben wir seitdem auf die Bühne gebracht.
Diese Erfahrungen haben Tobi und ich auch gemacht. Jedes Jahr gibt es Kinder, die am Anfang unsicher sind und dann am Ende stehen sie auf der Bühne und schreien herum. Das ist schon immer faszinierend zu sehen, wie viel sich tun kann in ein paar Tagen.
Erzähl mal, wie ihr das mit dem Workshop angegangen seid!
Als wir das übernommen haben, haben wir einen ganz anderen Zugang gewählt als du. Wir haben viel vorbereitet. Wir haben ungefähr ein Thema vorgegeben bekommen und uns dann überlegt, was wir daraus machen könnten. Zwar hatten wir immer einen groben Plan, aber natürlich wussten wir erst immer dort, wer mitmacht und wie viele Kinder es sind. Deshalb wurde dort spontan auch viel verändert. Außerdem haben wir begonnen, auch außerhalb der Workshopstunden Szenen für das Stück zu filmen, damit wir mehr Zeit haben. Dann müssen sich die Kinder auch nicht so viel Text merken, außerdem schauen sie sich die Videos auch gerne an. Es ist also immer eine Mischung aus vorgefilmtem Material und Live-Auftritten. Wir haben auch immer darauf geschaut, die Eltern in das Stück einzubauen. Die sind immer begeistert, ihre Kinder zu sehen und dann werden sie auf einmal selbst auch gefragt. Zum Beispiel gab es letztes Jahr das Thema Schule und die Eltern wurden geprüft. Das war so lustig!
Das ist doch geil, das ist auch so chaotisch! Aber da sind sicher coole Sachen entstanden!
Ich fände es spannend zu sehen, was du dazu sagst und wie du da mitmachen würdest. Die Kinder sind auch so toll. Es sind viele dabei, die das seit Jahren machen…
…und neue Kinder kommen auch immer dazu?
Ja, es kommen auch neue! Aber einige waren damals sechs Jahre alt und jetzt sind sie 13 und fast schon wieder zu cool fürs Theater, aber machen trotzdem mit. Wir versuchen sie jedes Jahr zu überreden und es klappt.
Ich habe genau dasselbe gemacht mit euch!
Das hat so gut funktioniert, dass wir es sogar übernommen haben.
Ich kenn‘ dich von klein an und wir sind gemeinsam einen Weg gegangen und dann bist du deinen Weg alleine weitergegangen. Das ist doch schön.
Vor allem dein Weg ist spannend. Ich fand es immer cool zu beobachten, was du machst und wo du grade bist. Mit einem Auge haben wir immer mitverfolgt, was du tust. Erzähl mir, was du gerade so machst!
Ich lebe jetzt in Wien mit meiner Freundin und wir renovieren gerade unsere Wohnung. Ich bin ein Mensch, der gerne Dinge probiert, die ich nicht kann, und das war Bauarbeiten. Das kann ich jetzt zu einem Drittel oder zur Hälfte.
Und wie weit seid ihr schon?
Es fehlen noch ein bisschen Sachen, aber mittlerweile will ich mir ein Haus kaufen. Kaum bin ich fertig, will ich mir ein Haus kaufen. Ich hätte gerne ein Mini-Haus mit einem großen Grund, damit ich Gemüse anbauen kann. Ich habe das als Kind bei meiner Oma immer gern und manchmal auch ungern gemacht, und erst später habe ich eigentlich die Wertigkeit von dem gemerkt. Ich bin ständig in einer großen Stadt und ständig mit irgendwelchen Leuten unterwegs, die über hochphilosophische Themen sprechen und ehrlich gesagt, ich brauche das nicht mehr. Ich brauche immer so ein Gegenstück zu meinem Beruf und das ist etwas Erdiges. Basketballspielen mit Jugendlichen und so ein bisschen Hobbysozialarbeiter spielen, Kartoffeln anbauen, auch einfach in andere Welten eintauchen.
Find ich cool! Stell ich mir schön vor, wie du da mit deinem Mini-Häuschen und deinen Erdäpfeln entspannst, wenn du nicht gerade auf der Bühne stehst. Was hast du beruflich für Projekte am Laufen?
Ich werde am Volkstheater noch ein paar Sachen machen, das mache ich auch sehr gerne. Gerade bin ich auch dabei, gemeinsam mit einer Schauspielkollegin ein Kabarettprogramm zu schreiben. Julia Riedler, eine ganz tolle Schauspielerin als Salzburg. Wir machen gemeinsam ein Duo. Es geht um das Thema Wert. Alles, was mit Wert zu tun hat. Das fängt beim materiellen Wert an und geht bis zum seelischen. Wir sind gerade voll am Herumbasteln und das ist schön. Kabarett ist etwas ganz Neues für mich. Vor allem ist spannend, dass ich ein ganz anderes Publikum habe als im Theater. Ins Theater gehen nur gewisse Menschen, aber richtig gute Stücke kann jeder anschauen. Und beim Kabarett geht es darum, den richtigen Grat zu finden. Es gibt viele Comedians, die ich überhaupt nicht lustig finde, die aber Stadien füllen. Ich möchte so ein Zwischending finden, wo die Leute lachen können, aber vielleicht auch etwas mitnehmen, das Mehrwert hat. Im Theater ging es die letzten zehn Jahre bei mir immer nur darum, an gewissen Stellen lustig zu sein, aber nicht zu viel, weil es sonst nicht in die Ästhetik der Inszenierung passt. Das ist auch vollkommen in Ordnung. Aber jetzt ist genug Theater, ich will auch etwas anderes machen.
Und wie geht es dir damit? Bist du aufgeregt, in eine neue Richtung zu gehen?
Es ist gerade alles sehr spannend. Ich habe auch Angst, ich könnte ja auch voll versagen. Stell dir vor, es lacht keiner oder es lachen alle zu viel und es ist zu platt. Es ist schwierig. Wir müssen etwas Eigenes sein. Ich kann eigentlich noch nicht viel dazu sagen, weil ich es noch nie gemacht habe. Ich weiß gar nicht, ob es funktionieren wird, aber ich glaube voll daran und ich denke, es wird super. Gleichzeitig im nächsten Moment zweifle ich wieder und bin ängstlich. Die Menschen gehen davon aus, wenn jemand auf der Bühne steht, dass er dafür geboren ist, aber das stimmt nicht. Jeder von uns, wenn ihm etwas wichtig ist, durchlebt alle möglichen Emotionen, wenn er etwas Neues probiert. Sobald dich etwas interessiert und du weiterkommen willst, musst du durch alle Gefühle durchgehen, die du hast.
Ich denke länger über Samis Worte nach. Ein bisschen ist es wie im Theaterworkshop. Jedes Jahr gilt es, ein neues Stück zu kreieren und jedes Jahr ist es aufregend und spannend und stressig und lustig und überwältigend und schön. Wie er sagt, eben alle Gefühle, die ich habe.
Als wir uns verabschieden, fällt es schwer zu gehen. Wir sagen Tschüss und bleiben doch noch stehen, um weiterzureden. Das nächste Treffen darf nicht erst in zehn Jahren stattfinden, darüber sind wir uns einig.
Samouil Stoyanov ist Schauspieler, Musiker und Tänzer sowie Absolvent des renommierten Max Reinhardt Seminars. Nach seinem fünfjährigen Engagement an den Münchner Kammerspielen wechselte er an das Wiener Volkstheater als fixes Ensemblemitglied, wo er zurzeit große Erfolge feiert.
Stoyanov wurde heuer mit dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis für seine Leistung im aktuell laufenden Stück „humanistää!“ ausgezeichnet. Außerdem wurde er von der jährlichen Kritikerumfrage des deutschen Fachmagazins „Theater heute“ zum besten Schauspieler des Jahres gewählt.
Mehr über den sympathischen und begabten Schauspieler erfährt man im Hörgespräch, der Video-Podcast der HÖREN BEWEGT Initiative. Zu finden auf hoerenbewegt.at!
Hören im Kino
Und wieder erfreut uns das Mekka des europäischen Films, Frankreich, mit einer hinreißend turbulenten Komödie: Über einen Mitfünfziger, der sich einem klassischen Symptom des Älterwerdens stellen muss: er ist schwerhörig. Bei allem Humor werden die Zuseher und -hörer letztlich mit einer wichtigen Botschaft beschenkt: Das scheinbar Unabänderliche im Leben als Herausforderung und gleichsam als Chance anzunehmen.
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