Neues Hörscreening in Vorbereitung

Der 1974 eingeführte Mutter-Kind-Pass soll ab 2024 schrittweise umbenannt, digitalisiert und in seinen Leistungen erweitert werden. Auch die HNO-Vorsorge soll weiter verbessert werden.

Der Mutter-Kind-Pass hat in den letzten 50 Jahre erheblich zur Reduzierung der Säuglingssterblichkeit in Österreich beigetragen. Mittlerweile reicht er inhaltlich über die Früherkennung lebensbedrohlicher Gesundheitsfaktoren und zeitlich über Schwangerschaft und Stillzeit hinaus, bis über den sechsten Geburtstag des Kindes. Möchten Eltern in Österreich das Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe beanspruchen, müssen sie die im Mutter-Kind-Pass vorgeschrieben Untersuchungen einhalten.

Das Sozialministerium kündigte Mitte November 2022 per Presseaussendung zu den bewährten Gesundheitsuntersuchungen für werdende Mutter und Kind künftig auch kostenfreie psychosoziale Beratung, Ernährungs- und Elternberatung an, bis hin zu Informationen über Auswirkungen von Teilzeit-Erwerbsarbeit auf die Pensionsvorsorge. Dem entspricht die formale Umbenennung des „Mutter-Kind-Passes“ in „Eltern-Kind-Pass“. Auch die vorgeschriebenen Untersuchungen im gesundheitlichen Bereich werden weiter ergänzt: Unter anderem kündigte das Sozialministerium ein „zusätzliches Hörscreening für Neugeborene“ an.

Der neue Eltern-Kind-Pass soll zudem digitalisiert werden und als App verfügbar sein. Die zuständigen Ministerien sollen in einem eigenen System vernetzt werden. Das soll die Dokumentation der Untersuchungsergebnisse und die Befundweitergabe zwischen behandelnden Ärzten und betreuender Hebamme verbessern, gegen den Verlust des Passes absichern und mehrsprachige Informationen an die Eltern erleichtern. Projektfertigstellung ist bis 2026 geplant.

Neugeborenen-Hörscreening: „Es sollte eigentlich ein Tracking daraus werden.“

Hörbeeinträchtigung nicht nur früh zu erkennen, sondern betroffene Kinder auch frühzeitig zu unterstützen, ist für den Spracherwerb und die weitere Entwicklung wichtig. Ein Hörtest bei Neugeborenen ist im Mutter-Kind-Pass aktuell als empfohlene Untersuchung gelistet. Empfohlen ist eine beidseitige objektive Messung in der ersten Lebenswoche, laut Gesundheitsministerium wird dieses Hörscreening bei Neugeborenen in Österreich aber nicht flächendeckend angeboten. Auch für die Nachbetreuung betroffener Kinder gibt es bisher kein bundesweit einheitliches Konzept. Das Sozialministerium kündigt für den neuen „Familien-Kind-Pass“ nun ein „zusätzliches Hörscreening für Neugeborene“ an: „Es wird eine verpflichtende Durchführung dieses Hörscreenings inklusive Ausweitung des Untersuchungszeitraumes umgesetzt.“

Die Arbeitsgemeinschaft Audiologie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde und Kopf- und Hals-Chirurgie engagiert sich seit vielen Jahren für ein flächendeckendes und bundesweites System, um bei Neugeborenen das Hörvermögen auf beiden Ohren zu testen und bei auffälligem Ergebnis auch eine entsprechende Folgediagnostik und Elternberatung sicherzustellen: Neben medizinischen Behandlungen und apparativen Hilfen wie Hörgeräten und -implantaten, können Familien auch von Beginn an Hörfrühförderung in Anspruch nehmen.

„Es sollte eigentlich ein Tracking daraus werden.“ Primar Dr. Thomas Keintzel, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Audiologie, wünscht sich eine möglichst konsequente Betreuung betroffener Familien. Die angekündigte Digitalisierung und Vernetzung könnte eine gute Möglichkeit bieten, die Nachverfolgung dahingehend weiterzuentwickeln. Der HNO-Primar am Klinikum Wels-Grieskirchen ergänzt, die ARGE Audiologie würde optimalerweise ein zusätzliches Sprachentwicklungsscreening im zweiten Lebensjahr befürworten. Dies könnte helfen, neben den angeborenen auch früh erworbene Hörstörungen zeitgerecht zu erkennen und die betroffenen Kinder entsprechend zu unterstützen.

Hörtests bei Neugeborenen – seit 1995 offiziell Teil der Gesundheitsvorsorge bei Kindern

Ab der 24. Schwangerschaftswoche können Ungeborene Geräusche wahrnehmen. Schon Neugeborene können Regelhaftigkeiten im Lautstrom erkennen. Höreinschränkungen haben bei Kindern weitreichende Folgen auf Sprachentwicklung, Kommunikationsfähigkeiten und Gesamtentwicklung. Sogar Kinder, die nur einseitig hörbeeinträchtigt sind, kämpfen häufiger mit sprachlichen, sozial-emotionalen und auch schulischen Problemen als normalhörende Kinder. [1] Fachleute gehen zudem von einem Entwicklungsfenster für primären, audioverbalen Spracherwerb bis kurz vor Schuleintritt aus. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt: „Frühe Intervention ist wichtig, um den nachteiligen Einfluss von Hörverlust auf sprachliche und kognitive Entwicklung zu minimieren.“ [2]

Deswegen beschloss die österreichische HNO-Gesellschaft bereits 1995 mit dem sogenannten „Millstätter Konzept“ eine Empfehlung für flächendeckendes Hörscreening bei Neugeborenen. Seit 2003 ist diese Empfehlung Bestandteil des Mutter-Kind-Passes, die dafür gültigen Richtlinien wurden seither entsprechend nationalen und internationalen Erfahrungen laufend adaptiert. Aktuell sollte in den ersten vier Tagen nach der Geburt das Hörvermögen beidseits getestet werden. Nun wird die Untersuchung verpflichtend, wollen die Eltern das Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe beziehen. Bei einer Hausgeburt oder ambulanten Geburt könnte es für Eltern aber schwierig sein, einen Termin beim HNO-Facharzt innerhalb von vier Tagen nach der Geburt zu vereinbaren.  „Daher wird eine Ausdehnung des Untersuchungszeitraumes auf vier Wochen angedacht“, kündigt das Sozialministerium mit Berufung auf das Gesundheitsministerium an.

Die WHO fordert als nächsten Schritt: „Hörscreening muss von geeigneter Nachsorge und Interventionen begleitet werden, denn die Vorteile einer frühzeitigen Erkennung beziehen sich auf frühzeitige Intervention, nicht auf das Screening per se.“ Die in Oberösterreich dazu aufgebauten Strukturen sind im sogenannten World-Report der WHO zum Thema Hören als beispielhaft genannt. Doch in manchen Teilen Österreichs lässt diese weitere Nachbetreuung noch Spielraum für Verbesserungen: Elektronischer Pass und Vernetzung der relevanten Stellen können in diesem Bereich eine Chance zur Vereinfachung und Verbesserung sein.

Früh erworbene Hörstörungen: Zweites Hörscreening international gefordert

Normalhörend geborene Kinder können aus verschiedenen Gründen auch schon in den ersten Lebensjahren an Hörvermögen verlieren. Während ein bis drei von 1000 Neugeborenen einen relevanten Hörverlust aufweisen, steigt laut WHO der Prozentsatz bis vor dem Schulalter auf ein Prozent an! Internationale Publikationen[3] empfehlen deswegen ein zweites Hörscreening vor dem Schuleintritt. Aktuell ist im Mutter-Kind-Pass zwischen siebtem und neuntem Lebensmonat eine weitere HNO-Untersuchung vorgesehen, die aber auch vom Kinderarzt oder Allgemeinmediziner durchgeführt werden darf. Vorgesehen ist dabei eine optische Inspektion von Ohrmuschel, Gehörgang und Trommelfell sowie eine Beobachtung der kindlichen Reaktion auf einen akustischen Reiz – das könnte auch Fingerschnippen sein.

In Österreich wurden 2018 vom Ludwig Boltzmann Institut Empfehlungen zur „Eltern-Kind-Vorsorge neu“ erarbeitet. Zur Höruntersuchung bei Neugeborenen wird dabei im Wesentlichen auf die Vorgehensweise verwiesen, wie 2017 von der ARGE Audiologie in der „Richtlinie zur Organisation des Neugeborenen-Hörscreenings und der Abklärung und Versorgung konnataler Hörstörungen in Österreich“[4] vorgeschlagen. Erworbene Hörstörungen werden im Endbericht des Boltzmann Instituts zwar als ebenso relevant wie angeborene Hörstörungen eingestuft, aber als seltener: Das Papier empfiehlt, in jede Eltern-Kind-Pass-Untersuchung beim Kinderarzt oder Allgemeinmediziner routinemäßig eine Einschätzung des Hörvermögens mittels Verhaltensaudiometrie und Befragung der Eltern einzubinden.

Eine Studie der HNO-Klinik Hradec Králové in Tschechien zeigte, dass die meisten Eltern schwerhörig gewordener Kinder diese Veränderung nicht bemerkt hatten; auch ein einfacher Test mit „Flüstersprache“ erwies sich als unzuverlässige Messmethode. Die tschechische HNO-Gesellschaft schlug daher ebenfalls 2018 vor, eine audiometrische Messung durch einen HNO-Spezialisten in die Liste der empfohlenen Vorbeugungsmaßnahmen bei Vorschulkindern aufzunehmen. [5]

Auch die ARGE Audiologie der österreichischen HNO-Gesellschaft empfiehlt ein zweites audiologisches Screening bei Kleinkindern, beispielsweise mittels Kindersprachtest.

[1] Unilateral and Mild Bilateral Hearing Loss in Children: Past and Current Perspectives, A.M.Tharpe, Trends in Amplification Volume 12 Number 1 March 2008 7-15

[2] World Report on Hearing, World Health Organization 2017, ISBN: 9789240020481, https://www.who.int/publications/i/item/9789240020481

[3] Prohlaseni evropskeho konsensu tykajici se screeningu sluchu predskolnich a skolnich deti, 10. Kongresu EFAS (European Federation of Audiology Societies, Vasave, Polsku, 22.6.2011

Effect and efficient pre-school hearing screening: essential for successsful early hearing detection and intervention (EHDI), J.W.Hall III, The Journal of Early Hearing Detection and Intervention, 2016; 1(1):2-12

[4] https://www.hno.at/fileadmin/userdaten/uploads/Neugeborenenhoerscreening_Richtlinien_2017.pdf

[5] Siehe „Hörtest für Vorschulkinder“ gehört.gelesen, Ausgabe 66 – Oktober 2018

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