Hörtraining mit tiptoi® für einseitig taube Kinder mit Cochlea-Implantat

Moderne Streaming-Technologien bei Cochlea-Implantaten ermöglichen es, gezielt das Hören mit nur einem implantierten Ohr zu üben. Das Team am Universitätsklinikum St. Pölten zeigt, wie mit Audiospielzeug auch Kinder zuhause zuverlässig und erfolgreich üben können.

Cochlea-Implantate (CI) haben sich bewährt, um tauben Menschen Hörvermögen zu schenken. Das gilt auch bei einseitiger Taubheit, auf Englisch: Single-Sided Deafness (SSD). Betroffene erlangen durch das CI erhebliche Vorteile für die Sprachwahrnehmung, besonders in komplexen räumlichen Hörumgebungen. Nach der Implantation muss das neue Hören mit CI aber trainiert werden, ohne das normalhörende Ohr an den Hörübungen zu beteiligen.

CI-NutzerInnen können einen Audioprozessor gezielt ansteuern, indem sie die Audioquelle direkt oder mittels Streaming mit dem Audioprozessor verbinden. Das können sie auch zur Hörrehabilitation nutzen: Die Hörreize werden dann direkt an das implantierte Ohr weitergeleitet, externe Störquellen ausgeblendet. Bei Erwachsenen hat sich diese Möglichkeit bewährt, doch für Kinder sind passende Audioquellen oft schwer zu finden.

Das CI-Team der Universitätsklinik St. Pölten setzt bei Kindern den Hörstift tiptoi® ein. Erste Erfahrungen mit Kindern im Alter von fünf bis zwölf Jahren haben die KlinikerInnen nun publiziert: Mit tiptoi® üben auch Kinder meist verlässlich jeden Tag. Schon nach einem Monat führten die regelmäßigen Übungen zu deutlich besserem Sprachverstehen mit dem CI.

Gamification beim Hörtraining

Musiktherapeutin Mag. Bianca Wirthner, MSc vom CI-Team in St. Pölten hat gute Erfahrungen mit tiptoi® und dem MED-EL Streaminggerät AudioLink. ©Julia Trinkl

Die Eltern beidseits Cochlea-implantierter Kinder können – mit entsprechender Anleitung von Frühförderung oder Logopädie – zuhause regelmäßige Hörübungen in Spiel- und Alltagssituationen integrieren. Bei einseitig tauben CI-Kindern ist das schwieriger: Für effektives Hörtraining müsste das hörende Ohr manuell verschlossen werden, zum Beispiel mit einem Ohrstöpsel. Kinder akzeptieren das aber nur ungern. Zudem ist das „Zustöpseln“ fehleranfällig, wenn der Ohrstöpsel nicht schalldicht sitzt. Einseitig taube, erwachsene CI-NutzerInnen verwenden für das Hörtraining mit aktuellen Audioprozessoren meist verschiedene Streaming-Möglichkeiten. Das führt aber zu einer Übungssituation fernab des kindlichen Alltags.

Andererseits nutzen TherapeutInnen bei Kindern gerne geeignete Computerprogramme für das Hörtraining: Der spielerische Charakter macht den Kindern Spaß und motiviert sie. Das unterstützt den Lernprozess. Letztlich kann jedes Bisschen mehr an Übung den Hörerfolg verbessern. Das CI-Team in St. Pölten nutzt altersgerechtes, digitales Audiospielzeug in diesem Sinn. Da viele Kinder solches Spielzeug von zuhause kennen, ist auch tägliches Üben einfacher umsetzbar.

Digitales Audiospielzeug ist vielseitig

Der Hörstift tiptoi® ist ein weit verbreitetes Spielzeug in österreichischen Kinderzimmern. Im Prinzip handelt es sich um ein Audio-Abspielgerät mit einem Infrarot-Sensor, der einen auf Papier gedruckten optischen Identifikationscode lesen kann. Die Kinder benötigen neben dem tiptoi®-Stift zum Beispiel eines der tiptoi®-Bücher. Tippen sie im Buch mit der Spitze des Stifts auf das Bild einer Katze, so hören sie diese miauen.

Die Tonqualität der eingebauten Lautsprecher ist – bauartbedingt – zwar begrenzt; Doch über eine konventionelle Audiobuchse können Kopfhörer angesteckt werden oder eben ein Streaming-Gerät wie AudioLink. Das ist auch der wesentliche Unterschied zwischen Spiel und Hörübung: mittels Streaming-Zubehör gezielt das zu trainierende CI-Ohr anzusprechen. Die an der St. Pöltner Klinik betreuten Familien bekommen auch einen preisgünstigen Audio Splitter mit: Ein Ausgang ist für den AudioLink, einer für einen Kopfhörer. So können die Eltern das Bucherlebnis des Kindes begleiten: interaktives Lesen ist möglich.

Kinder können mit tiptoi® darüber hinaus spielen, puzzeln und rätseln. Auch einen tiptoi®-Globus gibt es. Der Stift kann zudem als Abspielgerät für Hörbücher oder Lieder fungieren. Die Eltern laden die Audiodateien jeweils online auf den Stift herunter. Um geringen Aufpreis gibt es den tiptoi®-Stift auch mit Aufnahmefunktion. Sogar zahlreiche Museen nutzen tiptoi®-Technologie für ihre selbstgeführten Kindertouren.

Die Qual der Wahl bei Hörstiften

Logopäde Philipp Schörg, BSc, MSc vom Team St. Pölten und Teil des Studienteams. ©UK St. Pölten

Während sich unter den Audioboxen Tonie durchgesetzt hat, gibt es bei den Hörstiften eine größere Auswahl – wobei manche davon nach kurzer Verkaufszeit auch wieder vom Markt verschwinden. Seit längerer Zeit Bestand haben neben tiptoi® auch BOOKii und Tellimero. Auch für sie gibt es spezielle Bücher, doch können dank Aufnahmefunktion und Audiostickern ebenso herkömmliche Bücher zum Audiospielzeug werden. Ein spezieller Audiostift ist der Franklin Anybook Reader, für den es keine speziellen Bücher gibt. Anybook wurde – ebenfalls mit Aufnahmefunktion und Audiostickern – als Lernhilfe für Grundschule und Logopädie konzipiert, ist aber viel teurer als die Konkurrenz; die Verwendung erfordert immer die Vorbereitung des jeweiligen Buchs als Anybook-Buch.

Für das gezielte Hörtraining des implantierten Ohrs müssen Hörstift oder Audiobox jedenfalls mit dem jeweiligen Audioprozessor verbunden werden – direkt oder über Streaming-Zubehör. So kann das zu trainierende Ohr direkt angesprochen und Störschall ausgeblendet werden. Der Hörstift BOOKii zum Beispiel fällt für das Hörtraining aus, weil er über keine Audiobuchse verfügt.

Das CI-Team in St. Pölten hat gute Erfahrungen mit tiptoi® und dem MED-EL Streaminggerät AudioLink. „Tiptoi®-Materialien sind in den Haushalten unserer CI-Kinder meist schon vorhanden“, erklärt die Musiktherapeutin Mag. Bianca Wirthner, MSc. Sie und Logopäde Philipp Schörg, BSc, MSc waren Teil des Studienteams. „Die Handhabung ist bereits bekannt. Die Systeme sind leicht bedienbar und bieten eine Fülle an Übungsmöglichkeiten.“ Hersteller Ravensburger konzipierte das System für Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren. Bei der Studie durften sich die teilnehmenden Kinder ein konventionelles tiptoi®-Buch aussuchen. „Die Eltern unserer CI-Kinder sind sehr engagiert und achten auf die Lernmotivation ihrer Kinder“, freut sich die Musiktherapeutin. Die Eltern konnten die Bücher während des Studienzeitraums auch nach Bedarf wechseln. „Die Übungen wurden dabei aber von uns gezielt ausgewählt“, ergänzt Schörg. „einerseits Material zum Thema Geräuscherkennung, zum Beispiel Geräusche am Bauernhof; andererseits Übungen zum Sprachverstehen: erst einzelne Wörter, dann Satzverständnis.“ Für das Hörtraining spezifisches und validiertes Übungsmaterial gibt es bei tiptoi® zurzeit nicht.

„Die Herausforderung für Personen mit SSD besteht darin, das natürliche Hören auf einem Ohr und das elektronische Hören auf dem anderen Ohr zu integrieren.“

OÄ Priv.-Doz. Dr. Astrid Magele, MBA

Digitales Spielzeug bei der Hörtherapie

Möchte eine Familie Hörstift oder Audiobox für das Hörtraining nutzen, so rät der erfahrene Logopäde Schörg, bei der Wahl besonders auf gute Audioqualität der Technik und des Buchmaterials zu achten: „und ob passende Inhalte für die aktuelle Lebenswelt der Kinder dafür verfügbar sind.“ Die Möglichkeit zur Aufnahme eigener Hörübungen sehen beide Fachleute sehr positiv: „Das bietet eine Möglichkeit, noch individueller auf die Bedürfnisse des jeweiligen Kindes einzugehen. Besonders gut eignen sich dazu Kinderlieder und einfache Kinderreime, aber auch Geschichten aus dem Umfeld, in die man Namen von Freunden oder Verwandten einbezieht. Je nach Alter der Kinder könnten auch einfache Märchen und Erzählungen aufgenommen werden.“

Auch wenn ein Kind sein Audiospielzeug oft nutzt, können die kurzen Übungssequenzen eine fachlich kontrollierte Therapie mit Hörfrühförderung oder Logopädie aber nicht ersetzen! Auch die speziellen binauralen Funktionen – die Schallquelle zu orten und in lauter Umgebung bei mehreren Sprechern zu verstehen – werden mit den Übungen mit Hörstift oder Audiobox nicht geschult und sollten zusätzlich trainiert werden. Trotzdem lohnt das Üben mit Audiostift, sind die StudienautorInnen sicher: „Werden zusätzlich Kinderspielzeuge eingesetzt, kann das Training in den Alltag integriert werden und es entsteht kein zusätzlicher Zeitaufwand für das Training. Daher wird es konsequenter durchgeführt und das Ergebnis wird besser sein.“

Frühe Implantation hilft – auch bei SSD

Priv.-Doz. Dr. Astrid Magele, MBA ist Oberärztin an der HNO-Universitätsklink St. Pölten. ©privat

„Bei angeborener beidseitiger Taubheit empfehlen wir, so früh wie möglich eine CI-Implantation durchzuführen. Wissenschaftliche Daten belegen, dass die Cochlea-Implantation um das zehnte bis zwölfte Lebensmonat die idealen Voraussetzungen schafft, um bestmögliches Sprachverstehen zu erlangen“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Astrid Magele, MBA, Oberärztin der HNO-Universitätsklink St. Pölten.

Als einseitige Taubheit, englisch: single-sided deafness (SSD), bezeichnen Fachleute einen schweren bis hochgradigen Hörverlust auf einem Ohr, bei gleichzeitig normalem Hörvermögen auf dem anderen Ohr. Die erfahrene CI-Chirurgin erklärt dazu: „Diese Kinder durchlaufen zwar eine normale Sprachentwicklung, doch wirkt sich die einseitige Ertaubung auf das Sprachverstehen im Lärm, in komplexen räumlichen Hörumgebungen und bei konkurrierenden Stimmen erschwerend aus. Außerdem sind die Fähigkeit zur Lokalisation einer Schall- oder Sprachquelle und die Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt. Deshalb empfehlen wir eine Cochlea-Implantation noch vor Schuleintritt.“

Früher beschränkte sich die Intervention bei SSD auf die Übertragung von Signalen vom tauben Ohr auf das hörende Ohr: entweder mittels konventioneller Hörgeräte in einer sogenannten CROS-Versorgung oder mittels Knochenleitungstechnologie. Doch damit bleiben die Vorteile binauralen Hörens im Wesentlichen verloren. 2003 wurde im Rahmen einer Studie in Belgien die erste CI-Implantation bei SSD durchgeführt. Auch das Team am Universitätsklinikum St. Pölten hat Erfahrung damit: „Wir haben 2013 das erste einseitig taube Kind implantiert. Das war damals fünf Jahre alt.“ Heute ist die Cochlea-Implantation auch bei einseitig tauben PatientInnen jeden Alters in Österreich, wie in vielen anderen Ländern, ein Routineeingriff.

Doz. Magele erklärt: „Die Herausforderung für Personen mit SSD besteht darin, das natürliche Hören auf einem Ohr und das elektronische Hören auf dem anderen Ohr zu integrieren.“ ExpertInnen empfehlen deswegen, das neue Hören mit CI gezielt zu üben, ohne dabei das gesunde Ohr an den Hörübungen zu beteiligen. Andererseits sollten Betroffene die binauralen Fähigkeiten – Richtungshören und Hören in lauter Umgebung – mit CI und hörender Seite gemeinsam trainieren.

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