Begeisterter Cochlea-Implantat-Nutzer überzeugt eigene Mutter zur Implantation!
Es dauerte lange Jahre, bis Christoph Kalcher zu seinen Cochlea-Implantaten fand. Das neue Hören jedoch überzeugte ihn so sehr, dass er auch seine schwerhörige Mutter zu einer Implantation brachte.
Eva Kohl

Enge Serpentinen winden sich durch den Forst gen St. Kathrein in der Steiermark. Im November sind Äste und Zweige vom weißen Reif bedecken, der später einer zarten Schneehaube weichen wird. Die Idylle erinnert an die Beschreibungen des Heimatdichters Peter Rosegger, der vor über 100 Jahren über das harte und gefährliche Leben der Waldbauern und Forstknechte schrieb.
Heute erleichtern Maschinen die Arbeit von Bauern und Forstarbeitern, doch die Arbeit mit scharfen Geräten, zwischen stürzenden Bäumen und brechenden Ästen, ist anstrengend und gefährlich geblieben. „Am gefährlichsten aber sind die Jogger und Mountainbiker, wenn du die nicht hörst!“, stöhnt Christoph Kalcher, der etwas südlicher im Bezirk lebt. Hören konnte der Nebenerwerb-Forstwirt aber lange nicht. Erst mit Cochlea-Implantaten hat er eine passende Lösung für sich selbst und auch für seine betagte Mutter gefunden. Der lange Weg dorthin begann kurz nach der Jahrtausendwende.
Inklusion darf nicht zur Falle werden!
„Das erste Mal haben die bei der Stellung gesehen, dass bei mir eine Hörbeeinträchtigung da ist.“ Damals wollte der Steirer keine Hörgeräte. Doch als sein Hörvermögen weiter nachließ, musste er sich langsam eingestehen: „Es is´ alles verwaschen. Ich versteh´ mein Gegenüber nicht mehr.“ Das war etwa 2006. Fachleute betonen, dass jedes hörbeeinträchtigte Ohr schnellstmöglich entsprechend unterstützt werden sollte. Die österreichischen Krankenkassen finanzieren bei Erwachsenen dann Hörgeräte für beide Ohren, wenn beidseitiges Hören für die Erwerbstätigkeit wichtig ist.
Kalcher hatte damals das Glück, einen inklusiv denkenden Arbeitgeber zu haben, der auch schwerhörige und gehörlose MitarbeiterInnen beschäftigte. Das war zugleich aber auch sein Pech: Mit Verweis auf die gehörlosen KollegInnen wollte dieser Arbeitgeber nicht bestätigen, dass Hören für die Arbeit wichtig sei – schon gar nicht beidseitiges Hören. Ein Wechsel des Arbeitsgebers war notwendig, damit der Steirer endlich Unterstützung für zwei dringend benötigten Hörgeräte bekommen konnte.
„Wenn du schlecht hörst, das geht auf die Psyche!“

Sohn Christoph Kalcher zeigt seiner Mama die Streaming-Funktionen, die mit den CIs der beiden NutzerInnen möglich sind. ©Eva Kohl
Die Freude war nicht von Dauer. Kalchers Hörvermögen ließ weiter nach, er benötigte immer stärkere Geräte. „Am Schluss haben die auch nichts mehr getan.“ Bis ihm ein neuer Hörgeräteakustiker riet: „Ich kann dir die besten und teuersten Hörgeräte geben. Aber mit deinen Hörwerten nützen dir die nichts mehr.“ Er empfahl dem Familienvater, sich am Ordenskrankenhaus Graz Mitte nach einem Cochlea-Implantat zu erkundigen.
„Mein HNO-Arzt hat mir abgeraten: Ein CI wär´ das Letzte, was wir machen.“ Doch die Höreinschränkungen waren für den damals Enddreißiger schon bedrückend. „In Gesellschaft reden die anderen und du weißt nicht, was die reden; Und fragst du dann was Falsches, dann lachen´s dich aus: Wenn man nichts versteht, das ist nicht angenehm!“, erklärt Christoph Kalcher. Die Konsequenz war absehbar: „Wenn du schlecht hörst, ziehst du dich zurück. Das geht dann auch auf die Psyche.“ Um das zu ändern, folgte er dem Rat seines neuen Akustikers und ging an die Klinik, wo man ihm nach einigen Tests und Untersuchungen bestätigte, dass Cochlea-Implantate ihm helfen könnten.
„Leider zögern immer noch viele Ärzte, hochgradig schwerhörige Patienten auf die Möglichkeit eines Cochlea-Implantats hinzuweisen“, seufzt Prim. Univ.-Prof. Dr. Christian Walch, Vorstand der HNO-Abteilung am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Graz. „Die Operationstechnik ist seit vielen Jahren standardisiert und mit wenig Risiko behaftet; Und die Ergebnisse der Versorgung sind meist ausgezeichnet. Offenbar ist die Vorstellung, dass man ein defektes Sinnesorgan durch ein elektronisches Implantat ersetzen kann, noch nicht in alle Köpfe durchgedrungen.“ Der HNO-Spezialist erklärt weiter: „Ein Cochlea-Implantat ist dann indiziert, wenn der Patient trotz idealer Hörgeräte-Versorgung keinen Nutzen aus dem Hörvermögen der betroffenen Seite ziehen kann. Hier wird der HNO-Arzt die entsprechenden Untersuchungen und Hörtests durchführen und die Indikation anhand von klaren Kriterien stellen.“
Der Steirer Christoph Kalcher informierte sich zusätzlich auch online und las zahlreiche Erfahrungsberichte anderer CI-NutzerInnen. „Ich hab’ mir dann gedacht: Schlechter als mit den Hörgeräten kann’s nicht werden! Und wenn´s das CI bei denen was ´tan hat, dann wird´s es bei mir auch tun“, entschied er sich zur Implantation – vorerst am rechten Ohr.
„Blechernes Hören, Computerstimme oder so: Das kann ich nicht behaupten!“
Das war im Oktober 2021, aktiviert wurde das CI-System einen Monat später. „Am Anfang habe ich schon geglaubt, ich bin in einem Vogelpark“, lacht der mittlerweile erfahrene CI-Nutzer im Rückblick. „Ehrlich gesagt hat das schon ein bissl an den Nerven gezehrt. Aber mein MED-EL CI-Techniker Thomas Ringhofer hat mich immer ermutigt, bis es wirklich gut gelaufen ist.“ So gut, dass Kalcher 2022 am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder die Implantation der zweiten Seite durchführen ließ. Denn: „Wenn ich nur eines oben hab´ kann es sein, wenn wer ´was sagt, dass ich den Kopf hindrehen muss.“
Nach der Operation sollten CI-NutzerInnen drei bis vier Wochen Ruhe einhalten, bis die Wunde geheilt ist, warnt Kalcher. Er selbst fühlte sich nach der OP bald schon so gut, dass er das leider missachtete: Prompt schlug ihm beim Holzhacken ein davonfliegendes Scheit auf die frische Wunde, was zu Komplikationen führte und die Genesung verzögerte. Doch auch das ist längst ausgestanden. „Heute bin ich froh, dass ich die OPs gemacht hab´. Die Lebensqualität ist um einiges besser geworden! Ich kann wieder telefonieren, ich kann wieder fernsehen, ich kann wieder Radio hören – so wie´s früher immer war.“ Kein Wunder, dass er bald auch seiner schwerhörigen Mutter ein Hörimplantat nahelegte.
„Mei´ Bua hört jetzt so gut, dass ich auch Lust hab´, sowas zu machen.“
Josefine Kalcher ist schon seit Jahrzehnten schwerhörig. Lange nutzte sie konventionelle Hörgeräte. „Aber das hat dann nicht mehr funktioniert, und immer ´pfiffen“, beschreibt sie die Probleme, die sie in den letzten Jahren begleiteten. „Die Geräte waren auch schon so laut: Wenn ein Lastwagen vorbeigefahren ist, hab´ ich geglaubt, der fährt mir durch den Schädel durch – so laut war das. Und ich hab´ trotzdem nichts verstanden!“
Wie zuvor ihr Sohn, zog jetzt auch sie sich immer mehr aus der Gesellschaft zurück: „Ich bin ehrlich g´sagt von´d Leut abkommen. Und wenn das Telefon g´läut hat, bin ich davong´rennt.“ Zu unvermeidbaren Terminen – wie jenen bei Arzt oder Ärztin – ging sie nur mehr in Begleitung. Schwiegertochter und Sohn sagten dann: „Mama, du hörst ja gar nichts mehr! Du musst dir das auch machen lassen!“
„Ich allein wär‘ ja nicht hingegangen. Aber mei´ Bua hat mich einfach mitgenommen“, gesteht die Pensionisin. „Eine definierte Altersgrenze existiert nicht“, riet Prim. Walch auch ihr zur Implantation. „Bei älteren PatientInnen hängt die Indikation von der körperlichen Verfassung und der geistigen Fitness ab: Es muss die Operationstauglichkeit gegeben sein und auch die geistige Auffassungsgabe und Flexibilität, um mit dem Gerät das ‚neue‘ Hören auch lernen und umsetzen zu können.“
Gut betreut im Ordenskrankenhaus Graz Mitte

Christoph Kalcher kann mit seinen CIs wieder telefonieren, fernsehen, Radio hören: „So wie´s früher immer war.“ ©Eva Kohl
„Angst hab´ ich keine g´habt“, erinnert sie sich. „Ich bin aufg´wacht nach der Narkose, als ob nichts g´wesen wär‘. Und die haben mich so gut betreut!“ „Am Ordenskrankenhaus kannst du die Doktoren immer fragen! Die nehmen sich immer Zeit“, bestätigt Sohn Christoph. Und die Mutter ergänzt: „Dort bist´ keine Nummer; dort hast´ noch das Gefühl, du bist ein Mensch – ich ging´ sofort wieder hin!“
Zur CI-Nachbetreuung und Sprachtherapie fährt Josefine Kalcher auch jetzt regelmäßig mit dem Bus an die Klinik. Ihr konventionelles Hörgerät am anderen Ohr nützt sie weiterhin: „Aber ich hör´ mit dem CI so rein: Wenn die sagen würden, dass das andere Ohr auch operiert werden muss – ich tät das ohne Zögern.“
Vor Kurzem ist sie vom Anwesen der Familie in ein betreutes Wohnen übersiedelt. „Wir haben einen Gruppenraum, da kommen wir alle Tag´ zusammen. Da singen wir, turnen, spielen Karten – und ich kann voll mittun!“ Die Teilnahme an diesen gemeinsamen Aktivitäten der BewohnerInnen wären ohne CI ebenso schwierig geworden, wie die neuen Nachbarn kennenzulernen. „Mit CI kann ich voll mittun!“
„Hörgeräte und CI: Das sind zwei Paar Schuh`!“
„Beim Arbeiten mit der Motorsäg´ schalt` das CI runter. Da hab` ich im Lärm keine Probleme“, beschreibt Kalcher die Vorteile der Cochlea-Implantate gegenüber konventionellen Hörgeräten. Und: „Wenn mehrere geredet haben, war mit den Hörgeräten kein Verstehen möglich. Mit den CIs kann ich in der Gruppe ein bisschen fokussieren und verstehe, was wer redet. Auch in hohen Räumen, wenn die Stimme zum Überschlagen anfängt.“ Primar Walch erklärt dazu: „Das Cochlea-Implantat regt die Nervenzellen der Hörnerven direkt an. Dadurch ist oft besseres Sprachverstehen zu erreichen als mit dem Hörgerät, welches den eintreffenden Schall lediglich verstärken kann.“
Hobby-Imker Kalcher hört jetzt sogar am Flug der Bienen wieder, wie der Stock gerade gelaunt ist. „Du hörst, ob du hingehen kannst oder ob du schaust, dass du Meter nimmst.“ Das bringt Sicherheit. Auch bei den Forstarbeit ist gutes Hören sicherheitsrelevant. Die Verständigung untereinander funktioniert nach Bedarf auch über Handzeichen. Und gegen herabfallende Äste müssen sich Forstarbeiter anders sichern, denn wenn das Knacken eines brechenden Astes zu hören ist, ist es meist schon zu spät. „Aber das größte Problem sind die Jogger und die Mountainbiker!“ Die würden jede Warntafel ignorieren, schimpft Kalcher. „Wenn wir die nicht kommen hören, dann schauen wir nicht gut aus der Wäsch´!“ Dank CIs ist für ihn und die unachtsamen SportlerInnen auch dieses Risiko nun deutlich geringer.
WISSENSWERT
„Es sind die Menschen, die uns bewegen“
Dieser Leitspruch ist auf der Webseite des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Graz zu lesen. Die über 400 Jahre alte Klinik wurde in den vergangenen Jahren umgebaut, modernisiert und neu organisiert: Ab 2019 fusionierte die Klinik, nun mit operativem Schwerpunkt, mit den seither auf konservative Medizin fokussierten Elisabethinen zum Ordenskrankenhauses Graz-Mitte. Im Zuge dieser Kooperation übersiedelte 2022 auch die HNO-Abteilung der Elisabethinen in die Räumlichkeiten der Barmherzigen Brüder. Dort betreut das erfahrene Team um Prim. Univ.-Prof. Dr. Christian Walch und Logopädin Dr. Heike Münch, MSc nun auch die CI-KandidatInnen und -PatientInnen.
Krankenhaus der Barmherzigen Brüder
Marschallgasse 12
8020 Graz
Vorstand:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Christian Walch
Kontakt:
OA DDr. Andreas Reichelt
Mail: andreas.reichelt@bbgraz.at
Logopädie : Log. Dr. Heike Münch
Mail: heike.muench@bbgraz.at
Tel.: 0316 7067-12012
Fax: 0316 7067-12039
WISSENSWERT
Hören mit Hörgerät oder Hörimplantat ist nicht dasselbe
Das schwerhörige Innenohr nimmt leise Geräuschanteile schlechter wahr. Gleichzeitig schrumpft der Unterschied zwischen dem, was gerade schon hörbar ist und dem, was schmerzhaft laut ist. Dieser akustische Kontrast wird „Dynamik“ genannt. Hörgeräte verstärken Schall genau so, dass er im hörbaren Bereich liegt. Je geringer die Dynamik dabei ist, desto schwieriger wird es für das Gehirn, Sprache zu verstehen. Cochlea-Implantate stimulieren den Hörnerv direkt und umgehen damit diese Einschränkung des schwerhörigen Innenohrs: Sprachverstehen wird wieder möglich.

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