Praxisbuch über „Natürlichen Hörgerichteten Ansatz“ NHA bei der Hörerziehung 

Audiopädagogin Ulrike Rülicke, Musik- und Bewegungspädagogin Dr. Ulrike Stelzhammer-Reichhardt und Sandra Holzschuh, Mutter eines CI-Teenagers, haben gemeinsam ein besonderes Praxisbuch zur Hörerziehung mit dem Natürlichen Hörgerichteten Ansatz (NHS) hörbeeinträchtigter Kinder veröffentlicht. 

Eva Kohl 

Mit der Diagnose Hörverlust beginnt für Eltern eine herausfordernde Zeit. Die Zukunft ihres Kindes scheint vielen Eltern plötzlich fremdartig und unbekannt. Dabei stellt Linguistin und Hörgeschädigtenpädagogin Gisela Batliner MA im Vorwort zum Praxisbuch „Gemeinsam auf dem Weg“ fest: „Noch nie zuvor war es für Kinder mit Hörbeeinträchtigung möglich, auf einem so natürlichen Weg Hören und Sprache zu erwerben wie heute!“

Das Buch wird mit den Illustrationen des bekannten Karikaturisten Bernd Ertl zusätzlich aufgelockert. ©Bernd Ertl, www.ausgezeichnet.com

Einführung in den Natürlichen Hörgerichteten Ansatz

Die drei Autorinnen richten sich mit ihrem Buch vor allem an Familien hörbeeinträchtigter Kinder, die sich für eine lautsprachliche Erziehung entschieden haben. Sie setzen dabei auf den sogenannten Natürlichen Hörgerichteten Ansatz, kurz: NHA, der dank moderner Cochlea-Implantate auch für die meisten taub geborenen Kinder möglich ist. Gebärdensprache wird beim NHA als Zweitsprache im Sinn von Mehrsprachigkeit wertschätzend behandelt, jedoch unabhängig vom Lautspracherwerb. Natürlicher Hörgerichteter Ansatz orientiert sich an Situation und Möglichkeiten der individuellen Familie und vertraut auf die elterliche Kompetenz und Intuition. Wie Fachleute dabei stärkend unterstützen können, zeigen Praxisbeispiele im Buch. 

Ulrike Rülicke ist diplomierte Audiopädagogin sowie zertifizierte Audiotherapeutin. ©Heidi Breuer

Das Besondere an „Gemeinsam auf dem Weg“ ist, dass die drei Autorinnen aus unterschiedlichen Perspektiven – Audiopädagogik, Musik- und Bewegungspädagogik sowie Elternsicht – einen umfassenden Einblick in den Natürlichen Hörgerichteten Ansatz geben. Theorie und Praxis verschmelzen in lebendigen Szenen und leicht umsetzbaren Übungen. Andererseits folgt der theoretischen Information ein Praxisteil, der auch für Fachleute interessant sein kann. Trotz der Informationsfülle bleibt das Buch dank des Wechsels zwischen persönlichen Erfahrungen, fiktiven Szenen, Theorie und praktischen Anleitungen bis zur letzten Seite interessant und leicht lesbar.  

Familienzentrierte Praxisbeispiele zum Natürlichen Hörgerichteten Ansatz

Besonders im ersten Teil wirkt das Buch als Mutmacher. Sandra Holzschuh erinnert sich, wie die Diagnose Hörverlust ihre Träume und Hoffnungen zu zerstören schien. Doch dem steht ein Zitat der britischen Schwerhörigenpädagogin Morag Clark gegenüber: „Hörgeschädigte Kinder [] brauchen [] nicht etwas Spezielles, sondern mehr vom Normalen“, sowie der pragmatische Kommentar: „Da ein gehörloses Baby nicht weiß, wie es ist, akustische Signale zu empfangen, werden ihm diese auch nicht abgehen, vorausgesetzt seine Welt ist sonst in Ordnung.“

Eine Voraussetzung für NHA hebt Ulrike Rülicke hervor: „Eine bestmögliche technische Versorgung ist eine unerlässliche Voraussetzung, um mit dem Natürlichen Hörgerichteten Ansatz erfolgreich sein zu können.“ Und die Autorinnen betonen: Eltern sollen einfach Eltern bleiben und nicht zu HilfstherapeutInnen mutieren! Wie wahr – wissen wir doch aus vielen Bereichen, wie wichtig eine möglichst ungetrübte Elternschaft für familiäre Beziehungen und emotionale Entwicklung ist. 

Sandra Holzschuh ist Mutter eines CI-Nutzers. ©privat

Neben einem kompakten Überblick zu Ursachen von Schwerhörigkeit und möglichen Hörhilfen widmet sich Gemeinsam auf dem Weg aber vorwiegend der Förderung von Kommunikation in all ihren Formen – praxisnahe, beispielhaft, umfassend und ganzheitlich. Die Texte über audiopädagogische Einheiten sind aufbereitet wie das Drehbuch für ein Hörspiel. Die dargestellten Familien sind fiktiv, die Einheiten beruhen jedoch auf realen Situationen – so die Einleitung dazu; ergänzt – wie mit Stimmen aus dem Off – durch fachliche Einordnung sowie durch persönliche Erinnerungen von Sandra Holzschuh an die Entwicklung ihres Sohnes Moritz.  

Jahrzehnte Erfahrung in Form eines Rollenbuchs 

Ein Interview und einige Selbstporträts von CI-NutzerInnen im letzten Kapitel sollen noch zeigen, wohin die Lebensreise von solcherart geförderten Kindern führen kann. CIA-Mitglieder kennen solche Erfahrungen auch schon vom Austausch bei Veranstaltungen wie den Summer Days. Auch die HörberaterInnen auf www.hoerverlust.at stehen für persönliche Gespräche zur Verfügung.  

Mag. art. Dr. rer. nat. Ulrike Stelzhammer-Reichhardt ist Musik- und Bewegungspädagogin. ©privat

Die 172 Seiten davor bieten eine umfangreiche und praxisnahe Einführung in den Natürlichen Hörgerichteten Ansatz NHA bei der Hörerziehung. NHA ist zwar nicht mehr neu: CI-Familien in Österreich wurden schon sehr früh dementsprechend begleitet, auch wenn Fachleute heute vielleicht noch bewusster auf individuelle Ressourcen fokussieren. Die meisten CI-Zentren im deutschsprachigen Raum orientieren sich an den Prinzipien des NHA.  

Auch Ulrike Rülicke und Dr. Ulrike Stelzhammer-Reichhardt schöpfen ja schon aus jahrzehntelanger Erfahrung mit NHA – an der sie uns mit diesem Buch nun teilhaben lassen. Sie bringen das Konzept damit in kompakter und gut verständlicher Form neu ins Bewusstsein zurück – für betroffene Familien und für Fachleute. Neben den Erinnerungen von Sandra Holzschuh lockern die Illustrationen des Karikaturisten Bernd Ertl dieses empfehlenswerte Buch zusätzlich auf.