Joachim Meyerhoff, Schauspielstar des Wiener Burgtheaters, wurde mit seinem Romanzyklus und Lebenserinnerungsprojekt Alle Toten fliegen hoch zum Bestsellerautor. Eine Rezension von Birgitt Valenta.
Endlich ist es soweit – einer der vier erschienenen Romane des gefeierten Bühnenstars und Schriftstellers ist als Hörbuch erschienen. Jeder einzelne Band, der jeweils eine prägende Lebensphase des Autors beschreibt, ist das reinste Lesevergnügen. Ich möchte daher nicht nur auf den als Hörbuch erhältlichen Teil Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke, übrigens natürlich von ihm selbst gelesen, eingehen, sondern auch auf einen weiteren, mindestens ebenso vergnüglichen wie berührenden Teil seiner Romanreihe:
Wärme und Zuneigung zu den Irren
Im zweiten Roman der Serie Alle Toten fliegen hoch– Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war? setzt Joachim Meyerhoff sein Lebenserinnerungsprojekt fort und erzählt von einer seltsam glücklichen Kindheit in einer psychiatrischen Anstalt, wo er gemeinsam mit seinen Eltern und den beiden Brüdern aufwuchs, weil sein Vater dort ärztlicher Direktor war:
Als Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hesterberg bei Schleswig stehen Hermann Meyerhoff seine Patienten näher als die Menschen draußen, außerhalb des Geländes, und sogar manchmal seine Familie selbst. Beispielsweise lädt er zum alljährlichen Geburtstagskränzchen nicht etwa seine Freunde ein, Verwandte oder Kollegen, sondern eine kleine Auswahl seiner Patienten, harmlose Verrückte, wie die ohne Punkt und Beistrich redende Margret oder Ludwig, der immer den Hund streicheln will, vor dem er doch so viel Angst hat.
Dieser humane und für die 1970er Jahre noch eher unübliche Umgang mit den Kranken macht diesen „Wahnsinns-Ort“ für die Kinder, unter ihnen Joachim Meyerhoff, zu einem Heim selbstverständlicher Normalität. Die jähzornige Ader des kleinen Joachim sowie seine Hyperaktivität, er wird liebevoll „Die blonde Bombe“ genannt, schufen eine gewisse Verzweiflungsverwandtschaft mit den 1.500 „Psychos“, „Mongos“, „Blödies“ und „Spastis“, die für die Kinder Spielkameraden, Lehrer und Vertraute waren.
Meyerhoff beschreibt all diese Irren, denen er im Laufe seiner Jahre dort begegnet und die dazu gehörigen Erlebnisse mit ihnen mit viel Humor und gleichzeitig liebe- und respektvoll. In keinem Moment gleitet das Buch ab, sich über geistig Behinderte lustig zu machen, doch trotzdem erlaubt er sich, sie so zu beschreiben, dass der Leser darüber herzhaft lachen kann und auch darf.
Mindestens ebenso unterhaltsam lesen sich aber auch die Geschichten rund um sein Familienleben. Die Abenteuer mit seinen Brüdern, die teilweise absurden Ideen und Pläne seines Vaters sowie die Geschichten über den geliebten Hund sind so erzählt, dass man sie auch wirklich glauben mag.
Was Meyerhoff aus seiner Kindheit und Jugend erzählt, ist manchmal zum Brüllen komisch, manchmal von tragischen Schicksalsschlägen gezeichnet, wie das Leben eben so spielt.
Chaos und Vertrautheit zugleich
Diesem Spagat widmet Joachim Meyerhoff sich in Ach die Lücke, diese entsetzliche Lücke. Statt Ruhe und Linderung nach den Jahren auf dem psychiatrischen Gelände findet er sich aufs Neue im Bannkreis der Verrücktheit wieder, und das gleich in zweifacher Hinsicht. Denn seine Studienjahre verlebt der Erzähler im Haus seiner Großeltern im noblen Stadtteil Nymphenburg.
Da prallen zwei unvereinbare Lebensentwürfe aufeinander. Vormittags in der Schauspielschule stehen Überforderung, Chaos und Unberechenbarkeit an der Tagesordnung. Abends strandet der Student in der vertrauten Welt seiner Großeltern, die, gesättigt mit Vergangenheit, „wie zwei wertvolle Uhren vor sich hin tickten“. Seine Großmutter ist eine schillernde Diva und selbst ehemalige Schauspielerin, sein Großvater emeritierter Professor der Philosophie, eine strenge und ehrwürdige Erscheinung. Ihre Tage sind durch abenteuerliche Rituale strukturiert, bei denen Alkohol eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Mondän und spleenig beschreibt der Autor sie mit höchstem Respekt, aber vor allem mit viel Humor.
Das Bedürfnis nach Geschichten
Joachim Meyerhoffs Lebenserinnerungsprojekt ist zwar betont autobiografisch, allerdings fragt man sich manchmal schon, ob man sich tatsächlich an Geschichten aus teilweise jüngster Kindheit so detailliert erinnern kann.
Beim Lesen der einzelnen Kapiteln gerät dieser Gedanke jedoch in den Hintergrund, man genießt einfach die Geschichte, genauso, wie er sie schreibt und kippt quasi kopfüber direkt ins Leben des kleinen Joachim beziehungsweise in das des jungen Studenten, der dank seiner Großeltern auf dem besten Weg zum Alkoholiker ist.
Im Kapitel „Maria in der Zwangsjacke“ aus Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war gibt es die Episode zu lesen, die sich alljährlich zu Weihnachten abspielt: Der Direktor geht jedes Jahr am Weihnachtstag von Abteilung zu Abteilung und besucht seine Patienten, um mit ihnen gemeinsam zu feiern. Der jüngste Sohn, Joachim, darf ihn begleiten. Für den kleinen Buben ist dieses Ritual der Höhepunkt zu Weihnachten schlechthin. Auf nichts freut er sich mehr, als das Schauspiel zu erleben, das sich ihm jedes Jahr gleich und doch aufs Neue bietet:
„Und nun begann das, wovon ich nie genug kriegen konnte, das, was für mich jahrelang mein ganz persönlicher Weihnachtshöhepunkt war: Nach einem kurzen Innehalten, bei dem die Patienten vom Anblick des Weihnachtszimmers wie paralysiert schienen, stürzten sie sich völlig entfesselt auf die Geschenke […] Und dann, keine fünf Minuten später, war fast alles kaputt. […] In nur fünf Minuten vom besinnlichen Weihnachtszimmer zum rauchenden Trümmerfeld, das gefiel mir unglaublich gut. […]“
Diesen Ausschnitt liest Meyerhoff im Rahmen seiner Promotiontour für das Buch in der ORF Late-Night-Show Willkommen Österreich. Man spürt, während er liest, seine Erinnerung und weiß im gleichen Moment, ja, da ist wirklich so passiert. Ein wundervolles Beispiel, das veranschaulicht, wie es wohl gewesen sein muss, inmitten dieser besonderen Menschen zu leben.
Von der Psychiatrie zum gefeierten Bühnenschauspieler
Joachim Meyerhoff, geboren 1967 im deutschen Homburg, aufgewachsen in Schleswig-Holstein, ist Schauspieler, Schriftsteller und Regisseur. Er ist der dritte und jüngste Sohn des Arztes Hermann Meyerhoff, der ab Beginn der 1970er Jahre eine psychiatrische Klinik für Kinder und Jugendliche leitete. Dort, auf dem Klinikgelände, wuchs Meyerhoff zusammen mit seinen beiden Brüdern auf, bevor er mit 17 für ein Jahr in den USA im Rahmen eines Schul-Auslandssemesters lebte und währenddessen sein älterer Bruder bei einem Autounfall ums Leben kam. Danach entschied sich der sportlich ambitionierte Meyerhoff letztendlich für eine Schauspielausbildung in München.
Diese Entscheidung war für ihn richtungsweisend und ebnete ihm den Weg zur großen Theaterkarriere, denn heute gilt Meyerhoff als einer der bekanntesten und meistbeschäftigten Mimen in der deutschsprachigen Theaterwelt.
Der Sprung zum Bestsellerautor
Seit 2005 ist er Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters und zieht viele seiner Fans in das altehrwürdige Haus, denn Bekanntheit hat er nicht nur durch seine außerordentlichen Leistungen auf der Bühne erlangt, sondern ebenso durch seine Arbeit als Schriftsteller.
Alle vier Teile seiner autobiografischen Romanserie „Alle Toten fliegen hoch“ wurden zum Bestseller und erhielten mehrere Literaturpreise und Auszeichnungen.
Begonnen hat dieses Projekt aber ursprünglich auf der Bühne – der Erfolg des von ihm selbst konzipierten Solo-Programms „Alle Toten fliegen hoch“, Teil 1-3, entwickelte Meyerhoff für das Wiener Burgtheater – ein fünfstündiger Abend, an dem er spielend aus seinem Leben erzählt, mit viel Humor, aber auch mit allem Ernst, den die Schicksalsschläge in der Familie nach sich gezogen haben.
Nach dem großen Erfolg dieses Programms entschied Meyerhoff, den Stoff in Romanform zu veröffentlichen. Er verarbeitete so seine Erlebnisse als Kind in der Psychiatrie – Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war-, als Jugendlicher in Amerika – Alle Toten fliegen hoch-Amerika-, seine Zeit bei seinen Großeltern während der Schauspielschulzeit – Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke –in seinen unvergleichlich humor- und liebevollen Büchern, denen er Ende 2017 noch einen vierten Teil hinzufügte – Die Zweisamkeit der Einzelgänger, der sein abenteuerliches Liebesleben während der Studienzeit beschreibt.
Lesen und Zuhören, bei Herrn Meyerhoff beides ein Hochgenuss!
Das Buch Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke wird von Meyerhoff, dem virtuosen Sprachkünstler, selbst mit größtem Engagement vorgelesen. DiePersonen, inklusive der Autor, wachsen einem in den zwölf viel zu kurzen Hörbuchstunden derart ans Herz, so dass das Ende direkt weh tut und man sich wünscht, Joachim Meyerhoff hätte nie aufgehört zu lesen und die Geschichte würde nie enden. Danke, dass ich teilhaben durfte, Herr Meyerhoff!
Bilder: ©Reinhard Werner/Burgtheater