Seit der Gesetzesnovelle für das Bundesbehindertengesetz im Jahr 2015 werden Assistenzhunde für Menschen mit Mobilitäts- oder Sinnesbeeinträchtigungen am Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien als solche geprüft. Auch Signalhunde für Hörbeeinträchtigte gehören dazu.
Sonntagmittag im Festsaal der Veterinärmedizinischen Universität in Wien – die Rednerin beendet ihren Vortrag über ‚Allergie aus dem Blickwinkel der Komparativen Medizin‘. Zwischen den Reihen der rund achtzig Zuhörer erheben sich Hunde verschiedenster Rassen und schütteln die Anspannung des Wartens aus dem Fell.
Zum dritten Mal fand 2018 die Kyntegra statt– ein Symposium, bei dem der Hund als Assistenz- und Therapiebegleithund mit seinen Rechten und Bedürfnissen im Mittelpunkt steht. Auch ein Symposium, bei welchem der integrative Faktor Hund für eine Begegnung von behinderten Besitzern von Assistenzhunden und nichtbehinderten Therapiebegleithundeführern und Hundetrainern genützt wird, wie Mag. Karl Weissenbacher vom Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien erklärt: „Wenn wir miteinander sitzen und reden, können wir die Barrieren, die ja eigentlich nur im Kopf sind, abbauen.“
„Nicht streicheln, ich arbeite“
Das steht auf dem Geschirr eines der Blindenhunde, der gemeinsam mit der zugehörigen Hundeführerin der Veranstaltung teilnimmt. Assistenzhunde leben mit ihren beeinträchtigten Besitzern und unterstützen ihn gezielt, wo diese Unterstützung benötigen. 142 Assistenzhunde sind in Österreich erfasst, Blindenführhunde ebenso wie Service- und Signalhunde. Servicehunde unterstützen Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Signalhunde haben die Aufgabe, Menschen mit chronischen Krankheiten wie Diabetes auf drohende Unterzuckerung oder Gehörlose auf Geräusche aufmerksam zu machen.
Ein Signalhund für Gehörlose warne vor Gefahren von hinten, vor „Fahrrädern, Skateboard-Fahrern oder Autos – alles was rasch von hinten kommt“, erklärt Mag. Weissenbacher. Andererseits soll er „den Gehörlosen auf die Geräusche aufmerksam machen, die der Gesunde im täglichen Leben über das Hören wahrnimmt.“ Dazu gehört der Signalton beim Eintreffen einer SMS genauso, wie Signale von Küchengeräten oder das Weinen eines Babys. Die genauen Aufgaben bestimmt der zukünftige Hundebesitzer nach seinen individuellen Bedürfnissen und entsprechend dieser Definitionen wird der Hund ausgebildet. So kann er sogar auf das Geräusch reagieren, wenn dem Hundeführer etwas unbemerkt zu Boden fällt: Wird ein Normalhörender durch das Geräusch des Aufpralls auf Verlorenes aufmerksam, kann der Signalhund das fehlende Gehör ersetzen und den verlorenen Gegenstand unaufgefordert abortieren.
Die Prüfung am Messerli Institut ist Voraussetzung für den Eintrag in den Behindertenpass und die damit verbundenen Zutrittsrechte. Eine fundierte Ausbildung ist notwendig – bisher haben elf Ausbildungsstätten erfolgreich Hunde zur Prüfung vorgestellt, ein Viertel davon bildet auch Gehörlosenhunde aus.
Familienhund mit besonderen Aufgaben
„Je nach Einsatzbereich und persönlichen Bedürfnissen sind die trainierten Hilfeleistungen sehr unterschiedlich. In jedem Fall sind sie aber für die Menschen von großer, oft auch sozialer Bedeutung“, erklärte Sozialminister Alois Stöger in seiner Ansprache bei der Verleihung der Assistenzhund-Zertifikate im Juli 2016.
Ingrid Ruttnig ist allein zur Kyntegraan die VetMed gekommen – ohne ihre Labradorhündin Luna, die erst kurz vorher gestorben ist. Die hörbeeinträchtigte Ruttnig erinnert sich: „Mir hat mein Hund damals über die schwere Zeit geholfen, nachdem mein Mann gestorben ist.“ Nach seinem Tod vor 17 Jahren hat ihr die Unterstützung ihres Gatten gefehlt – die Labradorhündin Luna war damals ein Welpe. „Sie hat mir geholfen, dass ich wieder in Gesellschaft komme.“ In den ersten sechs Monaten übte die Witwe mit Luna Gehorsam. Dann begann die Ausbildung zum Signalhund.
„Ich war Hausbesorgerin mit 97 Mietern“, erklärt die Seniorin. Den Aufzugalarm, die Türglocke, das Telefon – all das musste sie in dieser Funktion verlässlich wahrnehmen. „Am Tag habe ich das mit dem Hörgerät auch geschafft.“ Sobald sie abends das Gerät ablegte, war sie auf Hilfe angewiesen. So lernte Luna, das Fax zu bringen, die Türglocke anzuzeigen und sogar die beiden Telefone voneinander zu unterscheiden. „Beim Feueralarm hat sie mich geweckt“, erzählt die Hundebesitzerin. Beim Spazierengehen warnte Luna sie sogar vor Gefahren: „Wenn ein Rad von hinten kam, ist sie vor mir stehen geblieben. Da wusste ich: Halt, da ist etwas!“
„Was nichts kostet, ist nichts wert“
Die Ausbildung eines Assistenzhundes ist anspruchsvoll und entsprechend teuer. Möchte man die Hilfe eines Assistenzhunds in Anspruch nehmen, wendet man sich an eines der Ausbildungszentren – eine Liste findet man auf der Homepage des Messerli Instituts. Vorher sollte man sich aber gut überlegen, ob man für den Hund auch sorgen kann.
„Wir sehen den Assistenzhund als Familienhund mit besonderen Ausbildungen“, erklärt Mag. Weissenbacher, Leiter der Prüf- und Koordinierungsstelle Assistenzhunde und Therapiebegleithunde. Entsprechend sei es Voraussetzung, den Hund auch angemessen versorgen zu können: „Ihn täglich hinaus zu führen, dass er äußerln gehen kann und diese Dinge.“
Die Anschaffungskosten belaufen sich auf 20.000,- Euro für einen Signalhund bis 38.000,- Euro für einen Blindenführhund, dazu kommen die laufenden Kosten der Hundehaltung bis zu 1.000 Euro jährlich. Bei den Anschaffungskosten gibt es Fördermöglichkeiten vom Sozialministerium, den Ländern und Gemeinden und verschiedenen gemeinnützigen Organisationen. Für den Einzelnen sei es mühsam diese Gelder aufzutreiben, bedauert Mag. Weissenbacher. Er wünsche sich ein System, bei dem der Einzelne einen Teil der Kosten tragen müsse, „damit die Wertschätzung gesichert ist“, der Rest aber verlässlich von öffentlicher Hand übernommen werde. Denn „was nichts kostet, ist nichts wert“, seufzt der Veterinär.
Sind Haltung oder Anschaffung eines Assistenzhunds nicht möglich, besteht auch die Möglichkeit einer Tierbegleiteten Therapie. Laut Mag. Weissenbacher könne ein Therapiebegleithund natürlich kein Ersatz für einen Assistenzhund sein, trotzdem: „Die Auswirkungen eines Therapietiers auf die physische und psychische Konstitution eines Menschen ist ja hinlänglich bekannt.“
Über 560 Therapiebegleithunde-Teams sind in Österreich unterwegs: in Schulen und Kindergärten, in Seniorenheimen und auf der Demenzstation, aber auch in Einzeltherapien oder in der Arbeit mit Behinderten. „Gerade an Kindern, die eine Beeinträchtigung haben, wird im Alltag mehr herummanipuliert. Sie werden distanzloser erzogen, weil mehr Hilfe erforderlich ist“, weiß Frau Monika, Hundeführerin bei Tiere als Therapie und selbst mobilitätseingeschränkt. Bei ihren Besuchen lernen die Kinder unter anderem Strategien, um Hilfe zu bitten, Hilfe anzunehmen und selbst anzubieten. Sie entwickeln aber auch einiges an Selbstvertrauen, neue Herausforderung zu bewältigen.
24/7 – ein Leben lang
Anstrengend für Therapiebegleithunde ist die Arbeit mit ständig wechselnden Klienten, oftmals auch größeren Gruppen. Deswegen sollten sie nicht öfter als zwei Mal pro Woche eine knappe Stunde im Einsatz sein. Im Gegensatz dazu ist der Assistenzhund quasi sieben Tagen in der Woche 24 Stunden lang in Dienstbereitschaft. Mag. Weissenbacher relativiert: „Der Assistenzhund ist auch ein normaler Familienhund. Die Assistenzarbeit, die er zu leisten hat, limitiert sich“. Wird die Hilfe des Hundes nur in bestimmten Situationen oder in abgegrenzten Zeitbereichen benötigt, kann der Vierbeiner sogar bewusst in Pause geschickt werden. Mag. Weissenbach erklärt dazu: „Ich kann dem Hund ein spezielles Geschirr oder eine Kenndecke anziehen und damit signalisieren, dass er jetzt arbeiten muss.“
Wie hoch die Belastung für Assistenzhunde tatsächlich ist, wisse man noch nicht: „Weil es noch keine Untersuchungen dazu gibt“, so Mag. Weissenbacher. Studien dazu erfolgen zurzeit am institutseigenen Clever Dog Lab. Dort werden Verhalten und soziale, sowie intellektuelle Fähigkeiten von Hunden studiert und die langzeitliche Gesundheit von Assistenzhunden beobachtet. „Im Mittelpunkt der Vetmeduni Vienna steht die Tiergesundheit und die ist immer im Zusammenhang mit den Bedürfnissen und dem Wohlbefinden der Tiere zu sehen“, stellt Prof. Dr. Otto Doblhoff-Dier, Vizerektor für Forschung und internationale Beziehung an der Veterinärmedizinischen Universität, in einer Presseaussendung fest. Die Prüfstelle führt deshalb auch ein zentrales Register aller Assistenz- und Therapiebegleithunde in Österreich.
Pensionisten auf beiden Seiten
Wenn ein Assistenzhund alt wird, dann geht er in Pension. „Die meiste Erfahrung haben wir bei Blindenführhunden“, erklärt Mag. Weissenbacher. „Die verbleiben dann zum Teil in ihrer Familie oder es wird ein Seniorenplatz für sie gesucht“, abhängig von den Möglichkeiten der jeweiligen Familie, die meist ja auch wieder einen aktiven Assistenzhund benötigt.
Für Halter von Assistenzhunden steht das Messerli Institut auf Anfrage mit Rat und Tat zur Seite, aber auch die Ausbildungszentren müssen zumindest zwei Jahre lang Nachschulungen anbieten – teilweise wird sogar lebenslange Betreuung versprochen. Jährliche Fortbildungen sind für die Assistenzhundehalter verpflichtend. Der Leiter der Prüfstelle erklärt dazu: „Dort sehen wir die Teams und können auch intervenieren.“ Eine solche Fortbildung ist das Symposium Kyntegra.
Ingrid Ruttnig lauscht den Vorträgen des Symposiums mit einem Hörgerät und einem CI. Ihr Hörvermögen hatte sich zuletzt weiter verschlechtert. Im Frühling 2016 hat sie sich zur Cochlea-Implantation entschlossen. Auf jener Seite, wo sie 60 Jahre lang nichts gehört hat, entwickelt sie langsam Sprachverstehen. Abends legt sie Hörgerät und Audioprozessor ab. Dann muss sie während der Nacht mit einem Restgehör von 20% auskommen. Ihre Luna war mit ihren vierzehn Jahren selbst schon Seniorin, hat ihrer Besitzerin aber bis zuletzt immer dann die Ohren ersetzt, wenn es nötig war. Im vergangenen Herbst ist Luna gestorben. Frau Ruttnig trauert um sie, aber sie ist sich jetzt, so kurz nach dem Verlust, schon sicher: „Ich mache mich wieder auf die Suche nach einem geeigneten Hund.“
Bild: ©Privataufnahme Ingrid Ruttnig