Am Rande der Veranstaltung „Gänsehaut Inbegriffen – Tiroler Tag des Musikhörens“ stellte sich Prof. Patrick Zorowka, Direktor der Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen (HSS) an der MedUni Innsbruck, unseren Fragen.
Herr Prof. Zorowka, Sie sind einer der Vortragenden beim Tiroler Tag des Musikhörens. Welche Affinität haben Sie bzw. die HSS-Klinik zu Musik?
Zum Ersten musiziere ich, wenn es die Zeit zulässt. Zum Zweiten spielt Musik in vielen Bereichen unserer Klinik eine große Rolle. Ein Phoniater als zusätzlich spezialisierter HNO-Facharzt sollte ohnehin musikalisch gebildet sein, sei es sängerisch oder beim Spielen eines Musikinstrumentes.
Wir bieten deshalb in einer unserer Spezialambulanzen eine interdisziplinäre Sprechstunde für Berufssprecher und Berufssänger.
Auch das Thema Hörimplantate und Musik wird für uns immer wichtiger. Hier geht es in erster Linie um die Anpassung und das Hörtraining. Musikhören ist ein sehr komplexer Vorgang und gilt als höchste Kunst für Menschen mit Höreinschränkungen und technischen Hörhilfen.
Auf welche Forschungsbereiche konzentriert sich die HSS sonst noch?
Viel Neues gibt es zum Thema Richtungshören. Hier haben wir mit unserer Camera Silentia eine großartige Forschungseinrichtung. Das Thema einseitige Ertaubung und die damit verbundenen Folgen für das räumliche Hören und Sprachverstehen in akustisch schwierigen Alltagsituationen hat an unserer Klinik einen hohen Stellenwert und wird in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen.
Außerdem verfügen wir über ein Labor für neurokognitive Forschung und gehen mit Methoden der funktionellen Hirndiagnostik wissenschaftlichen Fragestellungen bei Cochlea-Implantatträgern nach. Hier ist die Mehrsprachigkeit ein spannendes Gebiet und aktuelles Thema.
Stimmschallanalysen zur Darstellung der Feinstruktur und Prosodie des Schallsignals helfen, Kodierungen und individuelle Anpassungsparameter von Cochlea-Implantaten zu optimieren.
Ein Vorteil in allen klinischen und Forschungsbereichen ist die enge Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck und der Industrie. Dadurch können Synergien genutzt und die Forschung vorangetrieben werden.
Die Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen Innsbruck hat auf dem Gebiet der Hörimplantation weit über die Grenzen Tirols hinaus einen ausgezeichneten Ruf. Verraten Sie uns das Erfolgsgeheimnis?
Wir arbeiten interdisziplinär und haben seit längerem ein Implant-Board eingerichtet. Hier arbeitet ein Team aus Fachärzten für HNO sowie Phoniatrie, dem HNO-Chirurgen, Audiologen in der Qualifikation als Physiker, Ingenieure, Hörgeräteakustiker und Logopäden sowie Psychologen zusammen. Die Aufgaben reichen von der präoperativen Indikationsstellung bis zur späteren Folgetherapie und Rehabilitation. Dabei wird stets kritisch beurteilt, welche Patienten für welches Hörimplantat in Frage kommen oder auch nicht. In diese Evaluation fließen verschiedenste Aspekte ein – von der audiologischen Indikation über medizinische Kriterien bis hin zur Bereitschaft der Kandidaten zur postoperativen Rehabilitation. Auf diese Weise erhalten alle am Implantationsprozess beteiligten Disziplinen ein umfassendes Bild der Kandidaten und können ihre Entscheidung gemeinsam und gut informiert treffen und es werden unrealistische Erwartungen bei den Kandidaten oder deren Eltern vermieden.
Ab welchem Zeitpunkt kommen die Psychologen zum Einsatz?
Unser Psychologen-Team begleitet Patienten bzw. deren Eltern neben dem audiologischen Team von Anfang an, schon ab der präoperativen Aufklärung. Bereits vor der Implantation, während des Klinikaufenthalts, bis zur Erstanpassung und während der Reha-Phase können unsere Patienten jederzeit psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen. Bei Kindern erstreckt sich diese Hilfe bis ins Schulalter und darüber hinaus. Damit setzen wir an unserer Klinik neue Maßstäbe, denn in vielen anderen Kliniken ist eine ständige psychologische Begleitung nicht Standard.
Der spannendste Schritt für viele Hörimplantierte ist wahrscheinlich die Erstanpassung.
Natürlich. Auch hier können wir auf langjährige Erfahrung unseres interdisziplinären Teams setzen. Besonders bei Kinderanpassungen und in komplexeren Fällen liefert die enge Zusammenarbeit unserer Physiker, Audiologen, Logopäden und Entwicklungspsychologen hervorragende Resultate. Vor über zwei Jahrzehnten wurden in Innsbruck objektive Anpassverfahren entwickelt, sodass Patienten mit komplexen Ätiologien und schwierigen Bedingungen für die Anpassung oft von weit herkommen.
Stichwort Rehabilitation: Wie handhabt die HSS Klinik Innsbruck die postoperative Rehabilitation?
Die Hörrehabilitation erfolgt an unserer Klinik bzw. in Zusammenarbeit mit Frühförderern und Hörgeschädigtenpädagogen, an die wir die Eltern vermitteln. Wenn Kinder darüber hinaus noch Förderung benötigen, greifen wir in Tirol auf die Expertise des Zentrums für Hör- und Sprachpädagogik in Mils zurück. Die Kooperation mit dieser spezialisierten Einrichtung, die rund 30 Minuten von Innsbruck entfernt ist, hat sich seit vielen Jahren sehr gut bewährt.
Erwachsene können ein Hörtraining ebenfalls an unserer Klinik absolvieren.
Sie implantieren sowohl Kinder als auch Erwachsene. Wie entwickeln sich die Zahlen?
In Innsbruck implantieren wir mehr Kinder als Erwachsene, da wir seit langer Zeit als pädaudiologisches Zentrum in Österreich gelten. Die Zahl der taub geborenen Kinder bleibt trotz des Anstiegs an Frühgeburten, die oft als Risikokinder gelten, mit ein bis zwei Promille relativ konstant. Neun von zehn Neugeborenen mit hochgradigem Hörverlust werden heutzutage mit einem CI versorgt. Noch immer lehnen jedoch einige Eltern ein CI für ihr Kind ab. Das müssen wir akzeptieren und würden nie ein Kind gegen den Willen seiner Eltern implantieren. Denn der Erfolg mit dem CI beruht zu einem großen Teil auf der aktiven Teilnahme an der Nachsorge. Wenn diese nicht gegeben ist, macht eine Implantation wenig Sinn.
Implantieren Sie auch ältere Menschen?
Selbstverständlich. Gerade in dieser Gruppe besteht häufig die große Sorge, durch den Hörverlust Selbständigkeit zu verlieren. Die Zuweisung von älteren Patienten durch niedergelassene Kollegen sowie Hörgeräteakustiker erfolgt problemlos. Das Thema Kognition in Verbindung mit Schwerhörigkeit gewinnt immer mehr an Bedeutung, verstärkt durch aktuelle Forschungsergebnisse, die eine zunehmende Gefahr in der Entwicklung einer Demenz bei unversorgter hochgradiger Schwerhörigkeit im Alter sehen. Auf diesem Gebiet gibt es derzeit internationale Forschungsstudien, an denen wir beteiligt sind.
Auch bei älteren Menschen ist ein Hörtraining nach der Implantation sehr wichtig, um eine optimales Behandlungsergebnis nach erfolgter Implantation zu erreichen. Deshalb gehört dies ebenfalls zum Betreuungsangebot an unserer Klinik.
Welches Verhältnis hat die HSS zur Tiroler Gehörlosen-Gemeinde?
Dieses Verhältnis würde ich als gut bezeichnen. Wir haben einen direkten Kontakt zur Gehörlosen-Selbsthilfegruppe Tirol und zwei Mitarbeiter unserer Klinik im Funktionsbereich der Pädaudiologie sind gebärdenkompetent. In jüngerer Zeit beobachte ich interessanterweise, dass zunehmend auch taube Eltern ihre nicht hörenden Kinder an unserer Klinik mit einem CI versorgen lassen. Es findet ein allmähliches Umdenken in der Gehörlosen-Gemeinde statt, dem wir mit Kompetenz, Respekt und Achtung ihrer Kultur begegnen.
Bei vielen Kindern ist der Grund für die Taubheit unbekannt bzw. es wird eine genetische Ursache vermutet. Welche Rolle spielt die Genetik an Ihrer Klinik?
Bei einer zunehmenden Zahl früher unbekannter Ursachen kann eine genetische Ätiologie nachgewiesen werden. Wenn Eltern einen genetischen Test machen lassen wollen, so unterstützen wir das, denn einerseits dienen diese Untersuchungen der weiteren Familienplanung, da häufig die Frage im Raum steht, ob weitere Kinder unter Umständen ebenfalls taub geboren werden könnten. Andererseits sind die Eltern auch daran interessiert, über die mögliche Progredienz einer genetisch bedingten Krankheit frühzeitig aufgeklärt zu sein. Die Fortschritte in der genetischen Diagnostik sind durch technische Weiterentwicklungen der Analysesysteme enorm. So können genetische Ursachen mitunter schon vor Beginn einer Hörstörung bei Risikogruppen erkannt werden. Derzeit sind
Gentherapien zur Behandlung von Taubheit allerdings noch nicht möglich, doch in einigen Jahren könnte sich das ändern. Auch betroffene Patienten selber, die mittlerweile junge Erwachsene sind, wollen Bescheid wissen, sind unter Umständen bei der Familienplanung darauf eingestellt, ihren Gendefekt weiterzuvererben.
Wir sind beeindruckt von den vielen Facetten der Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen Innsbruck und bedanken uns herzlich für das Gespräch!