Die Weiterentwicklung der Hörrehabilitation

Am letzten Tag des österreichischen HNO-Kongresses vom 22. bis 25. September 2021 in Innsbruck ging es um die mittelfristige und ferne Zukunft der Hörrehabilitation – wie Kongresspräsident Prof. Dr. Patrick Zorowka in einem Satz zusammenfasste, vorwiegend um „die Weiterentwicklungen des prothetischen Systems und die Überlegung, ob man gentherapeutisch behandelnd eine Regeneration oder Ersatzstruktur der Sinneszellen schaffen kann.“

2013 wurden Priv. Doz. DI DDr. Ingeborg Hochmair, Gründerin des österreichischen Implantat-Herstellers MED-EL, Prof. Dr. Blake S. Wilson, Wissenschaftler der Duke University in Dallas/USA und Prof. Dr. Graeme M. Clark von der australischen University of Melbourne für die Entwicklung moderner Cochlea-Implantate mit dem Lasker-DeBakey Clinical Medical Research Award ausgezeichnet. Als die Hörimplantologie 2021 gerade ihr 30jähriges Jubiläum beging, wurde der Albert Lasker Basic Medical Research Award drei Wissenschaftlern zugesprochen, deren Forschungsarbeit für zukünftige Cochlea-Implantate bedeutsam werden könnte: Prof. Karl Deisseroth, M.D., Ph.D. an der Stanford University in Kalifornien, Prof. Dr. Peter Hegemann an der Humboldt Universität in Berlin und Prof. Dr. Dieter Oesterhelt am Max-Planck-Institut für Biochemie erforschten lichtempfindliche Protein-Mikroorganismen und ihre Verwendung in der Optogenetik – eine Voraussetzung für die Entwicklung optischer CIs, in die Fachleute große Erwartungen setzen.

Prof. Dr. Stefan Volkenstein von der Ruhr-Universität in Bochum gab beim HNO-Kongress einen Überblick über zukünftige Entwicklungen der Ohr-Chirurgie, für die Digitalisierung und Technologisierung Motor sind, und personalisierte und individualisierte Medizin an Relevanz gewinnt. Beides trifft auch auf Hörimplantate zu. So ermöglichen verbesserte Visualisierungen individuell optimierte Cochlea-Implantationen, die Robotik hält Einzug beim CI und volldigitale 3D-OP-Mikroskope ermöglichen Augmented Reality, eine „erweiterte Realität“, bei der vorab erstellte, diagnostische Bilder vom MR oder CT über die aktuelle, reale Ansicht des Mikroskops gelegt werden.

Prof. Volkenstein erwähnte Zukunftsvisionen mit konkretem Bezug zu CIs: Neben dem Traum vieler CI-Nutzer eines vollimplantierten Systems vor allem optische Stimulation und eine genetische Rehabilitation der Hörfähigkeit, die Implantate hinfällig machen könnte.

Die Gene für gutes Hören

Bei erworbenem Hörverlust, also durch nicht-genetische Ursachen im späteren Lebensverlauf auftretender Hörverlust, ist jene Gentherapie am weitesten entwickelt, welche direkt die Sinneszellen des Ohrs regenerieren möchte. „Viele Studien zeigen, dass diese Regeneration möglich ist“, erklärte Prof. Dr. Ellen Reisinger vom Universitätsklinikum Tübingen in ihrem Vortrag. „Aber bisher nur eine, dass damit auch das Hören wieder besser wird. Das Problem ist aber, dass dieser Effekt bisher nicht reproduziert werden konnte.“ Ob und wann eine solche Therapie möglich werden könnte, ist daher noch nicht absehbar.

Frühkindliche Hörprobleme sind zu 80 Prozent genetisch verursacht, über 70 Prozent dieser genetischen Varianzen wirken sich ausschließlich auf die Hörfähigkeit aus: Sie teilen sich auf rezessive, dominante, mitochondriale und x-chromosomale Varianten auf. Allein bei den rezessiven Varianten sind 78 unterschiedliche Gene als mögliche Verursacher bekannt, bei zumindest weiteren 23 Genen vermutet man einen Zusammenhang, weitere bisher unbekannte Verursacher sind möglich.

Verheißungsvolle Ansätze der Gentherapie

Bei dieser Vielzahl unterschiedlicher Gene als Ursache einer Hörstörung kann es nicht „die eine Gentherapie gegen Hörverlust“ geben. Zudem setzt eine solche Therapie voraus, dass beim jeweiligen Patienten nicht nur der Hörverlust selbst abgeklärt ist, sondern auch das jeweils verursachende Gen. Häufig ist auch ein früher Einsatz von Gentherapie ausschlaggebend für einen Therapieerfolg: So wurde ein spezieller Therapieansatz bei Versuchen an Mäusen zwar als erfolgversprechend eingestuft, doch müsste bei dieser Therapie die Taubheit bereits im Mutterleib diagnostiziert, der zugrundeliegende Gendefekt identifiziert und das Genmaterial noch vor der 18. Schwangerschaftswoche appliziert werden! „Das halte ich zwar nicht für völlig ausgeschlossen, aber doch in so weiter Ferne wie die Mars-Besiedelung“, mutmaßt selbst Prof. Reisinger als Spezialistin für Gentherapie.

Sie selbst ist in die Entwicklung einer vielversprechenden Gentherapie involviert, die bei einer Mutation helfen soll, welche in zwei Prozent aller genetisch bedingten Fälle von Schwerhörigkeit vorliegt. Für diese kleine Gruppe zukünftig Betroffener sind klinische Studien in Vorbereitung. Vielversprechend sind auch jene gentherapeutischen Entwicklungen, die Voraussetzung für die prothetischen Behandlungen mit zukünftigen optischen Cochlea-Implantaten sind.

Die Klangwahrnehmung beim CI verbessern

Beim gesunden Innenohr wird die Tonhöhe über den Ort im Innenohr kodiert, an dem der jeweilige Ton stimuliert wird; für tiefe Töne kodiert zusätzlich die Wiederholrate der Stimulation. Cochlea-Implantate stimulieren möglichst nahe am natürlichen Ort der Stimulation mittels elektrischem Stromimpuls – wir sprechen von Ionischer Stimulation; nur CIs von MED-EL nutzen zusätzlich die beschriebene Zeitkodierung für tiefe Klänge.

Ungeachtet dessen liegt die Schwäche auch moderner Cochlea-Implantate in der relativ geringen Frequenzauflösung im Vergleich zu normalhörenden Ohren: Tonunterschiede können nicht so gut wahrgenommen werden. Das liegt an der physio-elektrischen Tatsache, dass die verwendeten Stromimpulse ihr elektrisches Feld auch rund um den aktiven Kontakt aufbauen und so die benachbarten Bereiche mit erregen. „Es macht deswegen keinen Unterschied, ob sie 12 oder 24 Kanäle verwenden“, erklärte Prof. Dr. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Audiologische Neurowissenschaften an der Medizinischen Universität Göttingen und Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie. „Hier kommt das Optische CI ins Spiel, weil man damit gut bündeln kann.“ Man hofft im Moment auf 64 Kanäle.

Visuelle Kommunikation anders: optische Cochlea-Implantate

Der menschliche Nervenimpuls ist natürlicherweise ein Ionenimpuls, womit ein elektronischer Stimulationsimpuls gut entspricht. Die Zellen der Grünalge sind im Gegensatz dazu lichtsensitiv. „Der Trick ist, so eine Erbinformation aus der Grünalge auszubauen und in die menschliche Nervenzelle zu bringen“, erklärte Prof. Moser. Die zuletzt mit dem Lasker Award für Grundlagenforschung ausgezeichneten Wissenschaftler Deisseroth, Hegemann und Oesterhelt haben genau das bei Mäusen versucht: Nichtpathogene Viren, die keine Erkrankung verursachen, wurden als Boten genutzt, solche Lichtschalter in die Spiralganglienzellen im Innenohr der Mäuse einzubauen. Dann positionierte man einen Lichtleiter im Mittelohr, ganz nahe beim Innenohr: Sowohl objektive BERA-Messungen als auch verhaltensanalytische Versuche zeigten, dass Höreindrücke erreicht werden können.

„Wir sind mittendrin in der Entwicklung“, so Prof. Moser – mitten in der Entwicklung der Gentherapie und der Medizintechnik mit optischen Stimulationsmodulen und passenden Kodierungsstrategien. „Wir haben noch sehr viel zu tun!“

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