Literatur hat für uns eine vielfache Funktion – für Hörbeeinträchtigte kann Literatur eine weitere Facette als Hörtraining bekommen, wenn sie in Form von Hörbüchern dargeboten wird.
Schon für die ganz Kleinen bieten Geschichten Unterhaltung. Speziell Märchen helfen beim Verarbeiten der verschiedenen Entwicklungsschritte beim Älterwerden, andere Texte sind eher informativ. Historische Literatur lässt uns erahnen, wie es früher war und wie unsere Gesellschaft wurde. Für Schüler sind Bücher oft die wichtigste Hilfe beim Erwerb der Lesekompetenz und auch beim Entwickeln der eigenen Ausdrucksfähigkeit. Und nicht zuletzt ist gehobene Literatur auch ein wichtiger Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung, werden neben gesellschaftlichen und politischen Fragen häufig auch die Probleme an den Wendepunkten des Lebens betrachtet, lange bevor der Leser selbst an einen solchen Wendepunkt gelangt. So haben auch heute noch klassische und moderne Literatur eine wichtige Rolle im Deutsch- und Fremdsprachenunterricht, obwohl die von manchen Schülern gefürchteten Literaturthemen im Rahmen der Zentralmatura einer Gedichtinterpretation weichen mussten.
Als Hörtraining ist es hilfreich, wenn das Werk in auditiver Form als Hörbuch, sowie in wortidenter, optischer Form vorliegt, also als Kassette, CD oder MP3-File und zusätzlich als pdf-File oder als Buch. So kann das Gehörte stets mitgelesen werden. Zur Erleichterung kann natürlich auch schon vor dem Hören abschnittsweise gelesen werden, um sich mit dem Text und speziell mit den Eigennamen dort vertraut zu machen. Das Hörbuch ohne Mitlesen zu hören ist jedoch erst bei entsprechender Übung empfehlenswert.
Natürlich ist beim Hörbuch auf entsprechende Sprachqualität zu achten: So sind musikalische oder klangliche Untermalungen zwar sehr anschaulich, erschweren aber oftmals das Verständnis. Ungewohnte Sprachwahl, wie in Mittelhochdeutsch vorgetragene Lyrik oder Texte mit einer größeren Anzahl ungewöhnlicher Namen und Ausdrücke, könnte eine gewisse Hörausforderung bedeuten. Auch als Hörspiel verarbeitete epische Werke eignen sich nicht wirklich, da man bei dieser Bearbeitungsform ja nicht mitlesen kann. Aus dem gleichen Grund sind auch ungekürzte Fassungen zu bevorzugen. Und speziell bei den Werken unseres historischen Kulturschatzes, die heute nicht mehr im Original gedruckt und gesprochen werden – das betrifft vorwiegend die alten Sagen, Legenden und Märchen – ist es manchmal eine Herausforderung, das gedruckte Buch im gleichen Wortlaut zum vorgelesenen Text zu finden.
Eine große Erleichterung bietet hier der Verlag HörGut, der sich selbst als eine Art Reclam unter den Hörbüchern sieht. Ursprünglich als Angebot klassischer Werke für leseschwache Schüler gedacht, bietet er zurzeit rund 70 Hörbücher der gehobenen Literatur und bei jedem Kauf wird der gedruckte Text zum Mitlesen auch als pdf-File mitgeliefert. Wer nicht am Computer, Laptop, iPad oder E-Book-Reader mitlesen will, kann das Skript ausdrucken oder für wenig Geld in einem Copy-Shop drucken lassen.
Deutschsprachige Literaturgeschichte
Die Spannbreite umfasst dabei fast die gesamte Literaturgeschichte – und die Literaturgeschichte bietet tatsächlich eine sehr breite Spanne unterschiedlicher Werke, angefangen von den Epen der klassischen Antike und den verschiedenen Werken des Mittelalters. Der Minnegesang des Mittelalters ging in der Renaissance dann in den Meistergesang über – Hans Sachs als bekanntester Vertreter ist uns aus dem Deutschunterricht wohl noch allen bekannt. Neben den Meistersingern entwickelten sich aber auch das Volksbuch mit seinen Sagen, Fabeln und Legenden, sowie Schwank und Fastnachtsspiel, die alle neben dem erwünschten Unterhaltungswert vor allem belehrenden Charakter hatten. Bekannte Romane dieser Zeit wären die heute meist ins Kinderzimmer übersiedelten „Baron von Münchhausen“ und „Till Eulenspiegel“. Neben höfisch-historischen Romanen und Schäferromanen, quasi den „Drei-Groschen“-Liebesromanen jener Zeit, waren auch im Barock die Schelmenromane weiter ein Thema. Das wohl bekannteste Beispiel ist „Simplicissimus“ von einem gewissen Grimmelshausen.
Nach dem dreißigjährigen Krieg hat sich in Europa nicht nur die politische Landschaft stark verändert, auch die Aufklärung selbst hat speziell vonseiten der Philosophen eine neue Ordnung geprägt. Der bekannteste Vertreter unter ihnen, Immanuel Kant, dessen Wort über das Hören ich andernorts immer gerne zitiere, sagte: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit,“ und weiter, unmündig sei ein Mensch, wenn er seinen Verstand nicht ohne fremde Leitung einsetze, und selbstverschuldet sei dieses Verhalten, sofern es in Unschlüssigkeit oder Mutlosigkeit wurzle. Kant verlangt von uns also ein minimales Maß an Eigenverantwortlichkeit, und diese Eigenverantwortlichkeit bedarf einer gewissen Persönlichkeitsentwicklung, die wiederum über die Literatur gefördert und geleitet wird. Ephraim Lessing tat mit seinen Werken, besonders bekannt „Nathan der Weise“, das Seine dazu, diesem Anspruch gerecht zu werden.
Aktuelle Gesellschaftsthemen wurden erstmals im Sturm und Drang behandelt. War für jene Epoche das Drama die wichtigste Literaturgattung, so haben gerade auch die hervorragendsten Vertreter Goethe, Schiller und Herder einiges an Epik hinterlassen. Doch so wie diese Schriftsteller ihre Sturm- und Drangjahre hinter sich ließen, ist auch die gesamte Literatur in die Klassik übergegangen, wo zwar wieder Kant die Oberhand, aber Idealismus als Zielsetzung blieb erhalten und die gleichen Autoren wie im Sturm und Drang dominierten. In dieser Schaffensperiode schuf neben dem typischen Bildungsroman (Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ gilt als Paradebeispiel der Gattung) besonders Schiller auch weit bekannte Balladen: Man denke nur an „Das Lied von der Glocke“, „Die Kraniche des Ibykus“ oder „Die Bürgschaft“, die Generationen von Schülern auswendig lernen mussten.
Die Romantik mit ihrer Verschmelzung von Philosophie, Literatur und Naturwissenschaften löste schließlich die strenge Klassik ab. Besonders epische Kurzformen, wie Erzählung, Novelle (man kennt Joseph Freiherr von Eichendorff) und Märchen, waren sehr beliebt. In der Hochromantik waren zum Beispiel die Gebrüder Grimm als Sammler der Haus- und Volksmärchen tätig, aber auch E.T.A. Hoffmann beschenkte uns mit einer Vielzahl von Kunstmärchen.
Im Biedermeier sind in Österreich natürlich vor allem Bühnenstücke, besonders die Zauberstücke von Nestroy und Raimund bekannt. Doch Grillparzer, Stifter und Konsorten haben auch für epische Werke, vor allem für die Kurzform der Novelle, Kurzgeschichte und der Studie gesorgt.
Vor der Jahrhundertwende bescherten uns dann Realismus und Naturalismus eine wahre Flut an Literatur. Neben der Novelle, die auch in dieser Zeit von Bestand blieb, erlebte der Roman in verschiedenen Formen wieder einen Aufschwung. Es finden sich große Namen wie Storm, Stifter, Keller, Fontane und Grillparzer, oder die Österreicher Ferdinand von Saar oder Marie von Ebner-Eschenbach, sowie der Deutsche Gerhard Hauptmann und viele mehr.
Das zwanzigste Jahrhundert wurde dann in vielfältigsten Literaturgattungen von Leuten wie bereits genannten Gerhart Hauptmann, aber auch Hermann Hesse, Hugo von Hofmannsthal, Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Arthur Schnitzler, Friedrich Dürrenmatt oder Stefan Zweig eingeleitet.
Besonders letzterer schuf ein sehr vielfältiges Werk, angefangen von Legenden, die auch problemlos von Teenagern gelesen werden können, über viele Novellen („Die Schachnovelle“ war lange ein absolutes Muss an österreichischen Schulen mit Matura-Abschluss), historischen Momentaufnahmen („Sternstunden der Menschheit“) und unterhaltsam geschriebenen Biografien, bis zu seiner Autobiografie „Die Welt von gestern“. Während Schnitzler die gesellschaftlichen Phänomene der Zeit noch oft auf soziologischer Basis kritisch betrachtet und dabei ganz nebenbei den inneren Monolog (wie bei „Leutnant Gustl“) eine tragende Rolle zukommen lässt, bringt die Bekanntschaft zu Sigmund Freud bei Zweig den eindeutigen Einzug der phsychoanalytischen Gedankenstruktur in die Literatur mit sich (zum Beispiel in „Angst“).
Wie Zweig mussten auch Friedrich Torberg, der Verfasser der legendären „Tante Jolesch“, aber auch des Erstlingsromans „Der Schüler Gerber“, Elias Canetti und mit ihm viele andere vor dem NS-Regime fliehen. Doch während Ersterer im Exil starb, konnte Torberg nach Kriegsende nach Österreich zurückkehren und uns mit weiteren Werken erfreuen.
Nicht erst die 60-Jahre trieben Künstler wie die Beatles nach Indien, sodass die Eindrücke dieser Reise in ihrer Musik Niederschlag fand, auch Hesse war schon Jahre vorher am Subkontinent und hat unter anderem für sein Werk „Siddhartha“ recherchiert, aber auch „Das Glasperlenspiel“ oder „Der Steppenwolf“ kommen aus seiner Feder.
Wenn man in der Klassik die Balladen erwähnt, so darf auch in der Nachkriegsliteratur die Lyrik mit Vertretern wie beispielsweise Erich Fried und dessen Liebesgedichten nicht ganz untergehen, wenngleich gerade Fried aufgrund seines politischen Engagements zu den sehr umstrittenen Künstlern der Nachkriegszeit zählt.
Hatte man in meiner Schulzeit diese Autoren alle noch zur Gegenwartsliteratur gezählt, so spricht man heute von der Nachkriegsliteratur oder eben der Gruppe 64 oder den 78ern. Gegenwartsliteratur aus heutiger Sicht ist neben Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek vor allem das Werk des Österreichers Christoph Ransmayr. Sein Roman „Der fliegende Berg“, der sprachlich ungemein hohe Qualität aufweist, ist auch als ungekürztes Hörbuch zu haben. Natürlich darf auch ein Michael Köhlmeier nicht fehlen, den wir folgend noch ausführlich besprechen werden. Er zeichnet neben zahlreichen Nacherzählungen klassischen Materials auch für einige bemerkenswerte Romane verantwortlich, wie zum Beispiel „Abendland“. „Der König in seinem Exil“ von Arno Geiger stellt ebenfalls ein wunderbares aktuelles Exemplar aus deutschsprachiger Belletristik dar. Besonders viel Beachtung fand Daniel Kehlmann mit „Die Vermessung der Welt“ – das angeblich zweithäufig verkaufte deutschsprachige Werk.
Das meist verkaufte deutschsprachige Werk ist aber immer noch „Die Blechtrommel“ aus der „Danziger Trilogie“ von Günter Grass, einem Mitglied der Gruppe 64 der Nachkriegsliteratur. Es war in einer damals sehr umstrittenen Verfilmung in den 80er-Jahren auch im österreichischen Fernsehen zu sehen und hat seither nicht an Popularität verloren.
Die Gehört.Gelesen wird ab sofort in jeder Ausgabe ein Hörbuch für Jugendliche (10-14 Jahre) und ein Hörbuch für Erwachsene vorstellen und sich dabei sowohl dem Inhalt widmen, wie auch seiner Eignung zum Hörtraining. In der ersten Ausgabe starten wir mit dem Nibelungenlied im Mittelalter, also bei der Wurzel der deutschsprachigen Literatur – in der ursprünglichen Fassung des unbekannten Autors für Erwachsene sowie in einer modern nacherzählten und leicht verständlichen Version von Michael Köhlmeier für Jugendliche.