Mein erster Kontakt mit dem Bürgertheater war im Jahr 2017, seither habe ich zwei Mal aktiv mitgewirkt.
Manuela Lunzer
Am Landestheater Niederösterreich in Sankt Pölten gibt es seit einigen Jahren das Bürgertheater. Der Name sagt ja schon alles: Bürger und Bürgerinnen aller Altersklassen geben ihr Herzblut für das Theater – „sie schenken ihre Liebe dem Publikum und das Publikum trägt es mit hinaus in die Welt“, frei nach dem Text des heurigen Stücks Kinder des Olymp formuliert.
Ich lebe mit meiner Familie seit mehr als 25 Jahren auch in dieser Stadt. Kulturelle Teilhabe ist für Menschen mit Hörbeeinträchtigung nicht überall möglich. Das Bürgertheater hat bis dato bereits sieben Stücke aufgeführt, mein erster Kontakt mit dem Haus war im Jahr 2017.
Kurz zu meiner Person
Ich bin beidseitig CI-implantiert. Von Kindheit an trug ich Hörgeräte und nach Hörstürzen im 40. Lebensjahr entschied ich mich für das Cochlea-Implantat.
Wie die Zeit vergeht: Vor 15 Jahren, 2004, erfolgte die Versorgung am linken Ohr und sechs Jahre später dann die rechte Seite. Wer nachgerechnet hat, weiß nun mein Alter: aktuell 54 Jahre. Aktiv bin ich ebenfalls, neben meinem Beruf, in der Gehörlosengemeinschaft – im St. Pöltner Gehörlosenverein und im Gehörlosenverband Niederösterreich.
Ganz genau erinnere ich mich noch an das Hörtraining mit den neuen „Hörgeräten“, also dem CI, in den Anfangsjahren. Das waren einprägsame Erlebnisse. Eigentlich hört das Hörtraining nie auf – das erlebe ich im Umgang mit fremden Menschen im Beruf und am Telefon. Und ebenso durch die Teilnahme am Bürgertheater.
Komarek in der Klostergasse
Im Spieljahr 2017 führte das Bürgertheater ein Stück von Alfred Komarek auf: Wohin bist du entschwunden. Dieses Stück handelt von Orten und Menschen der Stadt St. Pölten, welche existiert hatten und nicht mehr da sind. Unter anderem wurde die Gehörlosenschule in der Klostergasse 15 erwähnt.
Das Bürgertheater nahm damals Kontakt mit dem Gehörlosenverband Niederösterreich auf: Sie wollten, dass in diesem Stück Gehörlose mitwirken. Drei Gehörlose spielten dann mit und ich konnte im Hintergrund miterleben, wieviel Herzblut die Bürger und Bürgerinnen einbringen. Ihre Begeisterung und ihr Elan haben mich beeindruckt, sodass ich bei der nächsten Produktion auch mit dabei sein wollte.
Rückblickend kann ich sagen, dass ich dadurch neue Wege begehen, neue Menschen kennenlernen, sowie neue Kontakte knüpfen konnte.
Man wächst langsam in die Bürgertheatergruppe hinein. Einige Bürger und Bürgerinnen sind von Anfang an dabei, andere erst seit einigen Produktionen. Wieder andere spielen nur ein einziges Mal mit. Nichtsdestotrotz bilden wir alle eine Bürgertheaterfamilie, da sämtliche Generationen vertreten sind.
Hörtraining beim stummen Stück
Im Spieljahr 2018 gab es ein spannendes und stummes Stück von Peter Handke: Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten war eine Herausforderung für alle Mitwirkenden, da auf der Bühne nicht gesprochen wurde.
Schauplatz war eine große Drehbühne in einer aufgelassenen Produktionshalle der Firma Voith in St. Pölten. Diese Drehbühne wurde zum fiktiven Platz und der Zuschauer nahm die Rolle des Beobachtenden ein, der das Kommen und Gehen von Menschen betrachtet – seien es einzelne Personen, Paare oder Gruppen – die im Laufe des Stückes mehr oder weniger eine Beziehung zueinander zeigen. Begleitet wurde dieses Stück von Geräuschen, wie Straßenlärm, Vogelzwitschern, Wind, Musik, Donner und so weiter.
Ich hörte den Geräuschen bewusst zu und fragte dann die Mitspielenden, was das für ein Geräusch war: beispielsweise das mechanische Klappern einer Fahrradkette.
Ich war unter anderem Teil einer Hochzeitsgesellschaft und tanzte zur Musik auf der Bühne. Daheim konnten wir die Musik vorab anhören und man fragte uns, ob uns im Musikstück etwas auffällt. Es war ein Walzer im Dreivierteltakt. In diesem Zusammenschnitt fehlte aber ein Takt und das konnte ich heraushören. Das war für mich eine neue Art von Hörtraining – die Sinne schärfen.
Zusätzlicher Einsatz als Dolmetsch
In diesem Stück spielten mit mir zwei weitere Gehörlose mit und ich habe dann, soweit es mir möglich war, an den Probenabenden in Gebärdensprache übersetzt.
Die Proben begannen im Jänner, lange vor der ersten Aufführung im Mai: erst mit einem Probenabend wöchentlich, dann erhöhte sich die Probenfrequenz monatlich auf bis zu vier Termine pro Woche. Die Proben fanden abends von 18 bis 22 Uhr statt und zwei bis drei Wochen vor der Premiere auch schon am Nachmittag, da die Abstimmung mit der Bühnentechnik, der Maske und der Kostümwerkstatt gemacht werden musste.
Im Bewusstsein, welchen Verzicht auf abendliche Freizeit man als Ensemble-Mitglied auf sich nimmt, machte ich im darauffolgenden Jahr 2019 erneut beim Bürgertheater mit. Kinder des Olymp von Jacques Prévert stand am Spielplan. Gerne hätte ich es gehabt, dass diesmal mein Mann mitspielt. Ein Dank an dieser Stelle, dass er es mich machen lässt. Dafür bekommt er immer die neuesten Geschichten und Erlebnisse vom Theater aus erster Hand erzählt.
Statistin und Chorsängerin
Das Stück Kinder des Olymp wurde auf der großen Bühne im Landestheater aufgeführt. Diesmal hatte ich eine Statistenrolle – ich verkörperte einen Taschenuhrdieb. Dennoch: Wie im wortlosen Stück konnte ich auch vom Sprechstück profitieren. Da wir Textbücher erhielten, orientierte ich mich daran, wenn bei den Proben und auf der Bühne gespielt und gesprochen wurde. Ich kann bereits Stimmfarben von Personen erkennen, mit denen ich öfters zu tun habe. Beim Bürgertheater wirken über 50 Personen mit und nach einiger Zeit konnte ich die Stimmen unterschiedlicher Personen anhand der Stimmlage, der Stimmfarbe, der Lautstärke und des Akzents erkennen.
Bei den Hauptproben und den Aufführungen konnte man live hinter der Bühne über einen Monitor den Ablauf auf der Bühne mitverfolgen – für diejenigen, die gerade keinen Bühnenauftritt hatten.
Diesmal sprang ich auch über meinen eigenen Schatten und sang im Chor mit – damit ich öfter auf der Bühne sein kann. Begleitend zur Combo summten wir das „mmm“ und sangen das „aaa“ zur Musik Words of Love von Buddy Holly und trällerten im Musikstück The Night You Can´t Remember von The Magnetic Fields.
Sag niemals nie…!
Erwähnt habe ich nicht, dass bei den Proben intensiv trainiert wird. Zu Beginn stellen wir uns alle zum Aufwärmen im Kreis auf. Wir machen Stimmtraining, spielen irrsinnig komische und witzige Übungen und sind dabei auch körperlich aktiv. Dann werden gemeinsam das Stück besprochen und die Szenen ausgearbeitet. Es ist ein langer Weg bis zur Premiere.
Was so leicht und selbstverständlich auf der Bühne aussieht, ist das Ergebnis vieler Probentermine. Bereits 2018 habe ich resümiert: „Die Kunst ist in Wahrheit unterschätzt.“
Nächstes Jahr wird das Landestheater 200 Jahre alt werden und Geburtstag feiern. Als Bürgertheater wird das Stück Eine Stadt sucht ihr Theater von Bernhard Studlar aufgeführt werden – eine Spurensuche des St. Pöltner Theaters. Ob ich mitspielen werde? Hmmm… man muss als Ensemble-Mitglied ja auf einiges verzichten, wenn Einladungen mit Probenterminen zusammenfallen. Aber: Sag niemals nie…!