Hochzeitsvorstellungen: Liebe, zueinander Ja sagen, Freude, weißes Kleid, das gesamte Leben miteinander verbringen wollen, Ringe, Verbundenheit, miteinander feiern, Brautstrauß. Das und noch vieles mehr kommt mir beim Gedanken an Heiraten und Hochzeit in den Sinn. Eines war bisher jedoch bestimmt nicht in meinen Gedanken: Mund-Nasen-Schutz.

Veronika (jetzt) Engelmann

Das passte – bisher – eindeutig nicht mit Hochzeit zusammen. Doch COVID-19 hat innerhalb kurzer Zeit vieles auf den Kopf gestellt. Unser aller Leben, unser Alltag hat sich verändert. So auch die Hochzeitspläne von Klaus, meinem wundervollen Lebenspartner, und mir. Gedacht war das Standesamt für Ende April, die kirchliche Hochzeit als Fest mit Familie und Freunden für Anfang Juni 2020.

Eheseminar „spezial“

Im Zuge der Schutzmaßnahmen in Österreich haben wir uns plötzlich in einer Art unfreiwilligen Spezialvariante eines Eheseminars wiedergefunden: 24 Stunden, sieben Tage die Woche zu zweit zu Hause, veränderte Arbeitsbedingungen, Homeoffice, Erkrankungen im Familienkreis, keine persönlichen Treffen mit Familie und Freunden und die Unklarheit, ob Heiraten überhaupt möglich sein wird. Das alles testet eine Beziehung. Da gefällt mir das englische Wort für Beziehung: „relationship“ sehr gut. Wörtlich das Verbindungs-Schiff, in Verbundenheit gemeinsam durch schöne und fordernde Zeiten segeln. Und so kann diese Zeit auch ein Geschenk sein. Sie zeigt, wie wir mit Krisen umgehen. Was wirklich zählt, wird klarer. Die eigene Haltung im Blick auf Herausforderungen wird sichtbar.

COVID und Hörverlust

Es gibt Ereignisse, deren Eintreten quasi nicht beeinflussbar ist. So war auch der Beginn der COVID-19 Pandemie an sich in Österreich von Einzelnen nicht tatsächlich beeinflussbar. Doch wie wir mit unserer Haltung, unserem Denken, unseren Gefühlen, in unserem Handeln auf eintretende Ereignisse reagieren, ist sehr wohl beeinflussbar. Gleiches gilt für den Verlust meines Hörens. „Normal“-hörend geboren hatte ich keinen Einfluss auf die plötzliche Ertaubung meines linken Ohres im Kindergartenalter. Doch wie mein Umfeld, wie auch ich darauf reagiert habe(n), konnten und können wir beeinflussen.

Einseitige Taubheit

Im Zuge meiner Ertaubung wurde geglaubt, dass der Hörnerv geschädigt ist. Deshalb gab es für mich keine Versorgung mit Hörhilfen oder Implantat. Daher bin ich einseitig taub aufgewachsen, mit allen Herausforderungen und Geschenken, die eine einseitige Ertaubung mit sich bringt. Richtungshören ist nicht möglich. Gespräche in schwierigen Hörsituationen gelingen mehr schlecht als recht und sind sehr anstrengend. Einseitig hören braucht viel Kraft und Konzentration. Doch gerade mit diesen Herausforderungen habe ich mich entschieden, den Fokus auf das zu legen, was ich davon Wertvolles „geschenkt“ bekam: die Fähigkeit, sehr gut Körpersprache „lesen“ zu können, Lippenlesen, geschärfte visuelle Wahrnehmung, Einfühlungsvermögen, das Verständnis dafür, dass vermeintliche Schwächen große Stärken sein können. Für mich ist somit auch die einseitig ertaubte Zeit rückblickend gut.

Wieder hören

Auch wenn mich die Zeit ohne Hörversorgung viel gelehrt hat, möchte ich mein Cochlea-Implantat nicht missen. Ich würde mich jederzeit wieder für eines entscheiden. Ich bin liebend gern ein „Cyborg“, oder eigentlich ein CI-borg. Als ich Anfang 20 war, habe ich mich auf die Suche nach für mich möglichen Hörlösungen gemacht. Dabei stellte sich heraus, dass der Hörnerv sehr wohl intakt ist, jedoch die Sinneszellen in der Hörschnecke geschädigt sind. Damit war 2011 der Weg für ein Cochlea-Implantat und damit für mehr Lebensqualität frei. Ich bin zutiefst dankbar für das MED-EL Cochlea-Implantat, das ich erhalten habe. Dankbar für das nun mögliche Richtungshören, für Erleichterung in schwierigen Hörsituationen, für volles Klangerlebnis beim Singen, Klavierspielen, Querflöte spielen, kurzum: für mehr Lebensqualität.

Hörhighlights & fraglicher Hochzeitstermin

Ich bin dankbar für all die wundervollen Hörmomente, die ich mit meinem Cochlea-Implantat erlebt habe und weiter erleben werde. Und ein ganz besonderes Hörhighlight ist dabei meine Hochzeit. Denn was Menschen, die nicht mit einer Hörbeeinträchtigung konfrontiert sind, beim Thema Hochzeit wahrscheinlich nicht bedenken, ist das Hören des Ja-Wortes. Und das bringt mich zurück zu Ende April heurigen Jahres. Wegen COVID-19 war lange unklar, ob Klaus und ich uns das Ja-Wort geben können. So oder so, wir hatten für uns entschieden, das Beste aus der Situation zu machen. Uns riesig zu freuen, wenn die standesamtliche Hochzeit wie geplant Ende April möglich ist. Und, sollte der Hochzeitstermin verschoben werden müssen, uns genauso riesig auf den neuen Termin zu freuen. Denn eines hat uns unsere „Eheseminar Spezial Variante Corona“ ganz klar gezeigt: ob wir wie geplant heiraten können oder zu einem anderen Zeitpunkt, ändert gar nichts an der tiefen Liebe, die wir zueinander empfinden.

„Ja“ mit Mund-Nasen-Schutz

Im steten Kontakt mit unserer Standesbeamtin in Graz waren wir gespannt auf die endgültige Entscheidung – wird heiraten möglich sein, und wenn ja, wie? Wenige Tage vor dem geplanten Termin dann der erwartete Anruf: Ja, standesamtlich heiraten ist möglich, doch: Bitte mit Mund-Nasen-Schutzmaske. Ganz im Sinn unserer Einstellung, das Beste aus jeder Situation zu machen, habe ich mich sofort an die Nähmaschine gesetzt. Denn eines war klar: wenn heiraten mit Mund-Nasen-Schutz, dann jedenfalls mit einer Portion Humor und ganz im Hochzeitsstil. Bestens ausgerüstet mit unseren „Hochzeits-Masken“ starteten wir völlig erwartungsfrei in unseren standesamtlichen Hochzeitstag. Unser größtes Geschenk ist ja unsere Liebe an sich und aktuell überhaupt heiraten zu können.

Das JA hören

Am Standesamt angekommen erwartete uns eine liebe Standesbeamtin mit einer wunderschönen Zeremonie. Dem Einzug zu einem unserer Lieblingslieder folgten einleitende Worte der Standesbeamtin zu Liebe und Ehe und dann war es soweit: die Frage, ob wir heiraten wollen, ob wir zueinander JA sagen. Dieses Ja von Klaus zu hören, und das mit beiden Ohren, war wundervoll. Danach während des Ringtausches einander tief in die Augen zu blicken, unsere Liebe zu spüren und dabei ein weiteres Lieblingslied zu hören, war großartig. Im Anschluss, die Standesbeamtin ein Gedicht zu Glück, Ehe, Liebe vortragen zu hören und das Hand in Hand mit meinem – zu diesem Zeitpunkt bereits – Mann Klaus – ein Riesengeschenk. Beim Auszug sein „Ich liebe dich“ an mich zu hören, war schlicht und einfach wundervoll. Über den ganzen Hochzeitstag verteilt viele aufmerksame und liebevolle Überraschungen aus der Ferne von Familie und Freunden zu erleben, war herrlich und wunderbar. Unser Hochzeitstag – trotz Covid-19-Situation – ganz, ganz großartig.

Das JA ihres Mannes mit beiden Ohren zu hören, war für Veronika Engelmann ein unbeschreibliches Gefühl. ©privat

Und jetzt?

Seit diesem wundervollen Tag, unserem Ja zueinander, sind ein paar Wochen vergangen. COVID-19 begleitet uns alle nach wie vor. Daher haben wir unser kirchliches Hochzeitsfest auf nächstes Jahr verschoben. So können wir uns noch mehr darauf freuen. Denn wir wissen: COVID-19 und alles, was damit einhergeht, stellt uns alle vor große Herausforderungen. Doch unsere Liebe zueinander, die Verbundenheit und Gemeinschaft, die spürbar ist, hat Bestand und wird uns alle diese Krise meistern lassen.

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