Bessere Hörversorgung: besserer Zugang zu Hörgeräten und Hörimplantaten für ältere Menschen mit Hörverlust in Österreich!
Verglichen mit manch anderen Ländern erscheint die Hörversorgung für schwerhörige und taube Kinder und Erwerbstätige in Österreich zwar günstig, doch SeniorInnen sind immer noch unterversorgt. Niedergelassene MedizinerInnen sind gefordert, Betroffene auf mögliche Lösungen hinzuweisen!
Am 3.3. ist der Welttag des Hörens. Am Vortag, am 2. März 2023, trafen einander Fachleute und Betroffene zum Pressegespräch im Schloss Belvedere. Wenige Meter entfernt von jenem geschichtsträchtigen Balkon, von dem aus Leopold Figl 1955 Österreichs Freiheit verkündete, sprachen sie über die Freiheit, die das Hörvermögen zu schenken vermag; und dass der Zugang zu einer adäquaten Hörversorgung immer noch nicht für alle hörbeeinträchtigte ÖsterreicherInnen zuverlässig gewährleistet ist.
Über 60 Prozent der 1,8 Millionen ÖsterreicherInnen über 65 Jahre sind von Schwerhörigkeit betroffen; 220.000 davon in einem Ausmaß, dass Hörgeräte keine hinreichende Hilfe mehr bieten können. Viele der Betroffenen nehmen aber auch gar keine Hilfe in Anspruch: Weil sie nicht über die Möglichkeiten informiert sind oder weil sie sich für ihre Höreinschränkungen und die damit verbundenen Folgeerscheinungen schämen.
Auch jedes tausendste Baby kommt taub zur Welt, zwei von tausend Neugeborenen sind schwerhörig. 1977 wurde in Wien der ersten tauben Patientin mittels Cochlea Implantat das Hörvermögen wiedergegeben. Seit 1993, nach der Übersiedlung ins neue Gebäude des AKH, wurden erstmals auch Kinder implantiert. „Das war der wirkliche Durchbruch“, zeigt sich Prof. Dr. Wolfgang Gstöttner überzeugt. Der Leiter der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten am AKH Wien verweist auf das heute beinahe flächendeckend angebotene Neugeborenen-Hörscreening. „Wir haben gelernt, dass das Gehirn so plastisch ist, dass es sich an das Implantat anpasst.“ Ein ähnliches Hörscreening sollte auch Teil der Vorsorgeuntersuchungen für Erwachsene sein, fordert er.
„Das Leben mit Hörimplantat ist bunt!“
Eines dieser ohne Hörvermögen geborenen Kinder ist die 18-jährige Sophie Adzic, angehende Psychologiestudentin und beidseits mit Cochlea Implantaten versorgt. Die Niederösterreicherin hat die International Highschool erfolgreich mit der internationalen Matura abgeschlossen. Sie spricht neben ihrer Muttersprache Deutsch auch fließend Englisch und so viel Spanisch, dass sie ihren Auslandsaufenthalt in Spanien gut meistern konnte. „Ich liebe Musik. Ich kann mir nicht vorstellen, die nie erlebt und gehört zu haben.“ Ihr liebster Hörmoment war aber das allererste Mal unter Wasser zu hören. „Das hat für mich Freiheit ausgedrückt.“
„Hören ist für mich ein unheimliches Geschenk. Es macht mein Leben bunt. Ich würde das Implantat jedem empfehlen“, zeigt sie sich überzeugt, verweist aber auch gleich auf die Notwendigkeit des Hörtrainings.
„Das Hören mit CI ist sicher gewöhnungsbedürftig“, erklärt Primar Gstöttner dazu. „Je jünger das Kind, desto weniger kommt das aber ins Spiel; weil das Gehirn noch so plastisch ist, dass es sich an das Implantat anpasst.“ Manche Länder ziehen für die Cochlea Implantation eine strickte Altersobergrenze bei den PatientInnen. Wie Bosnien-Herzegowina. Dort werden nur Kinder bis zum maximalen Alter von zehn Jahren erstimplantiert, und das nur auf einer Seite[1], wie Prof. Dr. Fuad Brkic, Leiter der HNO-Universitätsklinik Tuzla in Bosnien-Herzegowina, berichtet. Auch in wirtschaftlich besser gestellten Ländern ist die Implantation der zweiten Seite nicht selbstverständlich. In Österreich wird eine beidseitige Versorgung mit Hörimplantaten unabhängig vom Alter der PatientInnen vom Gesundheitssystem finanziert.
„Hören ist für mich ein unheimliches Geschenk. Es macht mein Leben bunt. Ich würde das Implantat jedem empfehlen!“
Sophie Adzic, CI-Nutzerin
Drei-Gruppen-Medizin beim Hören
Der Primar der Wiener Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen beobachtet in Österreich aber drei Gruppen mit unterschiedlichem Niveau der Hörversorgung:
- „Kinder mit Hörverlust werden im Wesentlichen gut erfasst und versorgt“, ist Prof. Gstöttner zuversichtlich. Das Neugeborenen-Hörscreening NHS ist eine wesentliche Voraussetzung dafür.
- Auch die Gruppe der Berufstätigen erkennt in der Regel rasch, wie wichtig ihr Gehör im Berufsalltag und in der Freizeit ist. Auch diese Altersgruppe sei daher meist gut versorgt.
- „Das Problem ist aber zunehmend bei der älteren Patientengruppe ab 65“, warnt der erfahrene HNO-Spezialist. „Das war während meiner Ausbildungszeit schon so. Damals sind die PatientInnen hektisch geworden: Wenn ich über 65 bin, zahlt mir die Kasse nicht mehr zwei Geräte.“
Dabei sind die Folgen hochgradigen Hörverlusts für erwachsene Betroffene auch unabhängig von einer Erwerbstätigkeit gravierend: Einschränkungen der Kommunikation, dadurch bedingt soziale Isolation und Depressionen, reduzierte Lebensqualität und erhöhtes Risiko zu Demenzerkrankungen, erhöhtes Sturzrisiko. Trotzdem warten Erwachsene durchschnittlich neun bis zehn Jahre, bis sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. „Eine beginnende Demenz kann ich mit der richtigen Hörversorgung rückgängig machen“, appelliert der Mediziner zu rascher Reaktion auf Hörprobleme.
Ein konventionelles Hörgerät ist in der Regel die erste Wahl. Bringt das keinen Erfolg, stehen je nach Höreinschränkung verschiedene Hörimplantate zur Verfügung.
Hören: Keine Alters- oder Einkommensfrage
Implantat-Systeme werden vom Spital gekauft und vorfinanziert und dann über das sogenannte EKF-System von den Krankenkassen refundiert. Für den Patienten oder die Patientin entstehen durch ein Hörimplantat keine Kosten, abgesehen von Batterien und einer etwaigen Versicherung – bei konventionellen Hörgeräten trifft das nur für die Basisversorgung zu.
Bei taub geborenen Kindern implantiert man heute in der Regel kurz vor oder rund um den ersten Geburtstag. Einzige Einschränkung sei der bei einer Operation zwangsläufig zu erwartende Blutverlust, doch Prof. Gstöttner beruhigt: „Bei Mandeloperationen gibt es Komplikationen mit Nachblutungen bei bis zu zehn Prozent, das gibt es beim CI nicht!“
„Wir implantieren immer mehr 80-jährige PatientInnen, wenn sich audiologisch herausstellt, dass ein Implantat Sinn macht.“ Voraussetzung sei in so fortgeschrittenem Alter, dass die Probleme beim Sprachverstehen tatsächlich auf einen Hörverlust zurückzuführen sind. Kognitive Anteile am verringerten Sprachverstehen sollten nicht relevant sein. Der bisher älteste CI-Patient in Österreich wurde im Alter von 93 Jahren Cochlea-implantiert und erzielt mit dem CI gute Hörerfolge.
„HNO-Vorsorgeuntersuchungen sind kein Luxus!“
Prof. Gstöttner appelliert an niedergelassene HNO-FachärztInnen und AllgemeinmedizinerInnen: „Ihre Patientinnen und Patienten über die hohen Risiken von Hörverlust aufzuklären und regelmäßige Hörtests durchzuführen.“ Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt Hörscreenings bei Neugeborenen und Kindern, aber auch bei Erwachsenen mit erhöhtem Risiko, beispielsweise bei berufsbedingter Lärmbelastung, sowie bei allen älteren Erwachsenen.
„Wir haben in Österreich Vorsorgeuntersuchungen, da gehört das Ohr auch dazu!“, fordert Prof. Gstöttner. „Das ist sicher kein Luxus. Ab 50 sollte man an eine Höruntersuchung denken, je älter, desto regelmäßiger.“ Bei ersten Hörproblemen auch schon früher: „Wenn trotz gut eingestelltem Hörgerät die Familie beim Fernsehen leidet, dann muss man etwas tun!“.
[1] Zu den Einschränkungen durch einseitige Taubheit siehe gehört.gelesen 1.2023 Seite 36-38
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