Wie wichtig natürliches Hören für das innere Erleben ist – vor allem auch für NutzerInnen von Cochlea-Implantaten
Was macht möglichst natürliches Hören mit Cochlea-Implantat so besonders? Dieser Artikel zeigt, wie Klang Erinnerungen, Emotionen und innere Bilder weckt – und wie moderne Implantat-Technologie dabei hilft, wieder Zugang zu diesen Klangwelten zu finden.
Birgitt Valenta

Wie Töne innere Bilder entstehen lassen
Ein Klavierstück, das Plätschern eines Baches oder Kinderstimmen – solche Klänge lassen in unserem Kopf sofort Bilder entstehen. Unser Gehirn formt aus akustischen Reizen innere Szenen, Erinnerungen oder sogar ganze Geschichten. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff Auditive Imagery bekannt und zeigt, wie eng Hören, Sehen und Vorstellungsvermögen miteinander verwoben sind.
Neurowissenschaftliche Studien (u.a. Herholz et al., 2012) belegen, dass beim Hören bekannter Klänge auch visuelle Areale im Gehirn aktiv werden – insbesondere der visuelle Kortex. Das bedeutet: Unser Gehirn verarbeitet Klang nicht isoliert, sondern multisensorisch. Wir „sehen“ gewissermaßen, was wir hören. Diese Verbindung ist nicht nur faszinierend, sondern auch zentral für unser räumliches Denken, Erinnern und emotionale Verarbeitung.
Noch deutlicher wird diese Kombination bei Personen mit sogenannter Synästhesie: Sie erleben bestimmte Töne automatisch in Farben oder Formen. Der Komponist Franz Liszt zum Beispiel soll Musiker:innen angewiesen haben, bestimmte Passagen „blauer“ zu spielen. Für ihn waren Klang und Farbe untrennbar verbunden.
Klang erzeugt Nähe, Emotion und Identität
Unsere akustische Wahrnehmung beeinflusst nicht nur, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, sondern auch, wie wir uns selbst und andere empfinden. Die Stimme eines geliebten Menschen, vertraute Umgebungsgeräusche oder die Sprache unserer Kindheit sind eng mit unserer Identität verknüpft. Töne haben eine emotionale Tiefe, die weit über das rein Funktionale hinausgeht.
Klang hilft uns, uns in der Welt zurechtzufinden – aber auch, uns selbst zu spüren. Gerade Musik ruft intensive Gefühle hervor, erinnert uns an bestimmte Lebensphasen, an romantische Situationen oder erzeugt Gänsehaut. Unser Gehirn verknüpft diese Reize blitzschnell mit Erinnerungen, Bildern, Gerüchen und Emotionen.
Wie Cochlea-Implantate möglichst natürliches Hören ermöglichen
Doch was geschieht, wenn diese feine Wahrnehmung gestört ist – etwa durch Hörverlust? Für Betroffene bedeutet ein Cochlea-Implantat die Chance, wieder zu hören. Es ersetzt natürliches Hören, indem es akustische Signale in elektrische Impulse umwandelt und sie direkt an den Hörnerv weitergibt. Die technische Leistung dahinter ist enorm – und sie hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt.
Dank moderner MED-EL CI-Systeme mit hochentwickelten und individuell angepassten Elektrodenträgern, die tief in die Hörschnecke eingeführt werden, können heute sehr viele unterschiedliche Tonhöhen und Frequenzen präzise übertragen werden. Die Vielschichtigkeit des natürlichen Hörens – einschließlich Klangfarbe, Sprachmelodie und musikalischer Nuancen – wird dadurch für viele NutzerInnen erstaunlich gut erfahrbar.
Natürliches Hören mit Cochlea-Implantat ist ein Lernprozess
Für viele CI-TrägerInnen bedeutet das ein Hörerlebnis, das dem natürlichen Hören in vielen Alltagssituationen sehr nahekommt. Natürliches Hören mit Cochlea-Implantat ist weit mehr als das Wiedererlangen einer Sinnesfunktion – es bedeutet auch, Emotionen, Erinnerungen und innere Bilder wieder erfahrbar zu machen.
Trotzdem bleibt das Hören mit einem Cochlea-Implantat ein individueller Lernprozess. Besonders komplexe akustische Umgebungen oder Musik können anfangs herausfordernd sein. Doch mit gezieltem Training und Geduld können die meisten Betroffenen ihre Hörwahrnehmung zunehmend differenzieren – und so (wieder) eine reichhaltige, klangvolle Welt erleben und genießen.
Innere Bildwelten brauchen natürlichen Klang

Das Rauschen von Meereswellen lassen wohl eines der schönsten inneren Erinnerungsbilder entstehen. ©Adobe Stock
Sprache und Klang sind wesentlich für die Entwicklung von Vorstellungsvermögen, Kreativität und emotionaler Intelligenz. Wenn die akustische Welt reduziert oder verzerrt wahrgenommen wird, können diese Fähigkeiten eingeschränkt sein.
Daher ist es so wichtig, dass Menschen mit Hörverlust nicht nur „irgendetwas“ hören – sondern möglichst natürlich. Aktuelle Entwicklungen bei Cochlea-Implantaten zielen genau darauf ab: eine Klangqualität zu erzeugen, die nicht nur funktional, sondern auch emotional verständlich ist.
Die grundsätzlich herausragende Technik allein reicht aber nicht. Entscheidend ist auch das gezielte Hörtraining nach der Implantation. Musiktherapie, Sprachübungen oder Klangmeditation können helfen, die innere Vorstellungskraft zu stärken und die Verknüpfung zwischen Hören und „Innerem Sehen“ neu aufzubauen. So entstehen wieder Klangwelten im Kopf – auch mit technischer Unterstützung.
Hören ist mehr als Verstehen
Töne sind nicht bloß Geräusche, sie sind eine Brücke zu unserer inneren Welt. Sie formen unsere Gedanken, Gefühle und Erinnerungen. Für Menschen mit normalem Gehör ist das oft selbstverständlich. Doch wer auf ein Cochlea-Implantat angewiesen ist, spürt besonders deutlich, wie stark unsere akustische Wahrnehmung unsere Lebensqualität bestimmt.
Natürliches Hören bedeutet mehr als die Unterscheidung von Wörtern – es ist der Zugang zu Emotion, Nähe, Vorstellungskraft. Wer hört, der sieht auch. Nicht mit den Augen, sondern mit dem Herzen – und mit dem Kopf.

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