Wenn bei hochgradig hörbeeinträchtigten Kindern von bilingualer Erziehung gesprochen wird, so denken viele vorrangig an die Gebärdensprache parallel zur Lautsprache. Aber neben dem im Schulunterrichtsplan geforderten Fremdsprachenunterricht ist das Erlernen zweier oder sogar mehrerer Lautsprachen auch für viele CI-Kinder Lebensrealität.
„Jedes Kind, auch wenn es cochleaimplantiert ist, kann mehrere Sprachen lernen“, erklärt Donna Sperandio, Hör- und Sprachtherapeutin bei MED-EL, auf www.medel.com/blog. Gerade in Migrationsfamilien spielt das eine wichtige Rolle, da ja die Familiensprache oftmals nicht der Landes- und Schulsprache entspricht, wobei manchmal sogar innerhalb der Familie mehrere Sprachen verwendet werden. Für eine ungestörte Sozialentwicklung ist es unumgänglich, dem Kind die Möglichkeit zu geben, am sozialen Familienleben teilzuhaben. Deswegen muss es in beide beziehungsweise alle diese Sprachen gleichermaßen hineinwachsen. Dabei sollte man, wie bei allem, das mit Hören zu tun hat, möglichst in den ersten Lebensjahren beginnen.
Andererseits baut die Hör- und Sprachförderung bei frühimplantierten Kindern wesentlich auf die aktive Mitarbeit der Eltern auf. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von familienzentrierter Frühförderung. Erst wenn die Eltern ermuntert werden, im Umgang mit dem Kind und in der bewussten Sprachförderung jene Sprache zu verwenden, welche ihnen selbst am besten geläufig ist, verfügen sie auch über die nötige Sprachsicherheit, die für die Förderung des Kindes notwendig ist. Bei Migrantenfamilien ist das in der Regel ein Argument mehr, das zu einer mehrsprachigen Erziehung und Sprachförderung des Kindes führt.
Michael Douglas, MA, CC-SLP, LSLS Cert. AVT, Sprachpathologe und Hör-Sprachtrainer in den USA, betont, vergleichende Forschung habe mittlerweile hinreichend bewiesen, dass der Erwerb einer Minderheitensprache, also zum Beispiel der Familiensprache einer Migrationsfamilie, das Erlernen der jeweiligen Landessprache in keiner Weise be- oder verhindere, entsprechendes Vermögen, die Sprache zu hören, vorausgesetzt. Damit steht auch hörbeeinträchtigten Kindern mit adäquater Hörversorgung eine bilinguale Entwicklung offen. Michael Douglas geht in seiner Zukunftsversion sogar noch weiter: „Mein Traum für die zukünftigen Generationen hörbeeinträchtigter Kinder ist, dass die überwiegende Mehrheit zumindest bilingual werden soll in dieser multilingualen Welt.“
Grundzüge des multilingualen Spracherwerbs
Von simultanem Spracherwerb spricht man dann, wenn ein Kind in den ersten drei Hörjahren mehrere Sprachen gleichzeitig erlernt. Wenn das Kind erst eine Sprache – in der Regel die Familiensprache – lernt und erst mit einer drei- bis vierjährigen Verzögerung langsam mit anderen Sprachen vertraut gemacht wird, so spricht man von sequentiellem Spracherwerb.
In beiden Fällen ist es wichtig, klare Regeln zu schaffen, wann, wo oder mit wem welche Sprache gesprochen wird, damit das Kind auch lernt, die Sprachen als gleichwertig, aber unterschiedlich zu differenzieren. So kann es ein guter Weg sein, zu Hause in der Familiensprache zu kommunizieren, während im Kindergarten und später in der Schule die Landessprache vermittelt wird. Eine andere Möglichkeit wäre es, wenn ein Elternteil eine Sprache vermittelt, ein anderer Elternteil, Bezugs- oder Betreuungsperson die andere Sprache.
Frühere Generationen haben noch diverse, manchmal sogar behördlich angeordnete Sprachumschulungen in denkbar schlechter Erinnerung. So hört man heute bei Aufenthalten in Nordschweden noch Augenzeugenerzählungen von Internaten, in denen die Kinder von Lappen zwangsweise Schwedisch lernen sollten, während die Verwendung der samischen Sprache untersagt war. Das hat dazu geführt, dass ganze Generationen ihrer Muttersprache verlustig wurden. Aktuelle Sprachpädagogik hat sich von derartigen Ansätzen vollständig abgewendet, zumal man heute der Ansicht ist, dass die Verbesserung einer Sprache sich immer auch auf die Kenntnisse anderer Sprachen positiv auswirke. So kann auf Basis vorgenannter Regeln auch ein sequentieller bilingualer Spracherwerb erreicht werden, bei dem die Schulsprache erlernt und parallel die Erstsprache nicht nur erhalten, sondern sogar weiter entwickelt wird.
Auch im Spiel können mehrere Sprachen gleichmäßig vermittelt werden. So können adäquat zur Zuordnung der Eltern oder Bezugspersonen zu bestimmten Sprachen, auch Puppen und Stofftiere den jeweiligen Sprachen zugeordnet werden.
Ebenso ist es empfehlenswert, wenn Kinder in jeder Sprache Bilder- und Kinderbücher haben und vorgelesen bekommen. Es sollte aber jedes Buch in sich in nur einer Sprache geschrieben ist, denn mehrsprachige Bücher verlassen das Konzept der Sprachenseparierung und könnten dadurch zu Verwirrung führen.
Es ist durchaus üblich, dass bilingual erzogene Kinder in der ersten Zeit die Ausdrücke unterschiedlicher Sprachen mischen oder anfangs nur in einer Sprache selbst aktiv sprechen. Nach etwa zwei Jahren sollten sie dann imstande sein, die Sprachen zu differenzieren und gezielt zu verwenden, selbst wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch keine vollständigen Sätze sprechen. Je mehr und je öfter eine Sprache angeboten wird, umso schneller kann die Sprachentwicklung in der jeweiligen Sprache verlaufen.
Sprachförderung bei hörbeeinträchtigten, bi- oder multilingualen Kindern
Für die Therapeuten kann das Einschätzen der Sprachentwicklung bei multilingualen Kindern und das Abwägen eventuell individuell angebrachter Fördermaßnahmen schwierig sein. Besondere Umsicht ist gefordert, wenn Kinder von weiteren Einschränkungen betroffen sind. Michael Douglas erstellte ein spezielles Handbuch für Therapeuten, welches sie dabei unterstützen soll, diese bi- oder multilinguale Erziehung auch von Seiten der Hör-Sprach-Therapie optimal zu unterstützen – das Handbuch ist bei MED-EL erhältlich. Mehr noch als bei Kindern, die monolingual in Landessprache aufwachsen, sind hier die Rückmeldungen aber vor allem auch die Mitarbeit der Eltern und Betreuungspersonen von besonderer Wichtigkeit zur Entwicklung aller gewünschten Sprachen. MED-EL bietet sein Rehabilitationsmaterialien für Kinder auch in mehreren Sprachen an.