Mit seinem Schelmenroman „Die Blechtrommel“ löste Günter Grass 1959 teils heftige Abneigung, teils begeisterte Zustimmung aus und wurde über Nacht berühmt. Vierzig Jahre später erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Birgitt Valenta, Specialist, Marketing Project Management
Mit dem vorletzten deutschsprachigen Werk aus unserer Serie „Abenteuer Literatur“ marschieren wir wiederum weiter und landen ein halbes Jahrzehnt später in der sogenannten Nachkriegs- oder Trümmerliteratur. Die vorangegangenen 50 Jahre Weltgeschehen und seine Auswirkungen hatten natürlich auch großen Einfluss auf die Künstlerszene. Thematisch versuchten die Literaten dieser Zeit, die Erlebnisse der beiden Weltkriege in ihren Büchern zu verarbeiten. In zunehmend komplexeren Werken nahm man sich nun auch beispielsweise der Vorgeschichte des zweiten Weltkriegs an. Günther Grass, Schriftsteller, Maler, Bildhauer und Grafiker sowie Mitglied des Kulturnetzwerkes „Gruppe 47“ zählt zu den berühmtesten Vertretern dieser Ära. An seinem Debütroman „Die Blechtrommel“ führt in diesem Zusammenhang kein Weg vorbei, ist dieses Buch nebenbei bemerkt das bis heute meist verkaufte deutschsprachige Prosawerk. Es erschien erstmals 1959 und ist in drei Bücher unterteilt. In diesen wird von der Zeit vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg berichtet:
Oskar Matzerath, Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, der mit drei Jahren sein Wachstum einstellte, erzählt zwischen 1952 und 1954 sein Leben, das 1924 in Danzig beginnt und ins Nachkriegsdeutschland führt, und auch das von Vorfahren und Verwandten. Die geistige Entwicklung ist für ihn mit drei Jahren abgeschlossen; er verfügt über die märchenhafte Fähigkeit, Glas zu zersingen. Im Zweiten Weltkrieg tritt Oskar in einem Fronttheater auf, wird zum Anführer einer Bande und siedelt mit seiner Geliebten, die auch seine Stiefmutter ist, sowie seinem Sohn, der zugleich sein Stiefbruder ist, von Gdańsk nach Düsseldorf. Er versucht sich als Steinmetz, als Modell in der Kunstakademie und als Jazzmusiker – und wird durch Schallplatten reich. Oskar, tatsächlich kein Mörder, flieht als vermeintlicher Mörder nach Paris, um sich dort verhaften zu lassen und in eine Anstalt eingewiesen zu werden. An seinem dreißigsten Geburtstag kehrt er gegen seinen Willen in die Gesellschaft zurück.
Mit orientalischer Fabulierlust und virtuoser Collagentechnik türmt Günter Grass in „Die Blechtrommel“ Geschichte auf Geschichte und schreckt dabei auch vor furios-ekelhaften Szenen nicht zurück. Auf grotesk verfremdete Weise beschäftigt Günter Grass sich mit dem Nationalsozialismus und der deutschen Nachkriegsgesellschaft, dem Wirtschaftswunder und der kollektiven Verdrängung der jüngsten Vergangenheit. In der Zeit des Wirtschaftswunders ist Oskar dagegen einer der wenigen, die nichts verdrängen. Er bekennt sich zu seiner Schuld am Tod mehrerer Personen und lässt sich sogar von einem Freund als Verdächtiger in einem aktuellen Mordfall anzeigen, um sich in einem Irrenhaus von der deutschen Nachkriegsgesellschaft distanzieren zu können. Oskar Matzerath ist ein radikaler Neinsager und verkörpert die totale Verweigerung. Ob Günter Grass bei dem bösartigen, blasphemischen und verrückten Monstrum Oskar wohl an Hitler gedacht hat? „Die Blechtrommel“ wurde 1979 unter der Regie von Volker Schlöndorf, unter anderen mit den Schauspielern David Benennt und Mario Adorf, verfilmt. Er gewann in der Kategorie „Bester Fremdsprachiger Film“ einen Oscar und ist damit der erste deutsche Film überhaupt, der mit diesem Preis ausgezeichnet wurde.
Auf jeden Fall ist das fast 800 Seiten starke Werk ein großartiger, im Doppelsinn des Wortes fantastischer Roman. Hervorzuheben ist auch Günter Grass‘ unverwechselbare, wohltönende Sprache in der Hörbuchversion, die ich empfehlen möchte. Wer sich viel Zeit nehmen mag für dieses umfangreiche Werk, wird bei Audiamo fündig werden, die Hörbuchhandlung ist im 7. Wiener Gemeindebezirk ansässig, alternativ kann man selbstverständlich auch online unter www.audiamo.at aus über 10.000 Titeln wählen.
Zum Abschluss der Kommentar der Schwedischen Akademie zu seinem Literarturnobelpreis 1999, auf den er 40 Jahre warten musste:
Der Spatenstich des Günther Grass in die Vergangenheit gräbt tiefer als der der meisten und er findet, wie die Wurzeln des Guten und Bösen miteinander verschlungen liegen.
Buch: Die Blechtrommel, Deutscher Taschenbuch Verlag; ISBN-10: 3423118210, ISBN-13: 978-3423118217
Hörbuch: Die Blechtrommel, Steidl Verlag, ISBN-13: 978-3-86521-512-3, AUDIAMO Bestellcode: 80804, 23 CDs, Laufzeit: 1680 Minuten