Psychische Resilienz in Krisenzeiten

gehört.gelesen sprach mit der Psychologin Dr. Leonie Ascone Michelis, warum manche Menschen an Krisen fast zerbrechen, während andere an Schwierigkeiten sogar wachsen.

„Ich glaube, der Begriff Resilienz kommt ursprünglich aus der Materialkunde und beschreibt die besondere Widerstandsfähigkeit mancher Werkstoffe“, so Dr. Leonie Ascone Michelis, Klinische Psychologin an der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf. „Beim Menschen bezeichnet Resilienz die geistige Widerstandskraft, die hilft, dass man an kritischen Ereignissen nicht zerbricht.“

Das Leben hält unterschiedliche solcher kritischen Situationen und Phasen für uns bereit: Von anhaltenden Lebensumständen wie Armut bis zu plötzlichen Schicksalsschlägen wie eine schwere Erkrankung oder der Verlust des Partners. Viele davon werden mit einem höheren Risiko für psychische Erkrankungen assoziiert. „Als Psychologe ist man manchmal fast erstaunt, wenn Personen trotzdem ein glückliches, erfülltes Leben gelingt“, zeigt sich Ascone zuversichtlich. „Resilienz ist in erster Linie ein Konstrukt, um diese Tatsache zu erklären.“

Die Corona-Pandemie als Katalysator

„Krise ist das, wobei wir im ersten Moment den Eindruck haben, dass die Situation deutlich unsere Fähigkeiten und Ressourcen übersteigt.“ Folge dieses ersten Eindrucks seien Gefühle der Ohnmacht und Überforderung, die dann Stress auslösen. „Chronischer Stress erschöpft Körper und Seele.“

„Die Corona-Pandemie selbst würde ich persönlich nicht per se als psychische Krisensituation bezeichnen“, so Ascone. Ob die Einschränkungen der Pandemie mehr oder weniger Stress auslösen oder sogar zur psychischen Krise werden, das hänge stark von Vorfaktoren ab. „Menschen, die schon vorher benachteiligt waren“, durch Armut, beengte Wohnsituation, schulische, berufliche oder familiäre Probleme, häusliche Gewalt oder eine angeschlagene psychische Gesundheit, „die sind auch in der Pandemie stärker betroffen. Dann kann der Stress auch zum Ausbruch einer Krise führen.“

Persönliche Krisenerfahrungen

„Ich habe selbst einen Sohn, bei dem gerade die Diagnose Asperger-Syndrom zur Diskussion steht“, erzählt die Psychologin aus ihrem eigenen Erfahrungsbereich. „Für mich war das auch erst eine Erschütterung.“ Die Erkenntnis, dass das eigene Kind oder der Partner beeinträchtigt oder schwer erkrankt ist, kann ebenso eine Krise auslösen wie eine eigene Erkrankung oder Behinderung.

„Das Wichtigste ist, dass man lernt, mit dem Schicksal nicht zu hadern.“ Was man nicht ändern kann, das sollte man lernen zu akzeptieren, den Widerstand loszulassen. „Weiteres Sträuben bringt sonst nur Reibungs- und Energieverlust und kann dazu führen, dass man daran verzweifelt.“ Im zweiten Schritt sollten Betroffene Trauer und Angst in Aktivität umwandeln: danach suchen, welche Aspekte an ihrer Situation sie selbst beeinflussen können.

Sinn schenkt Glück und Resilienz

„Manche Menschen neigen dazu, sich an Vorstellungen zu klammern“, selbst wenn ein Schicksalsschlag die Umsetzung dieser Vorstellung unmöglich macht. Die Neuausrichtung des Lebens kann dann aber nicht nur besonders schwierig sein, sie ist auch besonders hilfreich. „Welche andere Rolle gibt es für mich, beziehungsweise welche andere Rolle kann oder muss ich übernehmen? Wenn ich in dieser neuen Rolle einen Wert erkenne, erschaffe ich mir damit wieder Mut und Sinn.“

Zum Thema Sinnsuche verweist Ascone auch auf den österreichischen Holocaust-Überlebenden und Gründer der Logotherapie Viktor Frankl: „Ein positiver Lebenssinn, der über das Ego hinausgeht, kann uns selbst durch Situationen fürchterlichster Deprivation“, also Reizentzugs – wie der Einschränkung der eigenen Freiheit – „hindurch helfen.“ Solchen Lebenssinn bieten schöpferische Werte: Was kann ich im Rahmen meiner Möglichkeiten Konstruktives oder Schönes erschaffen? Ebenso bieten Erlebnis- oder Einstellungswerte Lebenssinn: Durch welche Erfahrungen kann ich selbst Kraft ziehen? Oder: Welche Haltung zeichnet mich positiv menschlich aus? Wie kann ich Verantwortung für mein Leben übernehmen?

Krisenfestigkeit lässt sich lernen

Zur Resilienz, der seelischen Festigkeit in Krisen, gibt es zahlreiche Forschungen. Im Wesentlichen gehe es dabei um eine „Haltung des Handlungspotentials“, so Ascone. Sie zitiert dazu den Neuropsychologen Dr. Raffael Kalisch, Sprecher der International Resilience Alliance (intresa): „Resilienz ist nicht die Abwesenheit von Krankheit, sondern die Fähigkeit zum aktiven Anpassungsvorgang.“

Wesentlich sei dazu, die eigenen Emotionen zu regulieren: „Dabei geht es nicht darum, sich in die eigene Tasche zu lügen, sondern um Strategien für den Umgang mit den eigenen Gefühlen.“ Die Ausrichtung auf positive Aspekte und Möglichkeiten und die Akzeptanz jener Bereiche, die nicht zu ändern sind. Das zu lernen, braucht freilich Zeit.

„Wenn das Leben manchmal nicht einfach ist, dann ist das wie beim Training eines Muskels“, ermuntert die Psychologin zu Geduld und Ausdauer. „Sie müssen aber nicht alles allein lösen! Überlegen Sie auch, welche Menschen oder welche Institutionen helfen können; und auch, wo Sie Ausgleich finden!“

Persönlichkeitsbildung fängt im Kindesalter an!

„Resilienz beginnt da, wo wir mit Kindern an ihrer Stresstoleranz arbeiten. Das ist Bildungsauftrag der Eltern!“, nach einer kurzen Gedankenpause ergänzt Ascone: „Und eigentlich würde ich mir auch von den Schulen mehr Arbeit in diese Richtung erhoffen.“

Die Persönlichkeit eines Menschen entwickle sich durch die Wiederholung von Verhaltensweisen, die schließlich zur Gewohnheit werden. Und so sei auch Resilienz durchaus erlernbar, wenn man den Kindern hilft, negative Erlebnisse bewusst zu machen. Die Fragen dazu: „Was wolltest du eigentlich? Wie hast du auf die Störung reagiert? Wie könntest du dich verhalten, um dein Ziel effektiver zu erreichen und ohne dass du dich so ärgern musst?“

Bildung zu Charakterstärke und Achtsamkeit

Die Arbeitsgruppe Neuronale Plastizität am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der Ascone angehört, erforscht die Veränderung menschlichen Verhaltens über die ganze Lebensspanne hinweg. „Das menschliche Gehirn verfügt über hohe neuronale Plastizität und ist bis ins hohe Alter in der Lage, neue Nervenzellen zu entwickeln. Durch gezielte Trainings im Bereich Persönlichkeit und Emotionsregulation, also Umgang mit negativen Gefühlen und Gedanken, können wir das Gehirn strukturell verändern.“

Das biete ein hohes Potential zur Therapie und zur Selbstentwicklung auch hin zu höherer Resilienz. Eine Möglichkeit dazu ist die Ausbildung von Charakterstärken: Weisheit und Wissen, Mut, Humanität, aber auch Gerechtigkeit, Mäßigung, Spiritualität und Transzendenz. Ein anderer Weg zur Stärkung unseres Bewusstseins ist die Achtsamkeitsbildung: Das Bewusstmachen des inneren Dialogs sowie der eigenen Körpersignale.

Dieses Bewusstseinstraining sollte aber nicht als Selbstoptimierung missverstanden, sondern als Selbstfürsorge genutzt werden: „Wenn ich gut für mich selbst sorge, habe ich auch mehr Kraft, um mit der Unwegsamkeit des Lebens besser umgehen zu können.“


Spezialisten für die Seele

Um die seelische Gesundheit des Menschen bemühen sich verschiedene Spezialisten, deren Arbeitsgebiete häufig ineinandergreifen:

  • Psychiater sind medizinische Spezialisten für Hirnfunktionsstörungen. Sie sind auf die organische Ebene psychischer Probleme konzentriert, die sie – auch – mit Medikamenten behandeln.
  • Auf die Behandlung psychosozialer oder psychosomatischer Probleme sind Psychotherapeuten spezialisiert, die weder zwingend Mediziner noch Psychologen sein müssen – häufig aber eines der beiden sind. Durch gezielte Interaktion mit dem Betroffenen versuchen Psychotherapeuten, Symptome zu mildern oder zu beseitigen, Verhaltensweisen zu modifizieren und die Reifung, Entwicklung und Gesundheit des Behandelten zu fördern.
  • Psychologen beschäftigen sich im weiteren Umfang grundlegend mit dem menschlichen Erleben, Fühlen und Verhalten. In der Psychologie geht es nicht nur um den Umgang mit psychischen Problemen, sondern umgekehrt auch darum, welches Umfeld Menschen für ihre psychische Gesundheit benötigen. Das Arbeitsfeld reicht dabei von der organisch orientierten Neuropsychologie, über konkrete Anwendungsbereiche wie der Arbeits- oder der Schulpsychologie bis hin zur Klinischen Psychologie und zur Humanistischen Psychologie. Die größte Schnittmenge mit Psychiatrie und Psychotherapie hat dabei die Klinische Psychologie, die sich mit der Entstehung und Vermeidung psychischer Störungen beschäftigt.
  • Eine relativ neue Strömung ist die Positive Psychologie: Wie sieht ein gelingendes Leben aus und wie können wir Menschen dazu verhelfen? 1954 prägte der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow, der aus dem Psychologischem Humanismus kam, den Begriff Positive Psychologie. Ein wichtiger Vertreter war auch der österreichische Psychiater, Neurologe und Philosoph Viktor Emil Frankl. Die Positive Psychologie lehrt, die Stärken und Ressourcen des Menschen zu nützen und positive Annäherungsziele zu setzen: „Was möchte ich als nächsten Schritt erreichen?“ Während Vermeidungsziele – „Was möchte ich verhindern?“ – sich oft demotivierend und hemmend auf den Einzelnen auswirken, können positive Annäherungsziele motivieren und Kräfte mobilisieren. Deswegen ist Positive Psychologie bei Fragen zu Resilienz und zum Umgang mit Krisen besonders hilfreich.
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